Zahlen, bitte! Die Feigenbaum-Konstante beschreibt Ordnung im Chaos

Schon einfachste mathematische Gleichungen können sich chaotisch verhalten, doch auf wundersame Weise tritt bei näherer Betrachtung auch Ordnung hervor.

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Zahlen, bitte! Feigenbaumkonstante
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Harald Bögeholz
Inhaltsverzeichnis

Löst der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas aus? So lautete in den 70er-Jahren einmal der Titel eines Vortrags von Edward Lorenz, einem amerikanischen Mathematiker, Meteorologen und Pionier der Chaostheorie. Der Begriff Schmetterlingseffekt hat sich seitdem etabliert für das Phänomen, dass sich bei einem dynamischen System wie dem Wetter kleinste Veränderungen in völlig unvorhersehbarer Weise auf das langfristige Verhalten auswirken können.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Aber man muss gar keine großen Geschütze wie Klimamodelle auf Supercomputern auffahren, um Chaos zu entdecken – ein Blick auf die Schreibtische der IT-Abteilung genügt. Spaß beiseite: Selbst einfachste mathematische Gleichungen zeigen chaotisches Verhalten, und es lässt sich sogar mit einem Taschenrechner oder mit ein paar Zeilen Code demonstrieren. Hier in Python:

a = 2.0
x = 0.2
for i in range(200):
x = a*x*(1-x)
print(x)

Das Programm beginnt mit x=0,2 und wendet darauf immer wieder dieselbe Rechenvorschrift x = 2*x*(1-x) an. Es ergibt sich eine Zahlenfolge, die sehr wenig Chaotisches an sich hat: Sie kommt schon nach wenigen Schritten zum Stillstand.

0.32000000000000006
0.43520000000000003
0.49160192
0.4998589445046272
0.49999996020669446
0.49999999999999684
0.49999999999999994
0.49999999999999994
...

Das passiert unabhängig vom Startwert von x, solange dieser zwischen 0 und 1 liegt. Was geschieht nun, wenn man statt a=2 eine andere Zahl wählt? Sie sollte zwischen 0 und 4 liegen, damit das Ergebnis der Berechnung garantiert immer zwischen 0 und 1 bleibt. Wie wäre es mit a=2,8?

0.44799999999999995
0.6924288
0.596319239405568
0.674023291536932
... 100 Zeilen weggelassen ...
0.6428571428519243
0.6428571428613177
...

Es dauert länger, bis die Folge sich einschwingt, aber anscheinend strebt sie auch hier zu einem Grenzwert, einem "Fixpunkt" der Gleichung.

Jetzt a=3,2, also die Vorschrift x = 3,2 * x * (1-x):

0.5120000000000001
0.7995392
0.512884056522752
... 28 Zeilen weggelassen ...
0.7994554904673701
0.5130445095326298
0.7994554904673701
0.5130445095326298
...

Ab hier springt die Zahlenfolge anscheinend immer zwischen zwei Werten hin und her. Für a=3,5 sind es schon vier Werte und danach wird es schnell chaotisch. Das Bild unten zeigt, wie sich die Zahlenfolge der x für verschiedene Werte von a langfristig entwickelt. Damit ist gemeint: Für festes a und einen beliebigen Anfangswert x zwischen 0 und 1 lässt man das Programm erst einmal ein paar tausend Runden drehen und zeichnet dann die nächsten paar hundert Punkte über a in dem Diagramm ein. Die orangene und die hellblaue Linie markieren die Werte für die beiden obigen Experimente.

Das Diagramm zeigt das langfristige Verhalten von x für verschiedene Werte von a in der logistischen Gleichung x=a*x*(1-x).

Bei a=3 teilt sich das Diagramm offensichtlich in zwei Zweige, bei knapp unter 3,5 in vier, danach in acht und danach wird es unübersichtlich. Würde man weiter hineinzoomen, so sähe man, dass es immer so weiter geht, 16, 32, 64 ... aber in immer kürzeren Abständen. Bis es dann im rechten Teil des Diagramms vollends ganz chaotisch wird, wobei es weiter rechts auch wieder Bereiche gibt, in denen nur wenige Zahlenwerte angenommen werden.

Bemerkenswert daran ist nicht nur, dass eine so einfache Gleichung ein derart komplexes Verhalten an den Tag legt, sondern die Ordnung in diesem Chaos. Die Stellen, an denen sich jeder Zweig der Kurve in zwei aufspaltet, heißen Bifurkationspunkte, und augenscheinlich werden die Abstände zwischen ihnen immer kürzer. Und zwar ist der nächste Abstand jeweils um ungefähr den Faktor 4,66 kürzer als der vorige.

1978 veröffentlichte der amerikanische Physiker Mitchell Feigenbaum eine Arbeit, in der er nachwies, dass die Verhältnisse der Abstände in der Tat gegen einen Grenzwert ∂ konvergieren, der seitdem nach ihm die (erste) Feigenbaum-Konstante heißt. Und das gilt nicht nur für die eine oben genannte Gleichung, sondern für eine ganze Klasse ähnlicher Iterationen, was bedeutet, dass in jedem chaotischen System, das sich durch eine solche Gleichung beschreiben lässt, dieselbe Ordnung steckt. Die Konstante ist also universell und man kennt sie heute bis auf 1018 Nachkommastellen; die ersten 10 sind 4,6692016091.

Die Mandelbrot-Menge, im Deutschen auch als Apfelmännchen bekannt, vielleicht die fotogenste fraktale Teilmenge der komplexen Zahlen ;-).

(Bild: Wolfgang Beyer, CC BY-SA 3.0 )

Eine ziemlich fotogene Teilmenge der komplexen Zahlen ist zum Beispiel die Mandelbrot-Menge, im Deutschen auch als Apfelmännchen bekannt. Nüchtern ausgedrückt ist es die Menge aller komplexen Zahlen c, für die die Zahlenfolge zn+1 = zn2 + c beschränkt ist (z0=0). Sie hat eine fraktale, selbstähnliche Struktur: Ganz gleich, wie weit man in ihre Ränder hineinzoomt, es tauchen immer neue, feinere Strukturen auf, die ähnlich zu der Form im Großen sind.

Es gibt unzählige Darstellungen des Apfelmännchens, mit verschiedenen Verfahren, es einzufärben, in eine dreidimensionale Fläche zu verwandeln und vieles mehr, und seit der Veröffentlichungen der ersten Computergrafiken 1978 wurde es zum Volkssport, möglichst schnell und tief in dieses unendlich komplizierte Bild hineinzuschauen.

Beim Zoomen in die linke Hälfte des Apfelmännchens tauchen immer wieder dieselben Strukturen auf.

Und wenn man in der linken Hälfte der Menge in die Folge von Kreisen hineinzoomt, die nach links hin immer kleiner wird, dann taucht wieder die Feigenbaum-Konstante auf: Jeder Kreis ist – im Grenzwert – um den Faktor ∂ kleiner als der rechts daneben.

Es wäre wohl vermessen zu sagen, dass in jedem Chaos Ordnung steckt. Aber die Chaostheorie hat in den letzten Jahrzehnten doch eine Menge Ordnung gefunden. (bo)