ICOs: Ein Jahr später

Mit dem Verkauf von digitalen Münzen haben Start-ups im vergangenen Jahr viele Milliarden Dollar Kapital aufgenommen. Für die Geldgeber aber hat sich das laut einer Studie keineswegs ausgezahlt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
ICOs: Ein Jahr später

(Bild: "08" / goodegg0843 / cc-by-2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Im August 2018 erklärte sich Digipulse zum Opfer eines Hypes, den es selbst mit angefeuert. Ende 2017 hatte das Start-up in einem Initial Coin Offering (ICO) über die Blockchain-Plattform Ethereum rund 25 Millionen Dollar eingenommen, um einen Dienst für das sichere Vererben digitaler Vermögenswerte aufzubauen. Doch auch andere ICOs waren zu dieser Zeit gefragt, sodass der Preis für Ethereum-Einheiten in die Höhe schoss. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Nutzung des Netzwerks zu teurer für Digipulse wurde.

Mehr Infos

Also dachte das junge Unternehmen radikal um: Statt in einer Blockchain speichert es Daten jetzt klassisch auf Cloud-Servern, und wer den Dienst nutzen will, kann nur noch in Dollar statt mit Kryptogeld bezahlen. Damit kann man die Blockchain-Pläne von Digipulse getrost als gescheitert ansehen.

Trotzdem aber zählt das Unternehmen zu den positiven Ausnahmen im ICO-Jahrgang 2017, denn immerhin existiert es noch und hat ein konkretes Produkt entwickelt. Bei der Mehrheit dagegen sieht es anders aus: Die Wirtschaftsprüfungsfirma hat sich die 110 größten ICOs von 2017 angesehen und festgestellt, dass 71 Prozent von ihnen bis Oktober 2018 weder ein fertiges Produkt noch einen Prototypen vorzuweisen hatten.

Auch der Wert der von ihnen ausgegebenen digitalen Münzen lag in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle – hier bildet Digipulse keine Ausnahme – deutlich unter ihrem ersten Börsenpreis. Wer am 1. Januar 2018 in ein Portfolio der untersuchten ICO-Münzen investiert hätte, hätte bis Oktober einen Verlust von 66 Prozent verzeichnet.

„Über ICOs finanzierte Unternehmen scheinen aufgrund einer Reihe von Faktoren höhere Risiken aufzuweisen“, schreiben die EY-Experten dazu. Dabei hatten Forscher des Boston College noch in diesem Sommer berechnet, dass Investitionen in ICOs im Durchschnitt hohe Renditen erbringen. Doch diese Betrachtung umfasste nur einen kurzen Zeitraum. Wie es derzeit aussieht, wird die Ernüchterung umso größer, je mehr Erfahrungen mit ICOs gesammelt werden.

Passend dazu scheint der ICO-Hype – parallel zu den Kursverlusten bei den meisten Kryptowährungen – allmählich deutlich abzuflauen. Zwar wurden im dritten Quartal 2018 mit ICOs immer noch rund 2,4 Milliarden Dollar aufgenommen. Das allerdings war nur noch gut halb so viel wie im Vorquartal und nur etwa ein Fünftel des Volumens im ersten Quartal, das bei fast 11,5 Milliarden Dollar gelegen hatte.

Tatsächlich aber sind die von EY ermittelten Zahlen nicht so schlecht, wie sie auf den ersten Blick erscheinen könnten. 71 Prozent ohne Produkt oder Prototypen bedeutet andersherum, dass 29 Prozent der ICOs ihre Pläne zumindest zum Teil bereits umgesetzt haben.

Auf diesen Punkt verweist Alex Lielacher von der Krypto-Marktforschungsfirma Brave New Coin. Er vergleicht ICOs mit dem „seed funding“, also der ersten Startfinanzierung durch Wagniskapitalgeber – in dieser Phase hätten normale Start-ups meist ebenfalls nur Spekulationen und theoretische Überlegungen zu bieten.

Während die Zahl der seed-finanzierten Projekte in den USA seit 2009 rapide gestiegen sei, habe es bei den Anschlussfinanzierungen kaum eine Zunahme gegeben.

Für Lielacher zeigt das, wie schwierig es nicht nur für ICO-finanzierte Unternehmen ist, von der Start-Phase zu einem vermarktbaren Produkt zu kommen. Er erinnert daran, dass nach einer Daumenregel aus der Wagniskapital-Branche rund 90 Prozent aller von ihr finanzierten Start-ups scheitern. Vor diesem Hintergrund sehe die bisherige Erfolgsquote der von EY untersuchten ICOs gar nicht mehr so erschreckend aus.

Auch die EY-Experten weisen darauf hin, dass schon bei früheren technischen Revolutionen viele Unternehmen gescheitert seien. Und bei anderen, denen es besser erging, habe es eine Weile gedauert, bis sie so weit gereift waren, dass sie als Investition für eine breite Palette von Anlegern in Frage kamen. In der Zwischenzeit, so ihre Prognose, werde sich das Interesse an ICO wohl von Privatanlegern zu Profis verschieben, „die wissen, welche Abwärtsrisiken bestehen, und damit umgehen können“.

(sma)