KI-Zeitalter: Mehr Humanismus in der Technik, bitte

Die Künstliche Intelligenz könnte unsere Gesellschaft fundamental verändern – und da braucht es mehr als nur den einen Blick.

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KI-Zeitalter: Technik und Geisteswissenschaften widersprechen sich nicht

(Bild: Photo by David Clode on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Karen Hao

Ein Essay der Reporterin Karen Hao, Schwerpunktthema: Künstliche Intelligenz.

Als ich ein Bachelorstudent am MIT war – und später eine Ingenieurin im Silicon Valley –, fühlte ich mich immer ein bisschen wie ein schwarzes Schaf. Der Grund: Ich hegte stets den Wunsch, Technik und Geisteswissenschaften miteinander zu verknüpfen. Das widersprach jedoch der Kultur jeder dieser beiden Welten und demonstrierte, wie sehr auf der Erde versucht wird, beide voneinander entfernt zu halten.

Doch sinnvoll war diese Trennung nie, wie schon die Vergangenheit zeigt. Der berühmte US-Außenpolitiker Henry Kissinger schrieb letzten Sommer im "Atlantic", dass die Aufklärung vom Grundsatz her damit begann, dass philosophische Einsichten durch eine neue Technik verbreitet wurden. Damit dürfte er Buchdruck und Zeitung gemeint haben. Doch heute, schreibt er, bewegten wir uns in die umgekehrte Richtung. "[Unsere Periode] hat eine potenziell dominierende Technik geschaffen, die nach einer Philosophie sucht, die sie führt."

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Die sogenannte dominierende Technik, von der Kissinger schreibt, ist die Künstliche Intelligenz. Ihr schneller Aufstieg durchdringt mittlerweile fast jeden Aspekt unseres Lebens und verwandelt unsere sozialen, politischen und wirtschaftlichen Systeme. Wir leben nicht länger in einer Gesellschaft, die unsere alten, menschengemachten Trennlinien reflektiert. Um diese Entwicklung einzuholen, müssen wir neu strukturieren, wie wir lernen und arbeiten.

Diese Botschaft durchdrang auch die Eröffnung des neuen Schwarzman College of Computing Ende Februar. Eine Milliarde US-Dollar werden in einen neuen zentralen Hub der KI-Forschung investiert und dabei werden die Grenzen der Disziplinen durchbrochen. "Die Welt braucht Mehrsprachler", sagt MIT-Präsident Rafael Reif. Mit anderen Worten: Die Welt braucht Ingenieure mit besseren Grundlagen in den Geisteswissenschaften, die mehr ethische Produkte und Plattformen schaffen können – und Politiker und führende Bürger, die Technik besser verstehen, um verantwortliche Innovationen vorantreiben zu können.

Der Ansatz soll nicht nur den Technikbereich diversifizieren, sondern alles andere "technifizieren", wie Megan Smith, ehemaliger Chief Technology Officer der Obama-Adminsitration, meint. "Wir können so an den schwierigsten Problemen kollaborativ zusammenarbeiten."

Der Lehrkörper des neuen College arbeitet mit anderen MIT-Instituten zusammen, damit sich diese gegenseitig befruchten. Die Lehrveranstaltungen werden so gestaltet, dass technische Fähigkeiten, Sozialwissenschaften und die Geisteswissenschaften in jedem Kurs miteinander verbunden werden, anstatt das man alles einzeln lernen muss.

"Es geht nicht nur darum, darüber nachzudenken, wie man die Informatik erlernt", sagt Melissa Nobles, Dekanin der School of Humanities, Arts, and Social Sciences am MIT. "Es geht darum, dass die Studenten ein Bewusstsein dafür haben, in welchem größeren politischen und sozialen Kontext wir alle leben."

Darum geht es mir auch selbst in meiner Arbeit, ich möchte die veraltete Vorstellung, das Technik nur für Technikmenschen ist und soziale Probleme für die Sozial- und Geisteswissenschaften, überwinden. Genauso wenig gibt es eine "Matheperson" oder eine "People Person". Das sind alles falsche Dichotomien, die, wenn wir sie weiterverfolgen, immer schädlicher sein werden.

Der Zyniker in mir stellt sich allerdings die Frage, ob ein neues College wirklich einen ausreichenden Kulturwandel in Wissenschaft und Industrie erzeugt, um die Distanz zwischen diesen beiden Camps zu überwinden. Die Optimistin in mir sieht die vielen begeisterten Leserstimmen, die zeigen, dass es ein Verlangen danach gibt, menschliche Gesellschaft und Technik – so "messy" das auch sein mag – tiefer zu betrachten. "Ich weiß nicht, ob das alles so schön wird, wie man sich das vorstellt", sagt Joi Ito, Direktor des MIT Media Lab. Die Schaffung des neuen College sei jedoch eine "wichtige Komponente im Rahmen des Versuchs".

(bsc)