Kommentar zum Internet Explorer: Ein Gespenst geht um im World Wide Web

Das Leben könnte so schön sein für den Webentwickler von heute - gäbe es da nicht den Internet Explorer, den Wiedergänger unter den Browsern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 763 Kommentare lesen
Kommentar zum Internet Explorer: Ein Gespenst geht um im World Wide Web
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Claudia Rülke
Inhaltsverzeichnis

Ein jubelndes "Yahoo!" tönte durch die Reihen von Designern und Webentwicklern, als Microsoft am 12. Januar 2016 alle alten Versionen des Internet Explorer zur Ruhe bettete und für Windows 10 die Browser-Neuentwicklung Edge ins Leben rief. Auch für den IE 11 schien das letzte Stündlein geschlagen zu haben. Der Browser, so Microsoft, werde nicht mehr weiterentwickelt, es gäbe nur noch Sicherheitsupdates.

Ein Kommentar von Claudia Rülke

Claudia Rülke ist Webentwicklerin bei der fidion GmbH, einem Anbieter eines Content-Management-Systems für Zeitungsverlage. Neben HTML und CSS gilt die Leidenschaft der ehemaligen Übersetzerin und Online-Redakteurin alten Point&Click-Adventures – und Cat Content.

Zwei Jahre sind seitdem ins Land gezogen – und noch immer geistert der Browser, einem ZombIE gleich, durch die Webseiten, inzwischen mehr schlecht als recht. Denn während Chrome, Firefox und Opera ständig neue Features präsentieren und Safari sowie Edge mehr oder weniger zeitnah nachziehen, wird der Graben zwischen den modernen Browsern und dem IE 11 mit jedem Tag tiefer.

Das Leben könnte so schön sein für den Webentwickler von heute. Wir leben in einer Zeit der Fülle. Ständig werden wir mit neuen, praktischen Features in puncto HTML5 und CSS3 erfreut – nur um dann mit Grausen festzustellen, dass wir diese nicht nutzen können – aufgrund eines einzigen Browsers, für den die Zeit stehengeblieben ist.

Darf ich Ihnen einige meiner Lieblings-Beispiele nennen?

  • Srcset and sizes: Diese Attribute des img-Tags sind Voraussetzung für die optimalen Darstellung von responsiven Bildern. srcset listet die alternative Bildgrößen als Set von Bildern, unter denen der Browser sich ein Bild auswählen kann und sizes spezifiziert die Bedingungen, zu denen der Browser das Bild aussucht, zum Beispiel nach Größe und Pixeldichte des Monitors. Knackscharfe Bilder für alle Auflösungen und Viewportgrößen – ein Traum!
  • CSS3 object-fit: Diese Methode spezifiziert, wie ein Objekt (Bild oder Video) sich in den umgebenden Container einpassen soll. Dies ist besonders hilfreich bei Bildern, um verzerrte Darstellungen zu vermeiden. Hierauf haben wir vor allem beim responsiven Design lange gewartet.
  • CSS Variablen: Für mich eine der besten Neuerungen der letzten Jahre. Endlich kann man Variablen im CSS selbst definieren und einsetzen. Gerade im Hinblick auf Farben (oder auch andere immer wiederkehrende Designbausteine) ein unschätzbarer Vorteil. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit Suchen und Ersetzen die Stylesheets durchkämmen musste, weil ein globaler Wert, der an vielen Stellen im CSS verwendet wird, geändert wurde.
  • CSS Grid Layout: Layoutträume werden wahr! Endlich ein brauchbares, flexibles Grid-System, ohne lästige Floats, mit schlankem Code und unendlichen Möglichkeiten. Und ja... sicherlich könnte man hier beim IE die alte Implementierung mit eigenen Präfixen verwenden. Aber zum ersten funktioniert diese Lösung teilweise anders als das "moderne" Grid und zum anderen wollen wir durch die Verwendung doch gerade aufgeblähten Code und CSS im Zaum halten.

Wenn Sie das ganze Ausmaß des Elends ertragen können, hier einmal ein Vergleich der unterstützen Features allein im Bereich HTML und CSS zwischen dem aktuellen Chrome und dem IE11.

Falls es Sie immer noch nicht gruselt: Haben Sie schon einmal versucht, ohne Fluchen und Haareraufen den Code mit den IE-Developer-Tools zu debuggen? Das macht Laune, oder?

Von unsäglichen Schrecken wie Polyfills und zusätzlichen Browserhacks, die den Code und das CSS aufblähen, und bei denen der nächste Entwickler verzweifelt herauszufinden versucht, was da eigentlich vor sich geht, ganz zu schweigen.

Da muss doch die Frage erlaubt sein: Warum sollte man sich, vielleicht noch auf Jahre hinaus, durch einen veralteten Browser vom Einsatz neuer Techniken und Methoden abhalten lassen, die neue Möglichkeiten eröffnen und viel Zeit sparen?

Wenn es nach mir ginge (und ich bin in dieser Sache zugegebenermaßen nicht ganz unvoreingenommen): ein eindeutiges und freudiges: "Ja, ich will!"

Aber nicht so schnell! Wir sind ja hier im World Wide Web, einem geheimnisvollen Reich in dem man noch heute im Quellcode mancher Webseiten geradezu archäologische Funde zutage fördern kann. Lachen Sie nicht, ich exhumiere im Code zahlreicher Seiten auch heute noch folgendes Relikt:

<!--[if IE 8]>
<style>...</style>
<![endif]-->

Denken wir also an die Millionen von Besuchern unserer Webseiten, die sich enttäuscht, wenn nicht gar erbittert von uns abwenden werden, weil die Seiten im Explorer keinen erfreulichen Anblick mehr bieten. Die entgangenen Einnahmen, die schlechte Customer Experience, die gebrochenen Herzen... nicht auszudenken!

