"Selbstkontrolle Multimedia" gegen Cyberpolizei und Zensur

Das Organ der Multimedia-Diensteanbieter setzt auf die Vermittlung im Kampf gegen Neonazis und Kinderporno im Web.

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Die vor dreieinhalb Jahren gegründete Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) wehrt sich gegen die ihr immer wieder untergeschobene Rolle, zusammen mit ihrer Dachgesellschaft INHOPE eine internationale Cyberpolizei zu spielen. "Wir können anderen Ländern nicht sagen, 'wir Deutsche regeln die Inhalte im gesamten Netz'", stellte Arthur Waldenberger, Vorstandsvorsitzender des 435 Mitglieder aus der Medien- und Telekommunikationswirtschaft zählenden Gremiums, am heutigen Freitag während eines Forums der FSM in Berlin klar. Themen wie dem Jugendschutz oder der Verhinderung von neonazistischem Gedankengut könne man sich nur nähern, wenn man die kulturellen Werte und Gesetze in anderen Ländern im Auge behalte.

Vor allem wehrt sich die FSM gegen Vorhaben, internationale Filter gegen bestimmte Netzinhalte einzuführen. "Die Anbieter können nicht gezwungen werden, alle ihre Inhalte zu bewerten und in eine Ratingskala einzuordnen", meint Waldenberger. Das sei ein unglaublich aufwendiges und letztlich nicht durchführbares Verfahren. Einen ähnlichen, mittelständische Provider killenden Effekt gehe von der Ausweitung des Katalogs strafbarer Inhalte aus.

Als zahnloser Tiger will das Selbstkontrollorgan der deutschen Internet-Wirtschaft allerdings auch nicht dastehen. "Die Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Reizthema", gibt Waldenberger zu. "Viele rufen nach einer internationalen Cyberpolizei oder wollen, dass der Staat Zensur ausübt." So hatte der Zentralrat der Juden erst jüngst angekündigt, gegen Internet-Provider klagen zu wollen, die den Zugang zu so genannten "Hass-Seiten" von Deutschland aus nicht sperren.

Doch von derartigen Forderungen hält der FSM-Vorstand wenig. Er setzt auch im internationalen Bereich auf die Selbstkontrolle der Provider. Über INHOPE könne man mit guten Argumenten erheblich schneller und unbürokratischer an die Provider im Ausland herankommen und mehr ausrichten als die Behörden, meint Waldenberger. Denn strafrechtlich sind deutschen Polizeistellen oft die Hände gebunden, da neonazistische Parolen beispielsweise in den USA vom Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt sind. "Wir können den betroffenen Providern dagegen mit der Frage konfrontieren, ob sie sich wirklich mit den aufgefundenen Inhalten identifizieren wollen, und ihnen nahe legen, sie aus den Netz zu nehmen."

Seit die öffentliche Diskussion rund um das Aufblühen des Neonazismus im Sommer breite Kreise gezogen hat, verzeichnet die FSM einen "explosionsartigen Anstieg" der Eingaben von Surfern von wenigen Hundert 1999 auf 1587 im Jahr 2000. Allein bis Ende Februar 2001 seien erneut 225 Hinweise eingegangen, berichtet Heiko Wiese, Rechtsanwalt und Vorprüfer des Organs. Doch die FSM fühlt sich für das Gros der Beschwerden nicht zuständig, da sich die monierten Websites auf ausländischen Servern befinden. Nur in 274 Fällen wurden die beanstandeten Inhalte von Deutschland aus angeboten. Davon hatten 131 einen rechtsradikalen Hintergrund. 64 Nutzer beschwerten sich wegen pornografischen Inhalten, 18 wegen Gewaltdarstellungen. "Es gibt immer wieder Wellen" parallel zur Medienberichterstattung, sagt Waldenberger. So sei 1999 fast nur Kinderpornografie gemeldet worden.

Von den 274 Beschwerden im vergangenen Jahr, die in das Aufgabengebiet der FSM fielen, erwiesen sich 42 Prozent als berechtigt. In diesen Fällen schreibt die FSM den Inhalteanbieter an und bittet um eine Stellungnahme zu dem erhobenen Verdacht. "Fast 80 Prozent der Beschwerden haben sich damit erledigt", führt Wiese aus, da die Betroffenen ihre Inhalte zurückziehen würden. In 20 Fällen musste die FSM allerdings auch eine offizielle Beschwerde bei den Inhalteproduzenten sowie bei den Providern einreichen, die beanstandete Angebote parat hielten. "Die deutschen Provider reagieren darauf in der Regel sofort", freut sich Wiese. Schließlich seien sie gesetzlich nach Paragraph 5 des Teledienstegesetzes auch dazu verpflichtet. Theoretisch könnte eine Rüge der FSM folgen, die der Anbieter dann analog zu den Regeln des Presserats – dem Selbstkontrollorgan der "alten" Medienwelt – veröffentlichen müsste. Letztlich drohe auch der Ausschluss aus dem FSM.

Die Macher des Gremiums sind sich aber im Klaren darüber, dass sie oft gegen Windmühlen kämpfen. "Wer bewusst volksverhetzende oder rechtsradikale Inhalte verbreiten will, geht ins Ausland", weiß Wiese. Die FSM sieht sich daher nur als Teil eines "Gegennetzes" und weltweiten Puzzles. Kooperationen will sie nicht nur im internationalen Rahmen sondern auch mit Initiativen der gesellschaftlichen Kontrolle wie dem Verein N@IIN – No Abuse in Internet vorantreiben, der im Herbst eine Meldestelle für rechtsradikale Seiten im Web eröffnet hatte.

Mehr dazu in Telepolis: Selbstkontrolle statt Cyberpolizei und Filter?. (Stefan Krempl) / (jk)