FOSDEM: Dezentrale WWW-Alternative Solid – jedem sein eigenes Like

Die Entwickler von Solid rund um Tim Berners-Lee wollen das Internet neu gestalten. Auf der FOSDEM-Konferenz gaben sie einen Überblick über ihre Arbeit.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 86 Kommentare lesen
FOSDEM: Solid – jedem sein eigenes Like

Solid-Entwickler Ruben Verborgh erklärt auf der FOSDEM in Brüssel, wie er sich die Zukunft des Webs vorstellt.

(Bild: Fabian Scherschel / heise online)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Das Web funktioniert nicht so wie es soll, also brauchen wir ein neues – das ist das Fazit, mit dem Ruben Verborgh die Pläne des Solid-Projektes auf der Open-Source-Entwicklerkonferenz FOSDEM vorstellt. Das von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee gestartete Forschungsprojekt will das nächste Web allerdings nicht von Grund auf neu bauen, sondern dafür so viel bestehende Technik des existierenden WWW nutzen, wie möglich.

Der Hauptunterschied zwischen dem neuen Web und dem alten soll dabei sei, dass der Anwender bei Solid die komplette Kontrolle über alle seine Daten hat. Ist er etwa in einem sozialen Netzwerk unterwegs, gehören ihm alle seine Bilder, Posts und Kommentare, auch wenn sie auf den Seiten anderer Leute angezeigt werden. Alle Daten des Nutzers, selbst ein Like eines Posts auf einer fremden Seite, werden in seinem Datenspeicher abgelegt. Der Nutzer kann diese Daten ändern oder löschen wann immer er will – er hat immer die volle Kontrolle über alle Spuren, die er im Netz hinterlässt.

Diese persönlichen Datenspeicher heißen bei Solid "Data Pods" und sind die Grundbausteine des neuen Webs, an dem die Entwicklergemeinde gerade schraubt. Die Solid-Entwickler sagen, die Schwachstelle des Webs wie es sich momentan darstellt, ist die Tatsache, dass es ein Marktplatz für die Daten der Nutzer ist. Die Firma, die die meisten Daten hat, gewinnt. Das ist nicht nur schlecht für die Nutzer, deren Daten zur Währung des Webs geworden sind, sondern auch für Innovation.

Firmen, die neue Dinge erfinden, haben keine Chance gegen etablierte Player, die mehr Daten besitzen als sie. Und diese Firmen haben kein Interesse daran, neue Ideen zu entwickeln, da sie ja bereits gewonnen haben und sich auf ihren Lorbeeren ausruhen können. "Das Internet besteht aus einer Menge Leuten, die die offene Natur des Web genutzt haben, um nach oben zu kommen. Und sobald sie ihre eigene Plattform gebaut haben, gehen sie hin und treten die Leiter weg, damit kein anderer das von ihnen geschaffene so nutzen kann, wie sie das Web genutzt haben", sagt Verborgh.

Wenn die Daten immer den Urhebern gehören, funktioniert diese Art von Ausbeutung der Nutzer nicht mehr und das neue Web wird wieder ein Ökosystem der Innovation. Das Problem, das die Solid-Entwickler nun allerdings lösen müssen, ist es, dieses neue Ökosystem den Firmen schmackhaft zu machen. Denn, so sagt Verborgh, man habe verstanden, dass man das Web nicht ohne Firmen neu erfinden könne. Das wollen sie dadurch erreichen, dass sie das aktuelle Business-Modell des Webs nicht abschaffen. Natürlich können Open-Source-Enthusiasten ihren eigenen Solid-Server und Daten-Pod betreiben, aber es wird immer auch normale Alltags-Nutzer geben, die lieber Firmen für ein solches Angebot bezahlen.

Ob die Nutzer diese Firmen direkt bezahlen oder ihnen erlauben, auf die in ihrem Pod gespeicherten Daten zuzugreifen, sei egal, so Verborgh. Wenn Nutzer Firmen ihre Daten geben wollen, will er das nicht verhindern. Er möchte ihnen nur die Möglichkeit geben, das nicht zu tun und trotzdem die gleichen sozialen Netze zu benutzen, wie ihre Freunde, denen das Abgeben ihrer Daten nichts ausmacht. Aus diesem Grund ist Interoperabilität das höchste Ziel der Solid-Entwickler.

Seit Anfang Januar gibt es ein Entwickler-Toolkit, mit dem interessierte Software-Entwickler anfangen können, Solid-Applikationen zu bauen. "Zeigt das aber im Moment noch nicht den Endbenutzern", sagt Verborgh den versammelten FOSDEM-Besuchern, "momentan sieht das noch nicht gut aus und es ist nicht wirklich benutzbar." Es sei aber schon gut dafür geeignet zu sehen, wo die Reise hingehe. Die Entwicklergemeinde rund um das Solid-Projekt suche neue Entwickler, die das nächste Web mitgestalten wollen, ermutigt er die Anwesenden. Erfahrene Webentwickler werden vieles wiedererkennen. Momentan besteht eine Solid-Installation hauptsächlich aus einem Webserver, der über ein JSON-ähnliches Protokoll mit seinen Nachbarn kommuniziert.

Der größte Unterschied zum herkömmlichen Web ist dabei, dass Solid die verwendeten Daten klar von den Apps trennt, die sie nutzen. So können zum Beispiel alle Anwender eine Kontaktbuch-App nutzen – welche Kontakte darin allerdings vorkommen hängt allein davon ab, welche Daten im Pod des Benutzers gespeichert sind und auf welche Daten in den Pods von anderen Leuten er Zugriff hat. Wer keinen eigenen Server betreiben will kann zu Testzwecken ein Konto auf einem öffentlichen Solid-Server wie etwa solid.community eröffnen.

(tiw)