Kommentar: US-Shutdown ist brandgefährlich

Unter dem Vorwand der "Sicherheit" die Sicherheit an allen Ecken und Enden zu unterminieren - das ist Führungsqualität der Marke Trump.

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Schild warnt vor extremer Waldbrandgefahr

(Bild: US Dpt. of Agriculture - Lance Cheung)

Lesezeit: 7 Min.
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Haben Sie schon Ihre Feuermelder und -löscher funktionsunfähig gemacht, im Dienste der Sicherheit? Ja? Dann erzählen Sie doch bitte Ihren Nachbarn, wie toll "schlanker" Brandschutz ist. An Ihnen ist ein zweiter Trump verloren gegangen.

Ein Kommentar von Daniel AJ Sokolov

(Bild: 

Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov schreibt seit 2002 für heise online, anfangs aus Wien. Seit 2012 versucht der Jurist, als Nordamerika-Korrespondent von heise online Kanadier und US-Amerikaner zu verstehen und ihr Wesen begreiflich zu machen.

Auch der US-Präsident schwächt, im Einsatz für die "Sicherheit", den Brandschutz. Weil Trump die Milliarden für seine schöne Mauer nicht bekommt, hat er den längsten "Shutdown" von US-Bundesbehörden vom Zaun gebrochen. Das hat zur Folge, dass Trainings und Konferenzen zur Vorbereitung auf die Waldbrand-Saison abgesagt werden mussten und bundeseigener Grund nicht von gefährlichem Totholz befreit wird. Über die nächste besonders intensive Waldbrand-Saison darf sich niemand wundern.

Gleichzeitig wird es einen Mangel an Feuerwehrleuten geben: Sie müssen sich jetzt, im Winter, um die Arbeitsplätze bewerben. Doch die Werbetrommel bleibt stumm. Bewerbungsschreiben bleiben unbearbeitet, so sie überhaupt eintreffen, müssen doch diverse Dokumente beigelegt werden. Sie sind bisweilen nicht zu bekommen, weil auch die dafür zuständige Schreibstube zu ist.

Natürlich erschöpft sich der Shutdown nicht an der Waldbrand-Bekämpfung. Zahlreiche US-Bundesbehörden sind seit Wochen geschlossen oder fungieren nur eingeschränkt. Etwa 800.000 Beschäftigte erhalten kein Gehalt, gut die Hälfte muss trotzdem arbeiten. Streikrecht haben sie keines. Ein Teil meldet sich bereits krank.

Hunderttausende wissen nicht, wie sie Miete, Versicherungen, Kredit- und Leasingraten zahlen und ihre Familien versorgen sollen. Da hat dann auch die Verlängerung des Anti-Virus-Abos am Heim-PC gerade keine besonders hohe Priorität.

Viele Beamte müssen sich einen zweiten oder dritten Job suchen. Dass überarbeitete Mitarbeiter ein Sicherheitsrisiko sind, sollte sogar im Weißen Haus bekannt sein. Auch notwendige Reparaturen und Sicherheitsüberprüfungen im Haushalt und an Kraftfahrzeugen werden aus Geldmangel zurückgestellt – das kann tödlich sein. Und wer keiner geregelten Arbeit nachgeht, unterliegt einem erhöhten Suizidrisiko.

Ausländische Geheimdienste werben bevorzugt finanziell darbende Beamte an. Davon haben die USA nun hunderttausende. Vielleicht war ja das der Anlass für die Küstenwache, ihren Mitarbeitern zu empfehlen, ihr Hab und Gut in Flohmarkt-Manier zu verkaufen.

Die sicherheitsrelevanten Folgen des Shutdown reichen erstaunlich weit. Hier einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die Sicherheitskontrolleure an Flughäfen pfeifen aus dem letzten Loch. Die Handelsaufsicht FTC, die unter anderem jenen auf die Zehen steigt, die gefährliche oder gefälschte Produkte in Umlauf bringen, hat ebenso geschlossen, wie weite Teile der Luftfahrtbehörde FAA und die Telecom-Regulierungsbehörde FCC, die unter anderem für Funkfrequenzen zuständig ist.

Suche nach und Warnungen vor neuen IT-Bedrohungen bleiben aus, diverse Sicherheitsstandards können nicht mehr heruntergeladen werden. Ja sogar das Ministerium für Heimatsicherheit ist betroffen, und damit auch die Küstenwache.

Screenshot der Homepage des National Institute of Standards and Technology

In der Arktischen See könnten NATO-Truppen, darunter auch die US-Kriegsmarine, in absehbarer Zeit Probleme mit der Navigation bekommen. Grund ist, dass der magnetische Nordpol schneller wandert als vorhergesehen. Das Vorhersagemodell bräuchte ein frühzeitiges Update, doch gibt es dafür derzeit kein Geld.

In Nationalparks stapelt sich nicht nur der Müll und stinken die Toiletten, auch Wilderer und illegale Holzschläger haben Hochkonjunktur. Niemand stoppt sie.

Die Sicherheit an Atom- und Sondermüll-Lagerstätten ist nicht in gewohntem Ausmaß gewährleistet. Sanierungsarbeiten an vergifteten Böden und Gewässern sind gestoppt. Lebensmittel-Kontrollen mussten drastisch reduziert werden. Die Genehmigung neuer Medikamente könnte bald zur Gänze pausieren müssen.

