Post aus Japan: Der Krieg der Spiegellosen beginnt

Sony fordert die DSLR-Champions Canon und Nikon mit digitalen Systemkameras seit Jahren erfolgreich heraus. Nun hat Nikon seinen Gegenschlag angekündigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Post aus Japan: Der Krieg der Spiegellosen beginnt

Wie Nikons Neue aussehen wird, ist noch unklar.

(Bild: Nikon)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die Fotowelt ist in Aufregung in diesem August. Der Spiegelreflexkamerahersteller Nikon hat jüngst Schattenrisse einer neuen Kamera veröffentlicht, die das traditionelle Spiegelsystem mit dem schweren Prisma durch einen elektronischen Sucher ersetzt.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die technischen Details sollen am 23. August präsentiert werden. Im Internet lässt Nikon einen Countdown bis zur Veranstaltung laufen. Aber schon Nikons Ankündigung, ernsthaft in den Markt der volldigitalen Systemkameras mit Sensoren im Kleinbildformat oder größer einzusteigen, hat unter Fotografen endlich wieder große Gefühle geweckt.

Der bekannte Fotoblogger/Youtuber Matt Granger fragte in einem seiner Youtube-Videos prompt: "Wirklich!? ... Das wird verrückt!" Kevin Raber von der renommierten Foto-Seite luminous-landscape.com beschwor sogar den "Krieg der Spiegellosen". Er hätte vielleicht besser Bürgerkrieg gesagt, da japanische Hersteller der Kameramarkt klar dominieren. Ansonsten hat Raber kaum übertrieben. Denn nachdem Nikon jahrelang Sonys rasante Expansion in der Welt der digitalen Systemkameras mit größeren Sensoren ignoriert hatte, kontert das Traditionshaus nun mit einer großen Medienkampagne. Und Canon dürfte bald folgen.

Damit schließen das faktische Duopol der klassischen Kamerawelt eine technische Lücke, die seit Jahren die Fachwelt verblüfft hat. Spiegellose Systemkameras von Panasonic, Olympus, Fujifilm und vor allem Sony eroberten die Herzen von immer mehr Fotografen, auch weil sie wie auch die Objektive leichter und kleiner waren als Vollformat-Spiegelreflexkamera. Laut der japanischen Vereinigung der Kamerahersteller hat sich der Absatz von digitalen Spiegelreflexkameras von 2012 bis 2017 auf nur noch 7,6 Millionen Stück mehr als halbiert. Derweil verloren die Spiegellosen kaum. 2017 sprang der Absatz sogar um fast ein Viertel auf 4,1 Millionen Kameras in die Höhe. Aber die beiden Platzhirsche hatten bis auf mehr oder weniger halbherzige Ausflüge in die neue Welt der digitalen Fotografie nichts zu bieten.

Nikon führte zwar schon 2011 ein spiegelloses System ein, die Nikon 1. Aber der Sensor war so klein, dass die Bildqualität nicht mit den Produkten der Rivalen mithalten konnte. Dieses Jahr wurde das System offiziell beerdigt. Canon wagte sich dann schon etwas mutiger mit der M-Serie in das Feld der Kameras mit sogenannten Crop-Sensoren vor, die kleiner sind als die sogenannten "Vollformat"-Sensoren mit ihrem traditionellen Kleinbildformat. Wenigstens in Japan ist der Konzern damit sehr erfolgreich. Aber den heiligen Gral, das Vollformatsegment, beackerte auch der Marktführer weiterhin mit seinen Spiegelreflexkameras.

Mehr Infos

Als ein wichtiger Grund gilt in der Branche, dass sowohl Canon als auch Nikon ihre großen Investitionen in Spiegelreflexkameras und vor allen Objektive nicht kannibalisieren wollten. Doch Sony hat den Rivalen spätestens 2017 einen Anstoß zum Umdenken gegeben. Denn mit seinen neuen Kameras wie der hochauflösenden A7RIII und der auf Sportfotografen ausgerichteten A9, die 20 Bilder pro Sekunde schießen kann, ohne dass der Sucher schwarz wird, bewegte der Herausforderer immer mehr Berufsfotografen zum Umstieg.

Als Platzhirsche starten Canon und Nikon den Kampf mit einem großen Vorteil. Sie verfügen über sehr viele, sehr loyale Fans, die sehr viel Geld in Objektive des jeweiligen Herstellers investiert haben. Wenn es Canon und Nikon gelingt, diese Massen für ihre neuen Kameras zu mobilisieren, können sie den Markt der Spiegellosen vielleicht von hinten aufrollen. Aber ein Selbstläufer wird die Aufholjagd nicht. Denn Sony hat die Messlatte dieses Jahr vorbeugend mit seinem "Einstiegsmodell" in die Vollformatwelt A7III sehr hochgelegt.

Die Kamera löst Bilder mit ihrem 24,2 Megapixel-Sensor Auflösung zwar nicht so hoch auf wie die Spitzenmodelle aus der Rivalen oder der A7RIII aus dem eigenen Haus auf. Aber dafür hat Sony die Spitzentechnik aus dem großen Bruder A7RIII und der A9 eingebaut und zum Kampfpreis auf den Markt geworfen. Unter 2000 Dollar kostet die Kamera – und damit gleich viel oder weniger wie spiegellose Spitzenkameras der Rivalen Panasonic, Olympus oder Fujifilm, die kleinere und damit preiswertere Sensoren haben.

Außerdem hat Sony mehrere Jahre Vorsprung bei der Produktion von speziell für den neuen Anschluss entwickelten Objektiven. Canon und Nikon fangen hingegen wie einst Sony von vorne mit dem Aufbau ihrer Produktpalette an. Natürlich dürfen Canon- und Nikon-Nutzer darauf hoffen, ihr altes Glas weiterverwenden zu können. Aber dafür brauchen sie spezielle Adapter, um die bisherige Technik an das neue System anzupassen. Und damit werden die Objektive nicht kleiner und leichter, sondern schwerer und größer. Außerdem können Besitzer von Canon-Objektive diese mit Adaptern auch Sony-Kameras verwenden. Selbst der Autofokus funktioniert dann, wenn es sich um neuere Objektive handelt.

Die Herausforderung für die traditionellen Kamerahersteller ist daher hoch. Wenn sie die von Sony hochgeschraubten Erwartungen verfehlen, droht ihnen negatives Echo in der Fotowelt. Darum müssen sie den Elektronik- und Unterhaltungskonzern technisch und preislich wenigstens nahekommen, noch besser schlagen. Das könnte gelingen. Ob sie dann allerdings genau wie Sony auch noch Geld mit ihren neuen Kameras verdienen können, steht auf einem anderen Blatt.

()