"Krieg gegen den Terror": Kläglicher Scheitern geht nicht

"Versteck" des Talibanführers Mullah Omar ("Mullah Sahib"). Im Vordergrund rechts kaum zu erkennen: eine Rose. "Mullah Sahib used to sunbathe in the small garden with roses", heißt es in dem Text von Taliban-Sprecher Zabidullah, von dessen Twitter-Account das Bild stammt

Taliban-Anführer Mullah Mohammad Omar soll jahrelang vor den Augen der Amerikaner gelebt haben

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Heuer werden es 18 Jahre seit Beginn des US-Militäreinsatzes in Afghanistan. Das Scheitern dieses Krieges hat ein immens großes Ausmaß angenommen. Mittlerweile scheint allerdings die Spitze des Eisbergs erreicht worden zu sein.

Einer neuen Recherche zufolge soll Taliban-Gründer und Anführer Mullah Mohammad Omar nämlich jahrelang vor den Augen der Amerikaner gelebt haben. Laut der niederländischen Journalistin und Analystin Bette Dam hielt sich Omar in den letzten Lebensjahren in einem Haus in der südafghanischen Provinz Zabul auf - nur fünf Kilometer weiter befand sich die nächste US-Militärbasis.

Bei dem besagten Haus soll es sich um jenes von Abdul Samad Ustaz gehandelt haben. Ustaz war einst der Fahrer von Jabbari Omari, Omars langjährigem Leibwächter. Laut Omari lebte der einstige Taliban-Führer nach dem westlichen Angriff auf Afghanistan abgeschieden und asketisch. Die politische Führung seiner Bewegung übernahmen andere Köpfe, während Omar in seinem versteckten Zimmer lebte und mittels eines alten Nokia-Handys den Koran rezitierte. Selbst zu nahen Familienmitglieder pflegte Omar keinen Kontakt.

Dams Recherche zufolge wussten die Einheimischen in der Umgebung, dass sich in Ustaz' Haus ein hochrangiger Taliban-Führer aufhielt. Die wahre Identität des Mannes kannte allerdings niemand. Ustaz hielt sie sogar vor seiner eigenen Familie geheim.

Allem Anschein nach wurde das Haus sogar einmal von US-Soldaten durchsucht. Das geheime Zimmer blieb den Amerikanern allerdings verborgen. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahed hat mittlerweile Bilder von Omars letztem Versteck veröffentlicht. Die militante Gruppierung will demnächst ein Buch über ihren Gründer publizieren.

Recherche sorgt für Wirbel

Dams Recherche, die in ihrem neuen Buch "Auf der Suche nach einem Feind" zu lesen ist, sorgte international für Schlagzeilen. Eine Zusammenfassung wurde vom Zomia Center, einem neuen Projekt aus dem Umfeld der Denkfabrik New America, veröffentlicht. Die Erkenntnisse zu Mullah Omars letzten Jahren sind allerdings weder neu noch bahnbrechend. Afghanische Analysten und Insider behaupteten seit Jahren, dass der Taliban-Chef sich in Afghanistan und nicht anderswo aufhielt.

Dementiert wurde dies stets von afghanischen Sicherheitskreisen und dem amerikanischen militärisch-industriellen Komplex. Diese gingen nämlich stets davon aus, dass Omar Afghanistan kurz nach Beginn des NATO-Einsatzes verlassen habe und sich, ähnlich wie Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden, im benachbarten Pakistan mit Hilfe des berühmt-berüchtigten Geheimdienstes ISI versteckt halte. Umso weniger überraschend sind die Reaktionen aus ebenjenen Kreisen.

Amrullah Saleh, einstiger Chef des afghanischen Geheimdienstes NDS und gegenwärtiger Vizepräsidentschaftskandidat im Team des amtierenden Präsidenten Ashraf Ghani, bezeichnete Dams Bericht als "Propaganda" und behauptete, Gegenbeweise (die natürlich nicht präsentiert wurden) zu haben.

Die afghanische Regierung dementierte den Bericht und betrachtet ihn als kategorisch falsch. Und auch Bill Roggio von der in Washington ansässigen neokonservativen Denkfabrik "Foundation for the Defense of Democracies" meint, dass die Recherche unglaubwürdig sei und bezeichnete Dam indirekt als "Taliban-Apologetin".

Zustimmung gibt es hingegen nicht nur von den Taliban, die in der Vergangenheit mehrmals darauf hinwiesen, dass ihr einstiger Führer Afghanistan nie verlassen habe, sondern auch von profunden Kennern. Laut dem afghanischen Analysten Borhan Osman von der International Crisis Group stimmen Dams Erkenntnisse mit anderen Berichten und Recherchen überein und sind demnach als glaubwürdig zu betrachten.

Dam selbst ist im Übrigen nicht für unsaubere Arbeit bekannt. Vor einigen Jahren veröffentlichte sie "A Man and a Motorcycle", ein extrem detailliertes Buch über den Machtaufstieg von Afghanistans Ex-Präsident Hamid Karzai.

Jagd auf Omar ist exemplarisch für "War on Terror"

Fakt ist dennoch, dass Mullah Omar sich jahrelang wortwörtlich vor den Augen der Amerikaner befand, während diese anderswo mittels Drohnen und schattenhaften Spezialtruppen Jagd auf ihn machten - und dabei oftmals Zivilisten töteten. Mittlerweile kann man mit bestem Gewissen behaupten, dass kein Fall das Scheitern des "War on Terror" deutlicher macht als jener Omars.

Bereits der erste Angriff auf ihn - der allererste Drohnen-Angriff in der Menschheitsgeschichte - war ein Fehlschlag. Damals, am 7. Oktober 2001, beobachteten US-Militär, CIA und Co. ein Haus in der südafghanischen Provinz Kandahar, bevor sie eine Hellfire-Rakete einschlagen ließen. Das Ziel war angeblich Mullah Omar, doch er überlebte und verschwand.

Wer an seiner Stelle getötet wurde, ist unklar. Dieses Szenario spielte sich in den darauffolgenden Jahren mehrmals ab. Immer wieder hieß es, dass man Mullah Omar mittels einer vermeintlich präzisen Drohnen-Operation getötet habe - bis er lebendig wieder auftauchte.

Dies betraf auch andere Extremisten, die mehrmals "getötet" wurden, darunter etwa Taliban-Führer Jalaluddin Haqqani oder Al-Qaida-Chef Ayman az-Zawahiri. Erster verstarb eines natürlichen Todes, während Letzterer weiterhin lebt. 2015 wurde bekannt, dass Omar bereits 2013 verstorben sei. Er erlag in seinem Versteck in Zabul einer Krankheit und wollte sich laut Leibwächter Omari nicht im Ausland behandeln lassen.

Heute, im sechsten Jahr nach Mullah Omars Tod, könnte seine Bewegung nicht stärker sein. Die Taliban verhandeln mit den Amerikanern auf gleicher Augenhöhe in Katar, während sie Schätzungen zufolge die Hälfte Afghanistans kontrollieren. Als politische Realität sind sie in der Region nicht mehr wegzudenken.