Windows-Zwangsmigration in Niedersachsen: Linux als Opfer der Politik

Linux fliegt raus, 12.000 PCs der niedersächsischen Finanzämter migrieren auf Windows. Nicht, weil Linux zu teuer wäre, sondern weil die Politik das so will.

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Windows-Zwangsmigration der nds. Finanzämter: Linux als Opfer der Politik
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Es war ein Vorzeigeprojekt und seit je her eine praktisch Windows-freie Zone: Die niedersächsische Finanzverwaltung. Am Anfang waren es Sun-Workstations mit Solaris, die ab Mitte der 1990er Jahre in den Finanzämtern eingesetzt wurden, doch 2005 entschied man sich für den Wechsel auf Linux. Und während im Herbst 2006 alle Welt gespannt beobachtete, wie in München im Rahmen des LiMux-Projekts die ersten Rechner der Stadtverwaltung auf Linux migriert wurden, schloss die Niedersächsische Finanzverwaltung ihre Linux-Migration von 12.000 Arbeitsplatzrechnern an 70 Standorten bereits ab. Windows kam allenfalls auf ein paar Notebooks zum Einsatz. So läuft heute auf fast allen Rechnern aller niedersächsischer Finanzämter OpenSuse Leap 42.2.

Doch damit ist nun Schluss, die niedersächsischen Finanzämter werden auf Windows migrieren. So hat es die Niedersächsische Landesregierung auf Seite 134 ihres 138-seitigen Koalitionsvertrags festgeschrieben: "Wir werden den in Niedersachsen bislang Linux-basierten Verfahrensbetrieb aufgeben". Es geht also nicht etwa darum, ergebnisoffen zu überprüfen, ob die aktuellen Linux-Arbeitsplätze noch zeitgemäß sind oder ob sich nicht mit einer anderen Lösung Steuergelder einsparen ließen. Die Festlegung ist klar und unmissverständlich, Linux fliegt raus. Und dieses Vorhaben ist keineswegs ein Papiertiger, die Umstellung soll bereits 2019 beginnen und hat ein Etat von zunächst 5,9 Millionen Euro. Ein waschechtes IT-Großprojekt also.

Doch die sonst bei Großprojekten obligatorische Planung, welche Kosten über welchen Zeitraum anfallen und mit welchen Einsparungen im Gegenzug zu rechnen ist, gibt es nach Recherchen von c't nicht. Zumindest hat das Finanzministerium, in dessen Hoheitsbereich das Projekt fällt, keinerlei Zahlen vorliegen. Vielmehr wurde man dort offenbar ebenfalls überrascht – derzeit werde "eine vom Finanzministerium beauftragte Voruntersuchung im Landesamt für Steuern durchgeführt". Auswirkungen hat das bereits, so wurde die Weiterentwicklung der Linux-Clients bis zum Abschluss der Untersuchung auf Eis gelegt, teilte das Niedersächsische Finanzministerium gegenüber c't mit.

Es sei in jedem Fall von einer mehrjährigen Umstellungsphase auszugehen. Das deckt sich auch mit der Finanzplanung, so soll das Etat von 5,9 Millionen Euro in 2019 auf 7 Millionen für alle Folgejahre steigen. Wann man damit fertig werden wird, steht in den Sternen.

Auf unsere detaillierten Fragen, welche Informationen der späteren Landesregierung während der Koalitionsverhandlungen vorlagen, antworteten weder die Staatskanzlei noch das Innenministerium. Man wollte uns nicht einmal sagen, auf wessen Initiative dieses Projekt auf die Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen gehievt wurde. Stattdessen bekamen wir nur immer wieder den Hinweis, uns doch bitte an die Fachbehörde zu wenden, also das Finanzministerium – von dem wir ja schon bestätigt bekommen hatten, dass es dort noch keinerlei Informationen gibt.

Es ist also offenkundig eine rein politische Entscheidung, Linux rauszuwerfen und Abermillionen Euro für die Migration auf ein proprietäres Betriebssystem auszugeben – wobei man nicht einmal abgeschätzt hat, wie viele Millionen etwa die notwendigen Windows-Lizenzen verschlingen werden.

Immerhin konnten wir etwas zu den Hintergründen in Erfahrung bringen: Die Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein arbeiten seit 2012 mit dem gleichen IT-Dienstleister zusammen – wobei alle anderen Bundesländer ausschließlich Windows verwenden. Niedersachsen benötigt jedoch stets eine Linux-Lösung, für die nach Auskunft des Finanzministeriums Mehrkosten entstehen. Doch hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt: Die bisher für die niedersächsischen Finanzämter entwickelten Anwendungen wurden stets in Java geschrieben – und ließen sich aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso unter Windows benutzen. Eine Java-Anwendung für alle Bundesländer dürfte also eigentlich genügen – Mehrkosten entstünden also allenfalls für die Entwicklung einer proprietären Windows-Anwendung.

Die Hoffnungen des Finanzministeriums ruhen dennoch darauf, dass sich nach der Windows-Migration "die mutmaßlichen Mehrkosten gegenüber der bisherigen Lösung relativieren". Es gebe landesinterne und länderübergreifende "Skalen- und Synergie-Effekte an verschiedenen Stellen". Zahlen sind jedoch keine verfügbar.

Tatsächlich weiß man nicht einmal, welche Kosten die aktuell eingesetzten Linux-Clients verursachen: "Eine individuelle Kostenermittlung nur für die Linux-basierten Arbeitsplätze liegt nicht vor und wäre auch nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich." Damit gibt es auch künftig keine Möglichkeit, herauszufinden, ob die Windows-Migration irgendwelche Einsparungen bewirkt hat – oder ob nicht letztlich noch mehr Geld ausgegeben wird als bisher. Eine Rolle spielten die Kosten bei der Entscheidung für Windows ohnehin nicht: Sonst hätte man im Koalitionsvertrag eine Überprüfung der bisherigen Lösung vereinbart und nicht gleich die Abschaffung von Linux.

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(mid)