Hambacher Forst: Barrikaden und vertiefte Gräben

Bild: Gerrit Wustmann

Die Räumung kommt nicht voran, überall entstehen neue Baumhäuser, RWE hat keine Argumente mehr. Ein Ortsbesuch

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Anfangs hieß es, es existierten in mehreren Siedlungen rund sechzig Baumhäuser im Hambacher Forst. Am Sonntag verkündete die Aachener Polizei, inzwischen seien 77 Baumhäuser geräumt. Die Diskrepanz liegt nicht daran, dass man sich verzählt hat. Sondern daran, dass die Waldbesetzer jede ruhige Minute in polizeifreien Waldabschnitten nutzen, um neue Baumhäuser zu errichten.

"Endspurt"

Man sei bei der Räumung des Waldes im "Endspurt" verlautete es von der Polizei noch am Samstag. Doch danach sah es am Sonntag nicht aus. Mehr als zehntausend Demonstranten fanden sich Medienberichten zufolge im Wald ein - doppelt so viele wie in der Woche zuvor. Aber diesmal gab es statt Regen und Kälte auch strahlenden Sonnenschein bei fast zwanzig Grad.

Das dürfte noch einige mehr motiviert haben, sich auf den Weg zu machen. Und tatsächlich waren nicht nur erneut Menschen aller Alters- und Gesellschaftsschichten aus der Region um Köln und Aachen anzutreffen, sondern auch Demonstranten und Umweltschützer aus dem ganzen Bundesgebiet. Auch das ein oder andere niederländische Kennzeichen war auf den zugeparkten Zufahrtsstraßen rund um den kleinen Ort Buir zu finden.

Im Gegensatz zum irrsinnigen Polizeiaufmarsch der Vorwochen ist die Mannschaftsstärke inzwischen fast auf ein normales Maß geschrumpft - was wohl daran liegt, dass tausende Beamte am Samstag in Köln zu tun hatten, um den Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu bewachen.

Polizei und Barrikadenbau

Dennoch sind die Kontrollen an den Zugängen zum Wald deutlich verschärft worden. Jeder, der rein wollte, wurde abgetastet, Rucksäcke wurden durchsucht. Es wurde rasch klar, wonach gesucht wurde: Die Polizisten konfiszierten Schlafsäcke, Isomatten, Kletterausrüstung. Sie versuchen verzweifelt dafür zu sorgen, dass sich nicht noch mehr Menschen den Waldbesetzern dauerhaft anschließen. Aber wirklich aufzugehen scheint die Taktik nicht.

Zwar existiert das Versorgungscamp nicht mehr, das noch vor wenigen Tagen wenige hundert Meter hinter dem Waldeingang zu finden war. Dafür entsteht auf der gegenüberliegenden Seite des Pfades, unmittelbar hinter dem Absperrband der Polizei, ein regelrechtes Fort. Gräben und mehrere Ebenen von gut zwei Meter hohen Barrikaden aus schweren Baumstämmen sichern die neue Ansiedlung, in deren Zentrum sich in gut zehn Metern Höhe ein zweistöckiges Baumhaus befindet.

Protest Hambacher Forst (8 Bilder)

Bild: G.Wustmann

Bis zum frühen Abend halfen hunderte Menschen dabei, die Anlage weiter auszubauen und zu sichern - nur einen Steinwurf von den Sicherheitskräften entfernt, die nicht eingriffen und auch keine Anstalten machten, die Anlage in Augenschein zu nehmen.

Die Atmosphäre ist angespannt, aber friedlich. "Gemeinsam Verantwortung übernehmen" steht auf einem Transparent an der zweiten Barrikade. Alle packen gemeinsam mit an und helfen mit, und es ist atemberaubend, in welcher Geschwindigkeit ein Sicherheitswall entsteht, der auch mit Räumpanzern so schnell nicht überwunden sein wird.

