"Aufbruch zum Mond": Space-Porn nicht nur für Geeks

Damien Chazelles "First Man" folgt der gleichnamigen Biografie von James R. Hansen und zeichnet den Lebensweg Neil Armstrongs bis auf den Mond nach.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 202 Kommentare lesen
"Aufbruch zum Mond": Space-Porn nicht nur für Geeks

(Bild: Universal Films)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Houston, Tranquility Base here. The Eagle has landed.

Am 20. Juli 1969 um 20:17:58 Uhr (UTC) meldet der Kommandant von Apollo 11 Vollzug. Ewig lange Sekunden vorher hat die Landefähre "Eagle" auf dem Mond aufgesetzt. Im Kontrollzentrum in Houston bricht der Jubel aus. Die Mission ist jetzt schon ein Erfolg. Ein paar Stunden später betritt Neil Armstrong als erster Mensch den Mond und sagt seinen berühmtesten Satz: "Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein gewaltiger Sprung für die Menschheit."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der erste Mensch auf dem Mond. Es ist dieser Moment, auf den "Aufbruch zum Mond" hinarbeitet. Der Film von Damien Chazelle, der zuvor mit dem gefühligen Retrokitschmusical "La La Land" für Furore gesorgt hat, beruht auf der Biografie "First Man", in der James R. Hansen neben der erwartbaren Heldenerzählung auch dem etwas komplizierten Privatleben dieser amerikanischen Ikone nachgeht. Was den deutschen Verleih geritten hat, auf den catchy Originaltitel für ein piefiges "Aufbruch zum Mond" zu verzichten, bleibt sein Geheimnis.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Immerhin: "Aufbruch zum Mond" klingt wie ein billiger Science-Fiction-Streifen aus Opas Jugend – das Jahrzehnt stimmt also schon mal. Es sind die Sechziger: Das amerikanische Selbstbewusstsein ist durch das erfolgreiche sowjetische Raumfahrtprogramm mit dem Sputnik und Juri Gagarins Raumflug reichlich angeknackst.

Die gerade gegründete Raumfahrtbehörde NASA sollte den Vorsprung der Sowjets aufholen. Mit dem Mercury-Programm wird Alan Shepard 1961 der erste US-Amerikaner im All. Das Nachfolgeprogramm Gemini dient der Vorbereitung für das bereits angelaufene Apollo-Programm, mit dem es die Amerikaner den Sowjets so richtig zeigen wollten: Ein Flug zum Mond.

Aufbruch zum Mond (20 Bilder)

Neil Amstrong (Ryan Gosling) arbeitet als Ingenieur und Testpilot.
(Bild: Universal)

Für Gemini bewarb sich auch ein gewisser Neil Armstrong. Der Luftfahrtingenieur und ehemalige Navy-Pilot mit Kampferfahrung wird 1962 in die zweite Astronautengruppe nach dem Mercury-Team aufgenommen. Damit beginnt seine NASA-Karriere, die ihren Höhepunkt in diesen Sätzen für die Ewigkeit haben wird – die aber auch von den schweren Rückschlägen profitiert, die das ambitionierte US-Raumfahrtprogramm erleidet.

"First Man" beginnt mit einem Testflug der X-15. Wir sitzen mit Neil Armstrong (Ryan Gosling) im Cockpit, wenn der experimentelle Jet unter dem Flügel eines B-52-Bombers auf Flughöhe gebracht wird, nur um von da noch weiter aufzusteigen. Und wir werden Zeuge, wie etwas schiefgeht – und Armstrong diese Krise meistert. Damit beleuchtet Chazelle die eine Seite: Armstrong als erfahrener Pilot und kühler Problemlöser.

Parallel erzählen Chazelle und Drehbuchautor Josh Singer ("Spotlight") Episoden aus Armstrongs Privatleben. Hier versagen seine analytischen und technischen Fähigkeiten. gegenüber der schweren Krankheit seiner Tochter, die mit nur zwei Jahren stirbt, ist er machtlos. Auch in der Beziehung mit seiner meinungsstarken Frau Janet (Claire Foy) zeigen sich Armstrongs Defizite.

