Zahlen, bitte! Boltzmanns Konstante – von der Thermodynamik zum Einheitensystem

Ludwig Boltzmann definierte die Thermodynamik neu und öffnete die Tür zur Quantenmechanik. Nun hält seine Konstante k Einzug ins Internationale Einheitensystem.

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Zahlen, bitte! 1.380648*10-23 - die Boltzmann-Konstante
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Von
  • Andreas Stiller
Inhaltsverzeichnis

Wenn sich Mitte November das "Buro International des Poids et Mesures (BIPM)" zur Generalkonferenz (CGPM) in Versailles bei Paris trifft, erwartet man zahlreiche wichtige Entscheidungen in der Metrologie. Die spektakulärste dürfte wohl der Abschied vom Kilogramm-Prototypen sein, denn das Kilogramm wird aller Voraussicht nach mit Stichtag 20. Mai 2019 auf einer Naturkonstanten, dem Planck‘schen Wirkungsquantum fußen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Doch auch drei weitere Grundeinheiten stehen zur Neudefinition an, darunter das Kelvin als Maß für die thermodynamische Temperatur. Das war bislang über den sogenannten Triple-Punkt des Wassers definiert. Solche wohldefinierten Dreiphasenpunkte haben fast alle Stoffe, die fest flüssig und gasförmig sein können. Bei bestimmtem Druck und bestimmter Temperatur gibt es diesen Punkt im Phasendiagramm, bei dem alle drei Phasen gleichzeitig vorkommen und im Gleichgewicht stehen. Bei Wasser liegt der Punkt bei etwa 611,657 ± 0,010 Pa und bei exakt 273,16 K (0,01 °C) – exakt deshalb, weil ja das Kelvin bislang darüber definiert ist.

Nur hat das ganze einen kleinen Schönheitsfehler, denn Wasser ist nicht gleich Wasser. Klar, da gibt es stilles Wasser oder levitiertes Wasser – aber das ist hier eher weniger gemeint – sondern Wasser aus verschiedenen Wasserstoff- und Sauerstoff-Isotopen: Schweres Wasser mit Deuterium: D2O oder (weit häufiger) halbschweres Wasser HDO, überschweres Wasser mit Tritium: T2O und auch Wasser mit Sauerstoff-18. Die Isotopen-Zusammensetzung variiert dabei sehr je nach geographischer Lage, Höhe und Art (Regen-, Ozean-, Schmelz-, Flusswasser ... All die Wässer haben unterschiedliche Phasen, schweres Wasser zum Beispiel schmilzt erst bei 3,8 °).

Damit aber alle vom gleichen Wasser reden, legte man für die Kelvin-Definition seit 2005 das Vienna Standard Mean Ocean Water (VSMOW) zugrunde, mit einem genau spezifizierten Stoffmengenverhältnis. Für eine SI-Basiseinheit ist so etwas allerdings unbefriedigend, weil recht artifiziell und zu materialabhängig. Zudem ist das VSMOW nur recht aufwendig von Isotopenlaboren herzustellen (15 ml für 580 US-Dollar) und für eine Kalibrierung ist das ganze Procedere viel zu unhandlich, vor allem für Temperaturbereiche < 1 K und größer 1300 K. Hier hat man dann lieber Tabellenwerke mit zahlreichen Vergleichspunkten geschaffen.

So suchen die Metrologen schon seit langem unter dem Schlagwort Ink (Implementing the new Kelvin) nach etwas Besserem, vorne mit dabei die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig, die auch das Arbeitspanel leitet, das sich mit primärer Thermometrie für niedrige Temperaturen befasst. Schon früh hatte man die Boltzmann-Konstante als Grundlage ins Auge gefasst, denn diese liegt der allgemeinen Gasgleichung für ideale Gase zugrunde, wonach das Produkt aus Druck und Volumen proportional zur Temperatur ist.

Erst die präzisen Messungen im Jahre 2017 mit drei verschiedenen Messverfahren, die in CODATA-17 eingeflossen sind, geben die nötige Sicherheit als Grundlage für die Neudefinition der Basiseinheit Kelvin.

(Bild: Andreas Stiller)

Allerdings war ihr Wert bis vor einigen Jahren noch zu ungenau bestimmt und fußte hauptsächlich auf nur einem Messverfahren (Schallmessung mit einem akustischen Gasthermometer, AGT). Damit konnte man zwar schon in den geforderten Genauigkeitsbereich von 1 ppm vordringen, die Metrologen verlangen jedoch für eine ordentliche Basiskonstante mindestens zwei (möglichst mehr) prinzipiell unabhängige Messverfahren.

Die PTB hat dann im Jahre 2017 die gewünschte unabhängige Präzisionsmessung der Boltzmann-Konstanten mit Hilfe eines Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometers (DCGT) erzielt. Hinzu kam ein weiteres präzises Messverfahren von NIM/NIST mit einem Johnson Noise Thermometer (JNT). All diese Werte sind in den CODATA-Werten von 2017 (Committee on Data for Science and Technology) eingeflossen – da steht einer Verabschiedung des neuen Kelvins nun eigentlich nichts mehr im Wege. Die Boltzmann-Konstante hat die Maßeinheit J/K, also wird das Kelvin hinfort abhängig und zwar von den Grundeinheiten kg, m und s.