Die Taktik ist klar: Die Räumungskräfte lange genug beschäftigen, damit an anderer Stelle längst zwei neue, ähnliche Anlagen entstanden sind, wenn die eine geräumt ist. Tatsächlich sind gleich mehrere ähnliche Bauten tief im Wald in Arbeit. Während unten kreisrund Stämme, Äste und Steine zum Schutzwall aufgeschichtet werden, hängen mehrere Kletterer in den Bäumen und bauen neue Häuser. An einer Stelle ist eine Schaukel zwischen zwei Bäume gehängt.

Entspanntes Plaudern mit den Besuchern

Dass der Protest friedlich ist, wird einmal mehr an einer der unzähligen auf den Waldwegen errichteten und besetzten Barrikaden klar, an der sich Besetzer und Polizei gegenüberstehen. Mehrmals kommt die Megafondurchsage: "Ihre Versammlung wurde aufgelöst. Wenn Sie bleiben, begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit!" Es geht ein Kichern durch die Reihen der Demonstranten. "Was kostet so 'ne Ordnungswidrigkeit?" fragt einer. "Fuffzehn Euro, glaub ich", sagt ein anderer. "Das ist ja noch ok", sagt ein Dritter.

Sie bleiben stehen. Und rund um die Barrikade werden es immer mehr Menschen, darunter auch Ältere und Familien mit kleinen Kindern. Dass die Polizei hier gewaltsam vorgehen wird, ist nicht anzunehmen. Sie würde sich komplett diskreditieren. Aber sie macht auch nicht den Eindruck, als wäre es ihr sonderlich eilig mit der Räumung. Am Rande stehen behelmte und vermummte Beamte - und plaudern entspannt mit den Besuchern.

Aktivisten und Unterstützer spielen auf Zeit

Die Aktivisten und ihre Unterstützer spielen auf Zeit. In einer Woche will RWE mit der Rodung beginnen. Dass es dem Konzern gelingen wird, den angepeilten Termin zu halten, darf bezweifelt werden. Die Braunkohlegegner haben die Faktenlage auf ihrer Seite. Egal ob Fraunhofer Institut, DIW oder Sachverständigenrat der Bundesregierung - alle kommen zu demselben Ergebnis: Die Braunkohle aus Hambach wird nicht mehr gebraucht, um den Energiebedarf zu sichern.

Die Stromversorgung ist nicht gefährdet. Damit hat die Argumentation von RWE keinerlei Grundlage mehr. Es geht nur noch um eines: Die Renditeinteressen des Konzerns. Und dass dessen Angabe, ein Verzicht auf den Hambacher Forst würde rund fünf Milliarden Euro Verlust bedeuten, stimmt, ist ebenfalls zweifelhaft.

Frontalangriff auf RWE-Image

Zudem scheint der Konzern noch nicht begriffen zu haben, welchen Frontalangriff auf sein Image der Hambacher Forst bedeutet - ein Schaden, der kaum mehr reparabel sein wird. Schon jetzt sorgt die sture, rein monetären Interessen verpflichtete Haltung des Managements dafür, dass die Kunden reihenweise kündigen und zu Ökostromanbietern wechseln.

RWE mag juristisch im Recht sein und darauf pochen - doch die juristische ist zugleich eine politische Entscheidung. Eine Fehlentscheidung unfassbaren Ausmaßes. Die Waldbesetzer hoffen darauf, dass diese Entscheidung korrigiert wird, und dass sie den Rodungsbeginn lange genug verzögern können, bis in Düsseldorf Vernunft einkehrt.

Man darf mit ihnen hoffen - denn sie kämpfen für die richtige Sache, auch wenn sie sich vorwerfen lassen müssen, dass ihre Mittel nicht immer richtig waren. Diese Erkenntnis scheint sich im Forst langsam, aber sicher durchzusetzen.

Vielleicht setzt sie sich bald auch in der Staatskanzlei durch - und sei es nur aus der Vernunft heraus, dass die astronomischen Kosten der Räumung eine in keiner Weise zu rechtfertigende Verschwendung von Steuergeldern sind.