Megaprojekte: Die Größe und der Wahn

Hochhäuser, Staudämme, Flughäfen – alles wird immer größer und komplizierter. Vieles wächst den Planern über den Kopf. Nun haben Forscher herausgefunden, wie solche Projekte besser gelingen.

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Megaprojekte: Die Größe und der Wahn

Der Jeddah-Tower soll etwa 1,7 Milliarden Euro Baukosten verschlingen und 1007 Meter hoch werden.

(Bild: Foto: Jonathan Nelson/ Alamy)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Niels Boeing

Eine halbe Stunde dauert es mit der Buslinie 355 vom Tahrir-Platz, um die Mutter aller Megaprojekte zu besichtigen: die Pyramiden von Gizeh. Heute am Rande Kairos gelegen, thronen die monumentalen Bauwerke auf einem Steinplateau im Niltal bereits seit viereinhalb Jahrtausenden. 2,3 Millionen Steinblöcke wurden allein in der größten, der Cheops-Pyramide, verbaut, Gesamtgewicht: rund 5,5 Millionen Tonnen. Geschätzte 20000 bis 30000 Arbeiter haben sie in nur 20 Jahren aufgeschichtet – angesichts der damals zur Verfügung stehenden Technik eine unfassbare Leistung.

Erst mit Beginn der Industrialisierung hat die Menschheit den Ehrgeiz wiedergefunden, immer höher, größer und weiter zu bauen. In den vergangenen Jahrzehnten scheint geradezu ein Wettlauf um Megaprojekte in Gang gekommen zu sein. Der 2009 fertiggestellte Burj Khalifa schraubte die Ausmaße für das höchste Gebäude der Welt auf sagenhafte 828 Meter– und schon sollen zwei Nachfolger noch höher in den Himmel wachsen (siehe Seite 92). Überall entstehen gigantische Kraftwerke, Tunnel und Flughäfen – jüngstes Beispiel der Flughafen von Istanbul als größter der Welt. Und 2019 soll endlich der neue Europäische Druckwasserreaktor im finnischen Olkiluoto ans Netz gehen. Das frühe 21. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Megaprojekte. „Sie werden immer größer, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht“, sagt Bent Flyvbjerg, weltweit führender Forscher zum Thema Megaprojekte an der Oxford University. Ein Treiber im Zeitalter der Globalisierung ist der Ausbau der Infrastruktur. Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass bis 2030 weitere 57 Billionen Dollar weltweit in Infrastrukturprojekte gesteckt werden müssen. Erhoffte Effekte: neue Arbeitsplätze, schnellere Anbindung an den Welthandel, effizientere Dienstleistungen, gerade im Energiesektor – und, vor allem in den aufstrebenden Ökonomien des globalen Südens, auch Prestige für den jeweiligen Standort.

Würde man die Cheops-Pyramide heute 1:1 nachbauen wollen, würde dies schätzungsweise 5,5 Milliarden Dollar kosten. Und wahrscheinlich ginge es deutlich schneller als in 20 Jahren. Oder nicht? Man ist versucht zu sagen: ja klar, bei den technischen Möglichkeiten von heute. Doch wenn man die Flut von Megaprojekten der Gegenwart betrachtet, sollte man sich nicht mehr so sicher sein. Gemeinsam ist all den superehrgeizigen Bau-, Infrastruktur- und Technologieprojekten mit einem Budget von einer Milliarde Dollar und mehr, dass sie so gut wie immer deutlich teurer und sehr viel später als geplant fertig werden. Der Flughafen Berlin-Brandenburg ist derzeit ein berühmtes Beispiel. Aber er ist natürlich nicht das einzige. Der Europäische Druckwasserreaktor in Olkiluoto wird acht Jahre später fertig. Die berühmte Oper in Sydney hatte zwei Jahre Verzug. Meist übersetzt sich der Verzug in massiv steigende Kosten. „Je nach Projektart liegen die Kostensteigerungen bei 70 bis 90 Prozent“, sagt Flyvbjerg. Seine Zunft hat akribisch Daten zu den Megaprojekten der vergangenen 90 Jahre zusammengetragen. Sein Fazit: „Die Dinge werden nicht besser.“

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 84 - Hintergrund: Sinn und Sinnlosigkeit von Großprojekten weltweit

Seite 91 - Erfolgsmodell: Forscher Bent Flyvbjerg erklärt, wie Megaprojekte gelingen

Seite 92 - Prestige: Wettlauf um den ersten 1000-Meter-Turm

Seite 96 - Umstritten: Chinas Rolle in Afrika – Kooperation oder Kolonialismus?

(nbo)