Was ist schädlicher: Fett oder Zucker?

Für eine Gruppe von US-Forschern gibt es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage. Sie glauben, das optimale Nährstoffverhältnis ist individuell.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Endgültig geklärt ist die Frage nicht: Ist für die Entstehung von Übergewicht eher ein Zuviel an Fett oder der übermäßige Konsum von Kohlenhydraten verantwortlich? Unter den US-Forschern herrscht in diesem grundsätzlichen Punkt weiterhin Uneinigkeit. "Es gibt viele Themen auf dem Feld der Ernährung, bei denen viele Kollegen gegensätzliche Positionen vertreten", räumt Harvard-Professor David Ludwig ein, der jetzt sowohl im British Medical Journal (BMJ) als auch in einem Sonderheft der Zeitschrift Science zum Thema "Ernährung und Gesundheit" gemeinsam mit anderen Experten Beiträge zu genau dieser Grundsatzfrage publiziert hat. Ludwig scheint es vor allem ein Anliegen zu sein, die festgefahrene Forschung wieder zu beleben.

Dabei geht es ihm um fundierte, wissenschaftlich gut abgesicherte Anworten: "Ernährung und die menschliche Physiologie sind viel komplizierter als Kernphysik", betonte Ludwig gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian. Im Detail fordert der Forscher mehr Untersuchungen hinsichtlich der Ernährung und ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit. Äußerst interessant sind aber bereits die Ergebnisse jener Studie, die Ludwig jetzt gemeinsam mit Kollegen anderer amerikanischer Institutionen im BMJ veröffentlichte: Sie legen die Vermutung nahe, dass die sogenannte ketogene Ernährung – fettreich und kohlenhydratarm – Stoffwechselvorteile bieten kann, die über jene einer moderaten Kohlenhydratbeschränkung hinausgehen, und zwar insbesondere bei Diabetes.

An der Studie nahmen 164 übergewichtige oder fettleibige Menschen teil, deren Gewicht zunächst in einem ersten Schritt um zwölf Prozent reduziert wurde. Anschließend wurden die Probanden in drei Gruppen aufgeteilt und erhielten 20 Wochen lang eine Ernährung mit einem hohen, mittleren oder niedrigen Anteil an Kohlenhydraten: Das Verhältnis waren erstens je 20 Prozent Kohlenhydrate und Protein sowie 60 Prozent Fett oder zweitens jeweils 40 Prozent Kohlenhydrate und Fett sowie 20 Prozent Protein – oder drittens 60 Prozent Kohlenhydrate und nur jeweils 20 Prozent Protein und Fett.

"Wir fanden heraus, dass die Art der Ernährung einen großen Einfluss auf den Stoffwechsel der Menschen hatte", sagte Ludwig jetzt dem US-Fernsehsender CNN. "Diejenigen mit der kohlenhydratarmen Diät verbrannten etwa 250 Kalorien pro Tag mehr als jene mit der kohlenhydratreichen Diät." Für den Ko-Direktor des New Balance Foundation Obesity Prevention Center am Boston Children's Hospital demostrieren diese Ergebnisse einmal mehr, dass aus metabolischer Sicht nicht alle Kalorien gleich sind: "Für den langfristigen Erfolg kann die Einschränkung von Kohlenhydraten daher eine bessere Strategie sein", so Ludwig.

Das ist Wasser auf die Mühlen all jener, die die seit Mitte des vorigen Jahrhunderts in den USA ausgegebenen Ernährungsrichtlinien kritisieren. Lange Zeit wurde vor allem Fetten und Ölen eine gesundheitsschädigende Wirkung zugeschrieben. Eine Auffassung, die von der Zuckerlobby bis heute mit allen Kräften gestützt wird. Dennoch versuchen Ludwig und seine Mitstreiter in ihrem Science-Artikel, diese Grabenkämpfe hinter sich zu lassen: Die Autoren weisen daraufhin, dass "sowohl kohlenhydratreiche, fettarme als auch kohlenhydratarme, fettreiche Diäten Vorteile für verschiedene Populationen oder für unterschiedliche klinische Ergebnisse" haben können. Die entscheidende Herausforderung sei vielleicht, das optimale Nährstoffverhältnis für eine Person zu identifizieren.

Die Forscher sehen trotz einiger Übereinstimmungen noch viele offene Fragen – zum Beispiel die nach der Rolle und der Wirkung von Fetten und Fettsäuren oder der Cholesterinwerte. Vielleicht gelingt es ja, die alten Kontroversen zu begraben und sich endlich an die Beantwortung der wichtigen, drängenden Fragen zu machen. Denn allen bisherigen Erkenntnissen zum Trotz sind den Wissenschaftlern zufolge inzwischen fast Dreiviertel der erwachsenen US-Bürger übergewichtig oder fettleibig. (inwu)