Springt Japan vom Bargeld direkt zur Blockchain?

In Japan wird noch viel und gerne mit echten Scheinen und Münzen bezahlt. Die Regierung prüft neuartige Lösungen.

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Springt Nippon vom Bargeld direkt zur Blockchain?

(Bild: Photo by Jezael Melgoza on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Mike Orcutt

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat die hartnäckige Angewohnheit, überwiegend mit Bargeld zu zahlen. Erstaunlich viele japanischen Geschäfte akzeptieren nämlich keine Kredit- oder Debitkarten. Für Online-Einkäufe druckt man manchmal einen Barcode aus, bringt ihn ins Geschäft und bezahlt trotzdem bar.

So summiert sich der Betrieb von Bargeldkassen, mehr als 200.000 Geldautomaten und den nötigen Geldtransportern auf 18 Milliarden US-Dollar pro Jahr, auch wenn NFC-basierte Systeme wie Suica zumindest in den Großstädten und für kleinere Summen immer erfolgreicher werden.

Premierminister Shinzo Abe hat das Ziel ausgegeben, den Anteil von bargeldlosen Zahlungen bis 2025 auf rund 40 Prozent zu steigern. Steuervergünstigungen und Subventionen sollen Unternehmen zum Mitmachen animieren. Einige der größten Finanzakteure des Landes glauben jedoch, dass Japans Bargeld-Entwöhnung am schnellsten mithilfe der Bitcoin-Technologie gelingen wird, berichtet Technology Review in seiner März-Ausgabe (am Kiosk oder online bestellbar).

So will etwa die Mitsubishi UFJ Financial Group (MUFG), die größte Bank des Landes, gemeinsam mit dem US-Unternehmen Akamai rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in Tokio im kommenden Jahr ein Blockchain-basiertes Zahlungssystem aufbauen. Es soll alles von automatisierten Mautgebühren über Kartenzahlungen bis hin zu In-App-Käufen verarbeiten.

Das neue System soll laut Akamai in Tests mehr als eine Million Transaktionen pro Sekunde abgewickelt haben, mit jeweils maximal zwei Sekunden Latenz. Im Vergleich dazu erreicht Visa nur einige Tausend Kreditkarten-Transaktionen pro Sekunde und Bitcoin sogar nur sieben, die jeweils auch noch bis zu einer Stunde dauern. Neben der MUFG wollen auch die Mizuho Financial Group und die SBI Holdings mitmischen. Erstere mit der digitalen Währung J-Coin, die schon diesen März für den Einzelhandel bereitstehen soll. Letztere mit "S Coin", ebenfalls für den Einzelhandel.

Der Druck der Regierung und die geringe Konkurrenz durch Kreditkarten und andere elektronische Zahlungsmittel könnten sogar dafür sorgen, dass Japan existierende elektronische Zahlungsnetze überspringt und sich weiträumig für Blockchains entscheidet.

Es wäre ein Revival der besonderen Art. Denn Kryptowährungen waren Anfang der 2010er-Jahre in dem Land schon einmal sehr populär. In Tokio saß mit Mt. Gox die wichtigste globale Bitcoin-Handelsplattform. 2013 liefen 70 Prozent des Bitcoin-Handels über sie. Als aber mutmaßlich Hacker Bitcoins im Wert von 450 Millionen US-Dollar erbeuteten und die Plattform zum Absturz brachten, prophezeiten japanische Medien schon das Ende der Kryptowährungen.

Man scheint aus der Entwicklung gelernt zu haben: Japan richtete eine von der Industrie geführte Selbstregulierungs-Organisation für Kryptowährungen und im April 2017 ein Lizenzierungssystem für Kryptobörsen ein. Die Financial Services Agency (FSA) nimmt die Kontrolle ernst und hat bereits mehrere Börsen zu Nachbesserungen bei der Sicherheit verdonnert. Akamais Technikvorstand Andy Champagne sieht jedenfalls alle Bedingungen dafür gegeben, dass Japan seine Liebesaffäre mit Bargeld bald beenden kann.

Yoriko Beal, Mitbegründerin des auf Blockchain-Start-ups spezialisierten Arbeitsplatzvermieters HashHub in Tokio, ist skeptischer. Denn existierende Kryptowährungen sind meist volatil, wenn sie nicht durch Yen oder Dollar auf einem Bankkonto gestützt sind. Sie sind für Laien schwer zu bedienen und vor Hackern zu schützen, ferner können betrügerische Transaktionen nicht rückgängig gemacht werden. Beal zufolge werde es darauf ankommen, ob sich die Technik als praktisch erweist, und nicht darauf, dass sie einen klangvollen Namen hat. (bsc)