Löst sich die Vernunft auf? Zwischen Fake News und gefühlten Wahrheiten ...

Überall Fake News, alternative Fakten, gefühlte Wahrheiten – das rationale Denken scheint an Boden zu verlieren. Doch der Eindruck trügt.

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Was die Stimme verrät

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Anton Weste

Seit Jahren herrscht der Eindruck vor, dass im öffentlichen Diskurs die Sachlichkeit auf dem Rückzug ist, gleich ob es um den Klimawandel, den Brexit, die Flüchtlingsdebatte oder Impfungen geht. "Postfaktisch" wurde 2016 zum Wort des Jahres gewählt. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach im September davon, dass die Bürger das Vertrauen in die Wissenschaft verlieren. "Klimaskeptiker, Impfkritiker und Verschwörungstheoretiker verbreiten ihre Theorien in Windeseile. Populisten nutzen die Chance zu polarisieren", meint die Ministerin. "Wissenschaft wird manchmal als ,Lügenwissenschaft‘ bezeichnet."

Also steuern wir auf ein Zeitalter des Postfaktischen und der Pseudowissenschaft zu? Werden uns Eindrücke und gefühlte Wahrheiten wichtiger als Tatsachen? Soziologen und Psychologen halten dagegen, wie Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe berichtet: Die Menschen denken im allgemeinen nicht irrationaler als vor 20 oder 40 Jahren.

TR 2/2019

Technology Review Februar 2019

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 2/2019 der Technology Review. Das Heft ist ab 24.01.2019 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

"Insgesamt hat das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaften seit den Siebzigern nicht abgenommen", sagt der Soziologe Gordon Gauchat von der University of Wisconsin in Milwaukee. Er stützt seine Analyse auf Daten des General Social Survey, einer reprästentativen Umfrage, die die National Science Foundation jährlich unter US-Amerikanern durchführen lässt. Der Anteil derer, die großes Vertrauen in die Wissenschaften ausdrücken, pendelt seit 1972 um 40 Prozent.

Auch vergleichbare Studien aus der Europäischen Union und Deutschland sehen keinen generellen Vertrauensverlust. In Teilbereichen nähert sich die Position der Bevölkerung den Einschätzungen der Wissenschaftler an: So hat in Deutschland etwa die Zahl der Impfbefürworter zugenommen. 61 Prozent der Deutschen standen Impfungen im Jahr 2012 generell befürwortend gegenüber, im Jahr 2016 waren es 77 Prozent.

Im Detail können Menschen in der Ablehnung faktenbasierter Erkenntnisse allerdings sehr wählerisch sein. Wer die Wissenschaft wertschätzt, kann dennoch einzelne ihrer Ergebnisse ablehnen, wenn sie ihm nicht passen. „Wer politisch konservativ ist, äußert häufiger Zweifel am Klimawandel, Religiöse sind häufiger Impfskeptiker, und Zweifel an der Sicherheit genveränderter Nahrung geht oft mit geringen Kenntnissen über Wissenschaft einher“, erklärt Bastiaan Rutjens von der Universität Amsterdam.

Um Wissenschaftsskeptizismus zu bekämpfen, müsse man diese vielfältigen Ausprägungen und die Gründe dafür verstehen, sagt der Psychologe. Dafür steht die Forschung in einigen Bereichen noch am Anfang. Beispielweise sei gerade der Einfluss von Religiosität auf die Ablehnung von Wissenschaft seltsamerweise bislang nur wenig untersucht.

In Technology Review 2/2019:

Mehr zu gefühlten Wahrheiten und Wissenschaftsskeptizismus lesen Sie in der neuen Februar-Ausgabe von Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich). (anwe)