Dem österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann (1844 -1906) kommt das große Verdienst zu, Mechanik und Thermodynamik auf statistische Fundamente gestellt und damit unter anderem auch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik begründet zu haben: "Analytischer Beweis des 2. Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie aus den Sätzen über das Gleichgewicht" – so lautete der Titel seines Vortrages an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am 13. April 1871. Seine statistische Gaskinetik hat er vor dieser Akademie in mehreren Vorträgen im Jahre 1877 erläutert.

Ludwig Boltzmann, seine auf Atomen basierende Statistik wurde jahrzehntelang geradezu angefeindet - aber er hatte Recht, das musste schließlich auch Max Planck anerkennen.

(Bild: Universität Wien / Wikimedia )

Sein statistischer Ansatz setzte zwingend die Existenz von Atomen und Molekülen voraus, etwas, das in seiner Zeit allerdings noch heftig umstritten war – die Energetiker wie Ernst Mach und Wilhelm Ostwald zogen heftig gegen diese "Atomisten" zu Felde, auch Max Planck war lange kritisch, bis zu seinem geschichtsträchtigem Vortrag "Theorie des Gesetzes der Energieverteilung im Normalspektrum“ vor der physikalischen Gesellschaft in Berlin am 14. Dezember 1900, dem sogenannten "Geburtstag der Quantenphysik".

Ausgerechnet Max Planck, der der Boltzmann-Konstanten später überhaupt erst ihren Namen gegeben und der wohl als erster die berühmte Boltzmann-Gleichung in ihrer heutigen Form – so wie sie auch auf Boltzmanns Grabstein steht – aufgeschrieben hat. Das ist die Gleichung, die die makroskopische Entropie (S) proportional zum Logarithmus der Anzahl der mikroskopischen Konfigurationsmöglichkeiten für einen bestimmten Zustand (W) verknüpft:

 S = k * ln(W)

In einem "Akt der Verzweiflung" griff Planck direkt auf Boltzmanns Gaskinetik aus dem Jahre 1877 zurück – und so floß auch die Boltzmann-Konstante in die Planck’sche Strahlenformel ein. Daraus konnte Planck im Umkehrschluss die Boltzmann-Konstante mit etwa 1 Prozent Genauigkeit zu 1,346. 10-16 erg/grad bestimmen (ebenso das nach ihm benannte Wirkungsquantum zu 6,55*10-27 erg*sec).

Ironie des Schicksals: Der heftig unter Depressionen und einer nachlassenden Sehfähigkeit leidende Boltzmann nahm 1888 die Berufung als Nachfolger von Gustav Kirchhoff („Kirchhoffsche Regeln“) als Professor für theoretische Physik an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin erst an, sagte sie mit Verweis auf seine Sehprobleme wenig später aber wieder ab, um drei Tage darauf per Telegramm die Absage wieder rückgängig zu machen. Doch da war es zu spät, inzwischen war Max Planck berufen worden.

Boltzmann hatte in seinem Leben diverse Professuren in Wien und in Graz, auch in München und Leipzig. Zahlreiche Gesetze und Konstanten sind nach ihm benannt, etwa die Maxwell-Boltzmann-Verteilung, das Stephan-Boltzmann-Gesetz, die Stephan-Boltzmann- und die Boltzmann-Drude-Konstante und so weiter und so fort.

Ob denn die Depression, der Konflikt mit den Atomleugnern, seine schwere Kurzsichtigkeit oder die anderen zahlreichen Erkrankungen ihn 1906 dazu getrieben haben, sich im Alter von 62 zu erhängen – darüber kann man nur spekulieren.

Abhängigkeiten zwischen Druck und Volumen von idealen Gasen bei gleicher Temperatur waren schon von Robert Boyle und Edme Mariott im 17. Jahrhundert in ein Gesetz gegossen worden, später kamen dann die Gesetze von Gay-Lussac, Amontons und Avogadro hinzu. In der heutigen Form hat es Émile Clapeyron im Jahre 1834 ausgedrückt:

p * V = n * R * T 

mit p=Druck, V=Volumen, n=Stoffmenge, R=universelle Gaskonstante, T=Temperatur

Mit der statistischen Boltzmann-Konstanten Kb und der Avogadro-Zahl NA ( Anzahl der Moleküle pro Mol) kann man den empirischen Wert der universellen Gaskonstanten n * R auf NA * Kb zurückführen. Die Avogadro-Konstante (Zahl der Moleküle pro Mol) gab es damals 1877 aber noch nicht, aber Boltzmanns Lehrer und Freund, der Professor für Physikalische Chemie an der Universität Wien, Josef Loschmidt, hat eine Abschätzung für die Zahl der Luftmoleküle bei Normalbedingungen pro Kubikzentimeter abgegeben (später Loschmidtsche Zahl genannt).

Allerdings lag dieser etwa um Faktor 3 daneben –so dürfte dann auch die Boltzmann-Konstante damals noch ziemlich ungenau gewesen sein. Boltzmann selber hat ohnehin nie einen expliziten Wert angegeben, ihm reichte das Prinzip der Statistik und des Gleichgewichts. (mfi)