Kommentar: Die CeBIT starb am Selbstmord auf Raten

Erst mit Business-Wahn, dann mit Event-Kasperei hat sich die CeBIT abgeschafft. Dabei hätte sie wieder der Markplatz der IT werden können, denkt Georg Schnurer.

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Cebit 2018

CeBIT 2018: Kein spannendes Produkt, nirgends.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Georg Schnurer
Inhaltsverzeichnis

Ja, ich gebe es zu: Ich gehöre zu den Irren, die seit 1989 keine CeBIT ausgelassen haben. Ich war immer da, bis zum Ende. Anfangs fieberte ich der Messeeröffnung noch entgegen, verschlang jede Vorab-Information, die ich greifen konnte. Die CeBIT war mein Nerd-Paradies, als noch niemand von Nerds sprach. Klar, die Messe war voll. Besonders in ihrer Blütezeit, so etwa 1995. Ich drängelte mich durch die vielen Hallen und war froh, eine ganze Woche Zeit zu haben, wirklich alles anzusehen. Und zu sehen gab es anfangs viel: Neue Prozessoren, neue Betriebssysteme, Server und Netzwerktechnik vom feinsten.

Ein Kommentar von Georg Schnurer

Georg Schnurer ist Chef vom Dienst (CvD) des c't magazin und schreibt seit 1990 für c't und für heise online. Er interessiert sich für Verbraucherschutz, hat als ehemaliger Händler aber auch ein Herz für den mitunter gebeutelten IT-Handel.

Es war harte Arbeit, all die vielen neuen Produkte und Services aufzunehmen. Da musste sorgfältig abgewogen werden, was sich wohl durchsetzen könnte und welche Herstellerträume dann doch wie eine Seifenblase zerplatzen würden. Die CeBIT war, auch dank des riesigen Messegeländes, ein Ereignis, ein Ort, an dem ich den Stand der Technik und die Visionen der Hersteller an einem Ort eine Woche lang in mich aufnehmen konnte.

Nach so einer CeBIT-Woche war ich immer in einem Zustand zwischen totaler Erschöpfung und irrer Euphorie, angesichts all der Dinge, die da in Kürze kommen würden. Dann, 1996, stieg der Erfolg der CeBIT-Ausrichterin, der Messe AG, anscheinend zu Kopfe: Sie wollte die CeBIT mehr Richtung Business orientieren und gleichzeitig eine zweite Messe, die CeBIT Home, etablieren. Also mussten alle Aussteller, die auch nur irgendwie Spaß boten, die CeBIT verlassen und sich mit der CeBIT Home begnügen. Auf der CeBIT selbst sollte es nicht mehr laut zugehen. Anzugträger sollten in gediegener Atmosphäre hochkarätige Geschäfte abschließen können, ohne von lärmenden oder gar begeisterten Endkunden gestört zu werden.

Das Konzept ging grandios in die Hose: Die CeBIT Home wurde nach dem zweiten Mal, 1998, eingestellt. Doch die Ausgrenzung von Spiel und Spaß hatte Nebenwirkungen: Die verprellten Unternehmen hatten sich längst andere Messen gesucht, auf denen sie ungestört von Schlipsträgern ihre Geschäfte abwickeln konnten.

30 Jahre CeBIT (5 Bilder)

Im "Centrum der Büro- und Informationstechnik" auf der Hannover Messe gab es anfangs vor allem Büromaschinen zu sehen, von der Schreibmaschine bis zur Kuvertieranlage.
(Bild: Messe AG)

Fortan eierte die CeBIT herum: Das Etikett "Business-Event" wollte man nicht aufgeben, gleichzeitig brauchte man aber die Heerschar der Endkunden, um Jahr für Jahr neue Besucherrekorde vermelden zu können. Doch mit der Zentrierung aufs Geschäft wurde es immer schwieriger, Normalos aufs Messegelände zu locken. Klar, Karrieremarkt und Forschungshallen, das waren Highlights auch für Besucher mit Rollkragen und Turnschuhen.

Doch irgendwie verschwanden Stück für Stück die interessanten Produkte von der CeBIT: Wer sich für Mobiltelefone interessierte, orientierte sich in Richtung Mobile World Congress in Barcelona, die IFA in Berlin wuchs und deckte neben Unterhaltungselektronik bald auch vieles ab, was zum vernetzten Zuhause gehörte. Richtiges Blech fand man dagegen eher auf der Computex in Taiwan und wer sich als Profi für Security interessierte, fuhr eher zur it-sa in Nürnberg.

So verlor die CeBIT über die Jahre ihren Charakter. Sie wurde immer mehr zum Sammelpunkt langweiliger Aussteller und Produkte, die zwar allesamt total wichtig waren, aber eben keinerlei Unterhaltungswert mehr boten – oder können Sie sich ernsthaft für CRM, Business-Intelligence und FiBu begeistern?