Die medizinische Versorgung ist bereits beeinträchtigt. Zahlreiche Ureinwohner bekommen lebenswichtige Medikamente nicht mehr, was bei Infektionskrankheiten oder Drogensucht dann auch für Dritte gefährlich wird. Und zahlreiche andere Amerikaner leben gefährlich, weil ihre Anträge auf Obamacare-Krankenversicherungen unbearbeitet bleiben. Derweil sind sie einfach gar nicht krankenversichert.

Diverse Aufträge für die Sanierung von Bundesstraßen und -brücken werden nicht erteilt. Sowieso unterfinanzierte Öffi-Betriebe erleiden derzeit erhebliche Einnahmenausfälle und bekommen keine Bundeszuschüsse, womit weniger Geld für Reparaturen zur Verfügung steht.

Das Global Forecast System des Nationalen Wetterdienstes liefert seit Beginn des Shutdowns schlechtere Wettervorhersagen. Ob das mit dem Shutdown zu tun hat, ist umstritten. Den Grund zu eruieren, würde Geld kosten. Vielleicht liegt es daran, dass internationale Datenquellen, wie geplant, auf ein einheitliches Datumsformat umgestellt haben, das US-System aber kein Update erhalten hat.

Eigentlich sollte im Februar ein neues System in Betrieb gehen, was nun auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste. Unzuverlässige Wettervorhersagen sind schlecht für das Militär, den Grenzschutz, die Verkehrssicherheit, u.a.m., und könnten dazu führen, dass sich Bürger, Bauern und Betriebe nicht ausreichend auf Unwetter vorbereiten. Die Folge wären höhere Lebensmittelpreise, was der Nahrungsmittelsicherheit schadet.

Selbst die Notfall-Manager des Nationalen Wetterdienstes werden derzeit nicht aus- und fortgebildet. Selbst die kommerzielle Hochsee-Fischerei ist beeinträchtigt. In Ermangelung jener Aufsichtsorgane, die per Gesetz mitzufahren haben, müssen manche Schiffe im Hafen bleiben.

Einnahmen aus Gerichtsgebühren erlauben Bundesgerichte bislang, auf Sparflamme weiterzuarbeiten. Geschworene müssen gratis arbeiten und werden vielleicht bald nicht mehr mit Speisen versorgt. Das wird ihre Bereitschaft, sich mit einem Fall intensiv auseinanderzusetzen, sicher fördern. Gefährliche Täter könnten frei gehen.

Diese Speisekarte wurde 2016 in Chicago gesichtet.

(Bild: gemeinfrei)

Viele Verfahren werden auf die lange Bank geschoben, darunter insbesondere Prozesse mit Beteiligung von Bundesbehörden oder Präsident Trump selbst. Weil für das US Marshals Service kein Geld da ist, werden weniger Gefangene zu Gericht gebracht. Das verzögert Strafverfahren weiter.

Geringe Priorität haben Gerichtsverhandlungen rund um Einwanderung und Abschiebungen. Diese Fälle werden hinten angereiht, was erneut jahrelanges Warten bedeutet. Der Treppenwitz ist, dass damit einige wirklich gefährliche Ausländer um Jahre länger im Land bleiben werden.

Die Einnahmen aus Gerichtsgebühren werden bald nicht mehr hinreichen. Bundesgerichte werden in absehbarer Zeit ihre Gebäude schließen müssen. In manchen Regionen arbeiten dann wohl nur noch die Richter selbst, von zu Hause aus. Passende Notfallpläne gibt es: Sie wurden für tödliche Epidemien ausgearbeitet.

Aus Bundesgefängnissen dringen inzwischen Berichte über Hungerstreiks, weil Gefängnisbesuche wegen Personalmangels gestrichen sind. Dabei sind diese Besuche ein wichtiges Mittel zur Reduktion der Rückfallraten.

Gleichzeitig sind die Gefängnisse unnötig voll. Tausende darben nur deshalb im Strafvollzug, weil zur Entlassung notwendige Vorbereitungen nicht durchgeführt werden.

Eines Tages wird der Shutdown enden. Hunderttausende Computer werden dann erstmals wieder eingeschaltet – nach langer Zeit ohne Updates. IT-Verbrecher feilen bereits an den passenden Phishing-Mails.

Mexiko werde eine Einmalzahlung von fünf bis zehn Milliarden Dollar für die Mauer leisten, hatte Trump angekündigt. Doch den Mann interessieren seine Versprechen von einst nicht, ja er leugnet sie sogar. Obwohl in seinem Wahlkampfdokument "Donald Trumps Vertrag mit dem amerikanischen Wähler" grau auf weiß steht: "Mexiko wird den USA die gesamten Kosten der Mauer erstatten".

Jetzt will Trump doch die US-Steuerzahler belasten. Wegen der Sicherheit!!1elf

Der Präsident beweist damit den Weitblick eines Kleinkindes. Der Verwaltungs-Shutdown untergräbt die Sicherheit in viel größeren Dimensionen als das Fehlen einer durchgehenden Grenzmauer.

Die meisten Experten halten von Trumps Mauer sowieso wenig. Diese Experten reichen von Grenzschutzfachleuten, die lieber auf elektronische und bemannte Grenzüberwachung bauen, bis zu jenen, die schon einmal Erfahrung mit einer Leiter gemacht haben. (ds)