Oder doch? Werfen wir doch einmal einen Blick darauf, wie viele Nutzer in Deutschland den IE denn noch aktiv in Verwendung haben.

Laut Statcounter entfallen in Deutschland rund 45 Prozent aller PageViews auf PCs auf Chrome, 27 Prozent auf Firefox, 9 Prozent auf den IE11, 7 Prozent auf Edge und 7 Prozent auf Safari. Das bedeutet im Umkehrschluss: Mehr als 90 Prozent der von PC-Nutzern in Deutschland generierten Seitenaufrufe fanden ohne den IE statt.

Wer sind diese 9 Prozent, und vor allem warum sind sie?

Auf den IE gekommen sind momentan noch Nutzer des Windows Betriebssystems Windows 8.1 und 7. Laut dem Plan zum Lebenszyklus von Windows (Version Oktober 2018) läuft der erweiterte Support für Windows 7 am 14. Januar 2020 und der für Windows 8 am 10. Januar 2023 endgültig ab. Dann sollte schon aus Sicherheitsgründen auch der letzte IE in die ewigen Jagdgründe eingehen.

Es spräche natürlich nichts dagegen, auch auf diesen Systemen schon heute einen alternativen Browser wie zum Beispiel Chrome zu nutzen. Woran könnte es also liegen, dass es trotzdem noch Nutzer gibt, die so wechselunwillig sind?

An dieser Stelle begebe ich mich in das Reich der Spekulation und der Anekdoten. Einige Dinge, die mir diesbezüglich jedoch immer wieder zu Ohren kommen, sind folgende:

  • Unkenntnis: es gibt in Tat Nutzer, die wenig technikaffin sind und den IE hauptsächlich deshalb weiternutzen, weil er eben schon vorinstalliert daherkam. Sich einen alternativen Browser zu installieren, mutet diesen Usern eventuell etwas unheimlich an.

    Hier kann man aber durchaus hilfreich zur Seite stehen. Es gibt Werkzeuge wie Browser-Update.org, die Webseiten-Besucher unaufdringlich benachrichtigen, dass sie ihren Browser aktualisieren sollten, um Ihre Webseite zu nutzen.
  • Firmen, Ämter und Behörden: Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt... genauer gesagt, gebrowsed was auf den Rechner kommt. Und was da drauf kommt, bestimmt die firmeninterne IT-Abteilung, die sich auch der Wartung annimmt.

    Einer der Gründe hierfür mag sein, dass in vielen Unternehmensnetzen noch Anwendungen zum Einsatz kommen, die ActiveX oder Silverlight benötigen. Hierfür ist wohl der Internet Explorer immer noch Voraussetzung. Darüber hinaus ist es der IT wohl auch möglich, den IE über bestimmte Richtlinien leichter firmenweit steuern und berechtigen zu können als andere Browser.

    Wobei sich an dieser Stelle natürlich der Einwand vorbringen ließe, dass auf diesen Rechnern ohnehin besser keine privaten Webseiten angesteuert werden sollten.

Sollen – oder müssen – wir also Rücksicht nehmen?

Gehen wir einmal davon aus, dass es auf unseren Webseiten mit der Nutzerverteilung ähnlich aussieht, wie in der obigen Statistik. Dann überlegen wir, wie viele Einnahmen (und ich meine tatsächliche Einnahmen, nicht Klicks oder Views) diese 9 Prozent der Nutzer generieren und welche zusätzlichen Kosten diesen entgegenstehen.

Diese Kosten sind mitunter nicht unerheblich. Zusätzlicher Code, zusätzliches Debugging, zusätzliche Browsertests... und das jedes Mal, wenn Aktualisierungen und Erweiterungen am Design Ihrer Seite vorgenommen werden. Erfahrungsgemäß kann dies 10 bis 30 Prozent zusätzliche Entwicklungszeit mit sich bringen.

Die Frage, es zu beantworten gilt, ist: bringt es in finanzieller Hinsicht ein Plus oder ein Minus, unsere Webseite auch weiterhin für den IE 11 zu supporten?

Wenn Sie eine Webseite betreiben, dann können Sie diese Entscheidung selbst treffen.

Wenn Sie Designer sind, dann bleibt Ihnen höchstwahrscheinlich nur, ihren Kunden das Für und Wider darzulegen.

Unser Unternehmen arbeitet derzeit an einem kompletten Relaunch des Designs für das Backend unseres Content-Management-Systems und haben uns dazu entschlossen, den Cut zu wagen und den IE nicht mehr zu berücksichtigen.

Wenn Sie bis zu dieser Stelle des Textes (ob mit oder ohne IE) vorgedrungen sind: vielen Dank für Ihre Geduld. Und lassen Sie mich abschließend noch einmal persönlich werden.

Falls Sie noch zu den Nutzern des Internet Explorers gehören und dazu gezwungen werden: Mein Beileid, ich fühle mit Ihnen.

Falls Sie Explorer-Nutzer aus Leidenschaft sind: Tun Sie Ihren Unmut kund, schimpfen Sie ruhig auf mich, das ist schon in Ordnung. Aber tun Sie mir einen Gefallen: Installieren Sie sich einen Browser. (mho)