Ich jedenfalls konnte es nicht. Natürlich sah ich mir die Angebote weiterhin Jahr für Jahr an. Doch die Begeisterung und der Glanz in den Augen wichen immer mehr professionellem Interesse. Natürlich sind Business-Software und Services wichtig für unsere Wirtschaft – nur sexy sind solche Produkte halt nicht, egal wie spannend die Algorithmen dahinter waren. So verschwanden nicht nur die Endkunden mehr und mehr von der CeBIT, auch die TV-Sender blieben dem Event fern – ein Teufelskreis, denn weniger mediale Aufmerksamkeit sorgt nun mal für weniger Interesse abseits des Fachpublikums. Besucherrekorde sind so nicht zu erreichen – die CeBIT schrumpfte.

Bereits seit Jahren gibt es so auf dem Messegelände mehr und mehr halbleere oder gar nicht genutzte Hallen. Die Messe schrumpfte immer weiter und verlor dabei nicht nur Aussteller und Besucher, sondern auch ihren Kern. Zwar war die CeBIT noch bis zuletzt die größte IT-Messe der Welt, doch ihre einstige Funktion als zentraler Marktplatz und zentraler Treffpunkt für die IT war dahin.

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So schleppte ich mich die letzten Jahre immer unbegeisterter auf die CeBIT. Gehört halt zum Job, der CeBIT-Besuch im Frühjahr. Es wurde immer schwieriger, die von TV- und Radiosendern so heiß geliebten und unerbittlich eingeforderten "Highlights der CeBIT" zu benennen. Schließlich sollten das Dinge sein, mit denen Otto-Normalbürger auch etwas anfangen konnte – also kommen sie mir jetzt nicht mit KI-gesteuerter Business-Intelligence!

Tja, und dann kam die Verlegung der CEBIT, wie sie nun geschrieben wurde, in den Juni. Besseres Wetter und ein ganz neues Messeereignis wurden versprochen. Blöd nur, dass die Messemacher verdrängt hatten, dass die IT-Branche eigentlich ein Event zum Jahresanfang braucht, um Geschäfte einzufädeln. Schöneres Wetter ist da kein großer Trost. Zudem gab es Anfang Juli bereits ein anderes wichtiges IT-Event: Die Computex in Taiwan, die damals zweitgrößte IT-Messe der Welt. Dass die CeBIT mit der Verlegung in den Sommer nun auch noch mitten in der Urlaubszeit lag, schien bei der Messe AG auch niemanden zu stören.

Cebit 2018 (10 Bilder)

Ein Blick über das Messegelände. Die Hallen 14 bis 16 werden noch genutzt, die dahinter nicht mehr.
(Bild: jo / heise online)

Die neue CeBIT sollte ein Business-Event mit Konferenzen, Vorträgen und gaaanz viel Spaß werden – etwas nie Dagewesenes. Mir klingeln noch heute die Ohren, wenn ich an die vollmundigen Anpreisungen des neuen Konzepts denke. Und ja, ich bin auch 2018 auf der CeBIT gewesen – kurz nach meinem Besuch der Computex, versteht sich. Die neue Cebit hatte ich an einem knappen Tag durchwandert: Viel war ja nicht mehr übrig vom einstigen Nerd-Paradies. Statt spannender Messestände sollten mich jetzt ein Marktplatz mit Yuppie-Getränken, eine Wasserrutsche und ein Riesenrad begeistern. Ernsthaft?

So war 2018 ein Tiefpunkt meiner langjährigen Zeit als CeBIT-Besucher. Dem neuen CeBIT-Konzept weine ich wirklich keine Träne nach. Die CeBIT freilich, die werde ich vermissen. Insofern halte ich das jetzt verkündete Aus für die Messe für einen großen Fehler. Die CeBIT hätte die Chance gehabt, wieder der zentrale Marktplatz der IT in Europa zu werden. Im Frühjahr, versteht sich, und ganz ohne Ausgrenzung. Das riesige Gelände und die vielen Hallen hätten die Chance geboten, einen echten Sammelpunkt für die Branche zu etablieren.

Integration, liebe Messe AG, nicht Ausgrenzung wäre der Weg gewesen. Heißt sie doch willkommen, die vielen neuen und alten Spielarten der IT. In einem Zeitalter der globalen Vernetzung, in dem IT quasi überall eine Rolle spielt, täte ein zentraler Marktplatz wirklich gut, an dem man sich über die Branchengrenzen hinweg austauschen kann. Das böte – angereichert mit entsprechenden Workshops und Vorträgen – die Chance, dass nicht jede Branche, die nun mit IT und Vernetzung in Berührung kommt, die komplette Lernkurve bei der Integration in die Produkte und Services wieder von Null ab durchlaufen muss.

Bereits vor Jahren hatten wir versucht, die Messe AG in die Richtung Integration und zentraler IT-Markplatz zu drängen. Gehör fanden wir freilich nicht, Business First, war das Totschlag-Argument. Wer glaubt, in diesem Beitrag Häme oder Schadenfreude zu entdecken, ist auf dem Holzweg: Trotz der über die Jahre nachlassenden Begeisterung bin ich nach wie vor CeBIT-Fan. Die Messe war gut, gut für Hannover, gut für die IT-Branche und auch gut für Deutschland und Europa. Das ist jetzt leider Geschichte.

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(axk)