Die erste Mondlandung (15 Bilder)

Der Start

Am 16. Juli 1969 hatte eine Saturn V die drei Astronauten in Richtung Mond geschossen.
(Bild: NASA)

Chazelle hat schon mit "La La Land" sein Faible für diese amerikanische Epoche dokumentiert und auch für "First Man" findet er schöne Bilder von kernigen Männern mit ihren Familien in gesichtslosen Militärsiedlungen. Das ist alles toll ausgestattet und fotografiert (Kamera: Linus Sandgren). Von Chazelles Liebe zum Detail profitieren aber auch die Szenen mit den Astronauten in ihren Kapseln.

Das sind die stärksten Momente von "First Man": Wenn die Kamera den Astronauten in ihrem analogen Technikkäfig ganz nah auf die Pelle rückt. Das Metall knackt, knirscht und knarzt unter den enormen Belastungen. Chazelle vermittelt hier sehr eindrücklich, was für Blechbüchsen diese Astronauten ihr Leben anvertraut haben – und was für eine technische Leistung diese Raumfahrtprogramme waren. So hat man das bisher noch nicht gesehen.

Es ist typisch für unsere Zeit, dass selbst ein Dokudrama über eine der größten Leistungen der Menschheitsgeschichte für eine politische Kontroverse instrumentalisiert wird. "First Man" wird in den USA für mangelnden Patriotismus kritisiert, weil er auf die Szene verzichtet, in der Armstrong und Buzz Aldrin (Corey Stoll) die US-Flagge auf den Mond setzen. Der echte Aldrin gleicht diese Lücke auf Twitter aus.

Der Zuschauer sieht stattdessen, wie Armstrong das Armband seiner toten Tochter auf dem Mond zurücklässt. Ob das stimmt, wissen wir nicht genau. Hansen hält es in seiner Biografie für möglich. Vielleicht werden wir es im Jahr 2020 erfahren, dann endet die Geheimhaltung für die Liste der persönlichen Gegenstände, die Armstrong auf die Mission mitnahm.

Die Filmemacher erklären das mit der künstlerischen Entscheidung, der ohnehin bekannten Geschichte eine neue Perspektive abzugewinnen: die Innenansicht eines amerikanischen Helden. Doch auch diese Innenansichten illustriert Chazelle wie beiläufig mit den ikonografischen Bildern der Apollo-Missionen, die sich in das kollektive Bewusstsein eingebrannt haben. Dass er ausgerechnet auf die Flagge verzichtet, darf also als Statement gesehen werden.

"First Man" ist toller Technik-Porn für Space-Geeks. Es ist nur ein bisschen schade, dass Chazelle und Singer ihre Geschichte nach dem Höhepunkt der erfolgreichen Mondlandung etwas hastig zu Ende bringen – schließlich war jede Etappe dieser Mission spannend. Doch so muss der Zuschauer auf Buzz Aldrins Filzstift verzichten.

Abgesehen von solchen Kleinigkeiten hat "First Man" eine zentrale Schwäche – und die hört auf den Namen Ryan Gosling. Der Film ist bis in kleinste Nebenrollen toll besetzt (u.a. Lukas Haas, Jason Clarke, Kyle Chandler, Olivia Hamilton). Dagegen fällt die Hauptfigur leider ab. Aus dem etwas zurückhaltenden, höflichen Nerd Armstrong macht Gosling den schweigsamen Loner, den er in schon vielen Filmen zuvor gegeben hat. Gosling bleibt immer Gosling und gibt nur selten den Blick auf Neil Armstrong frei.

Aufbruch zum Mond ist ab dem 8. November im Kino. Wer die Möglichkeit hat, die IMAX-Fassung zu sehen, sollte das tun. (vbr)