Grenzüberschreitende Kritik an biometrischer Gesichtserkennung in Sachsen

In einem 30 km breiten Grenzgebiet in Sachsen sollen Bürger per Videoüberwachung biometrisch erfasst werden. Bürgerrechtsorganisationen kritisieren den Plan.

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Grenzüberschreitende Kritik an biometrischer Gesichtserkennung in Sachsen

(Bild: pixabay.com)

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Im Entwurf des Sächsischen Polizeigesetzes soll mit Paragraph 59 eine automatisierte biometrische Gesichts- und Bewegungserkennung mit automatischem Datenabgleich auf öffentlichen Straßen ermöglicht werden. Laut Entwurf darf die Polizei "personenbezogene Daten durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erheben sowie Informationen über Ort, Zeit und Verkehrsrichtung der Nutzung erfassen, um diese automatisiert mit anderen personenbezogenen Daten abzugleichen". In der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich von biometrischen Daten die Rede, womit eine automatisierte Gesichtserkennung von Passanten etwa an Bahnhöfen und Brücken möglich werden würde.

Die Grundrechteorganisation Digitalcourage, ihre tschechische Partnerorganisationen IURE und die polnische Panoptykon Foundation kritisieren diese Pläne scharf. Neben der vorgesehenen Gesichtserkennung stößt der geplante Einsatz von V-Personen und die Ausrüstung der Polizei mit Maschinengewehren auf Kritik von Digitalcourage.

Zum Grenzgebiet zählt das Gesetz einen 30 Kilometer breiten "Streifen" entlang der Grenze zwischen Dresden und Chemnitz. Erfasst werden damit die Landkreise Görlitz, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der Erzgebirgskreis, weite Teile des Vogtlandkreises sowie des Landkreises Mittelsachsen. Nach Auffassung von Friedemann Ebelt von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage verhängt die geplante Grenzüberwachung damit "über große Teile Sachsens eine Art Ausnahmezustand und ist ein Akt des Misstrauens gegenüber unseren tschechischen und polnischen Nachbarn."

Zur geplanten Überwachungszone gehört fast die Hälfte der gesamten Fläche des Freistaats. Der laut Gesetz vorgesehene "30-Kilometer-Grenzstreifen" erstreckt sich zwischen Dresden und Chemnitz.

(Bild: Hochschulpiraten Dresden)

Der Entwurf sieht einige Einschränkungen der Gesichtserkennung vor, damit diese "weder einzeln noch in der Kombination flächendeckend oder im Dauerbetrieb erfolgt." Außerdem müsste die Staatsregierung prüfen, ob die Maßnahmen erforderlich sind und dem Landtag darüber berichten. Ebelt hält das für nicht ausreichend und weist darauf hin, dass die schwarz-rote Landesregierung keine Begründung für die gesetzliche Neuerung geliefert hat.

Er geht davon aus, dass mildere Mittel als Alternativen für die geplante Grenzüberwachung nicht geprüft wurden und dass eine notwendige Datenschutzfolgeabschätzung nicht erstellt wurde. Es gebe keinen Nachweis dafür, dass die bereits bestehende anlassbezogene mobile automatisierte Kennzeichenerkennung nicht ausreicht. Im März 2018 teilte die Polizei Sachsen mit, dass die Zahl der Straftaten "in den Gemeinden entlang der sächsischen Außengrenze zu Polen und Tschechien so niedrig (ist), wie seit zehn Jahren nicht mehr".

Jan Vobořil von der tschechischen Bürgerrechtsorganisation IURE erklärte gegenüber heise online, dass IURE Digitalcourage mit der Kritik am geplanten Polizeigesetz unterstütze. Die Videoüberwachung mit automatisierter Gesichtserkennung entlang der tschechischen und polnischen Grenze sei ein Angriff auf die Privatsphäre der Menschen, die die Grenze überqueren. Vobořil weist darauf hin, dass die geplante Maßnahme mit den Schengen-Regeln in Widerspruch steht, da eine derartige Kontrolle nur für eine vorübergehenden Zeitraum, aber nicht als Langzeitmaßnahme möglich sei. IURE und Abgeordnete der tschechischen Piraten-Partei kündigten an, sich in der Sache an den tschechischen Außenminister Tomáš Petříček zu wenden.

Wojciech Klicki, Leiter der Rechtsabteilung der polnischen Panoptykon Foundation, schließt sich der Kritik an: "Der Einsatz von Systemen zur Gesichtserkennung bedeutet, dass jede Person als potenziell verdächtig behandelt wird. Diese Pläne demonstrieren einen Mangel an Vertrauen zwischen polnischen und deutschen Polizeibeamten." Die Personenerfassung könne nur in konkreten und begründeten Einzelfällen gerechtfertigt sein. In allen anderen Fällen seien solche Systeme "im Kern ein Mittel der Massenüberwachung der lokalen Bevölkerung und Pendler aus Polen."

Am heutigen Montag äußern sich verschiedene Experten im Sächsischen Landtag in einer Anhörung zu dem Entwurf, wobei die drei Organisationen nicht geladen wurden. Amnesty International kritisiert in seiner Stellungnahme für die Anhörung, dass der Gesetzesentwurf gleich an mehreren Stellen gegen Menschenrechte verstößt. Problematisch seien vor allem die unbestimmten Kriterien, nach denen die Polizei Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverbote erlassen können soll – ohne Verfahren und Prozess. So genügt es, wenn die Polizei aufgrund bestimmter "Tatsachen" und einem "individuellen Verhalten" einer Person annimmt, dass sie in absehbarer Zukunft eine bestimmte Straftat begehen könnte. "Welche Anhaltspunkte als Zeichen für eine spätere Gefährlichkeit gewertet werden, wird an keiner Stelle konkretisiert“, kritisiert Amnesty in seiner Stellungnahme und fragt: "Reicht die Teilnahme an einem Vereinstreffen? Ein Posting in sozialen Netzwerken?"

Überdies darf die Polizei mehrere Maßnahmen gleichzeitig treffen: So erlaubt die Ausschreibung bestimmter Personen zur polizeilichen Beobachtung auch die Erfassung des Kfz-Kennzeichens und der biometrischen Daten. Wer ausgeschrieben werden darf, darf auch gleich durchsucht werden. Amnesty: "Die Kombinationen mehrerer Polizeimaßnahmen lässt befürchten, dass die menschenrechtliche Beeinträchtigung am Ende unverhältnismäßig ist." (tiw)