Über Geld spricht man nicht

Mediziner und Krankenkassen klagen über Mondpreise für neue Medikamente. Die neue Präzisionsmedizin dürfte die Kosten weiter steigen lassen. Was aber ist ein Leben wert?

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Über Geld spricht man nicht

(Bild: Illustration: Sébastien Thibault)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nike Heinen

Die Pharmakonzerne quetschen im Moment das deutsche Gesundheitssystem aus, so gut sie können“, sagt ein bekannter Professor für Gesundheitsökonomie. Er möchte nicht mit diesem Satz zitiert werden. „Das stimmt“, sagt eine Gesundheitswissenschaftlerin, die für die Bundesregierung arbeitet. „Aber da ist niemand, der sich traut, dem einen klaren Riegel vorzuschieben.“

Auch sie spricht nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Wie die meisten, die Technology Review nach den aktuellen Teuerungen bei Arzneimitteln befragt hat – und die dazu eigentlich etwas sagen können müssten, weil sie von Amts wegen fürs Ziehen der Kostenbremse zuständig sind. Längst hat die neue Preispolitik der Arzneimacher einen Namen: Mondpreise. Aber das ist auch so ein getuscheltes Geheimnis. Alle nennen es so, keiner will damit in der Zeitung stehen.

Am Anfang war diese Zahl: 916791,72 Euro. So viel soll laut den Zulassungsunterlagen die Behandlung mit dem neuen Medikament Crysvita pro Patient und Behandlungsjahr kosten. Darin enthalten: maßgeschneiderte Antikörper. Der Stoff ist seit dem 4. Oktober für deutsche Kassenpatienten zugelassen. Das Unternehmen Kyowa Kirin GmbH, deutsche Tochter eines japanischen Konzerns, hat bis zu 437 Kinder und Jugendliche als potenzielle Kunden unter den gesetzlich versicherten Deutschen ausgemacht. Das sind sehr wenige Patienten. Trotzdem locken dank des hohen Preises beeindruckende Umsätze: 400 Millionen Euro jährlich, sollte die Rechnung aufgehen. 2017 gaben die Kassen 41,5 Milliarden Euro für Medikamente aus. Nach den Kalkulationen von Kyowa Kirin könnte schon im nächsten Jahr einer von 100 Beitrags-Euros für die Behandlung einer einzigen, sehr seltenen Erkrankung ausgegeben worden sein.

Es geht um die Krankheit Hypophosphatämie, Medizinergriechisch für „zu wenig Phosphat im Blut“. Der Stoffwechseldefekt hat dramatische Auswirkungen aufs Skelett. Die Knochen härten nicht richtig aus, betroffene Säuglinge kommen schon mit deformierten Köpfen auf die Welt. Unbehandelt können sie in wenigen Jahren sterben. Ihre Eltern würden jeden Preis bezahlen, um sie zu retten. Aber kann man das auch von der Solidargemeinschaft verlangen? Wohl jeder würde spontan sagen: natürlich. Aber wer hinter die Kulissen schaut, entdeckt, dass die Antwort gar nicht so natürlich ist.

Denn die Frage impliziert, dass der Preis für Crysvita prinzipiell gerechtfertigt ist – und dass es nur noch darum geht, wer ihn bezahlt. Was aber, wenn der Hersteller Kyowa Kirin sich einfach nur entschieden hat, so viel zu verlangen wie möglich, ohne dabei die psychologische Schwelle von einer Million Euro zu überschreiten? Es gibt keine Beweise, dass dem so ist. Aber, und das ist der Punkt: Es gibt auch keine, dass dem nicht so ist. Die Kyowa Kirin GmbH antwortete nicht auf die Frage, wie genau sich der hohe Preis zusammensetzt. Und im deutschen Gesundheitssystem existiert kein Mechanismus, um den Pharmafirmen bei der Preisgestaltung für neue Medikamente über die Schulter zu schauen. Anders als in den meisten Nachbarländern können sie sofort nach ihrer Zulassung verkauft werden – zu einem Preis, den die Unternehmen zunächst selbst festsetzen. Nach einem Jahr muss dieser Preis zwar neu im sogenannten Gemeinsamen Bundesausschuss, also mit den Vertretern von Kassen, Ärzten und Krankenhäusern, verhandelt werden. Aber ohne dass es dabei transparente Vorgaben für angemessene Preise gäbe. „Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt“, sagt Ann Marini, Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes, der Interessenvertretung der Kassen und Mitverhandler um die Preise. (inwu)