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Was war. Was wird

Von toten E-Mails, vatikanischen Fresken, Glaubensfragen und anderen letzten Wahrheiten.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

"Ich such im Schnee vergebens
nach ihrer Tritte Spur
wo sie an meinem Arme
durchstrich die grüne Flur.
Ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee
mit meinen heißen Tränen,
bis ich die Erde seh."

***Was hier aus Schuberts Winterreise aus dem Jahre 1823 zu uns dringt, könnte nach Liebeskummer klingen, nach Verzweiflung gar, die nur noch den Tod sich wünscht. Aber halt, wir sind in der Liederecke einer bezaubernden kleinen hannoverschen Firma, die (unter anderem) die Computertechnik zu verstehen versucht, diese komischen Maschinen die "Pling" machen (wenn Mail kommt). Da ist es klar, dass es sich bei dieser Klage nur um eine verlorene E-Mail handeln kann. Wofür sollte man sonst die Erde küssen wollen, wenn nicht für das Wiederfinden von spurlos verschwundenen Mails, an denen heute doch das digital-nervöse System einer jeden Firma hängt? Nirgendwo sonst fließen heißer die Tränen, als dort, wo Andwender vergeblich auf ihre E-Mail warten, die über unbekannte Sicherheitsserver laufen und sich dann verlaufen, in Eis und Schnee und Sand, in Digitalien und anderswo.

***Dabei sollte man die elektronische Post wirklich nicht unterschätzen. Sie ist der Gesundheit förderlich, wie nunmehr wissenschaftlich bewiesen, wenn sie bei einer Diät eingesetzt wird. Und sie kann der Wissenschaft dienen, wie die katholische Nachrichtenagentur meldet: Da sorgte eine E-Mail über die Notiz eines Priesters aus dem Jahre 1845 dafür, dass ein verloren geglaubtes Fresko des Renaissancemalers Bramante im Vatikan wieder entdeckt wurde.

***Für die Freunde weniger orthodoxer Zeichen und Wunder könnte sich übrigens bald eine weitere Alternative auftun: Per E-Mail haben die Anhänger der Jedi-Religion vor kurzem die Einwohner Neuseelands aufgefordert, sich bei der derzeit dort durchgeführten Volkszählung zur Macht zu bekennen. Sollten mindestens 8000 Kiwis diesem Ansinnen folgen, wird der Jedi-Kult zur offiziell anerkannten Religion. Die Betreiber der Jedi Creep-Website freuen sich jedenfalls über den Zulauf, den ihnen ein Bericht der BBC verschafft hat – die Bewegung wächst und gedeiht. Nach den Erfahrungen, die die Kollegen von heise online mit Berichten über diverse Websites gemacht haben kann man allerdings nur hoffen, dass auch der Web-Server der Jedis mitgewachsen ist – dem geballten Ansturm der Heise-Leserschaft ist schon so manches ambitionierte Projekt nicht gewachsen gewesen: Möge die macht mit euch sein.

***Bisweilen geben Zeitsprünge wirkliche Rätsel auf. Im Jahre 1991 schrieb ein Journalist in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift "Chip": "Die Windows-Anwendung Explorer ist ein sehr einfach zu bedienendes, bildorientiertes Autorensystem. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Präsentation bis zur Schulung: Teile eines mit der David-Karte erfaßten Bildes werden als Schaltflächen für den Aufruf des nächsten digitalisierten Bildes definiert. Interaktive Anwendungen lassen sich so beispielsweise nach Art von Explosionszeichnungen realisieren. Benutzer der David-Karten-Version des Explorers können die Bilder auch mit einer Tonsequenz hinterlegen."

***Nun ist es gerade Samstag-Abend im Märzen des Jahres 2001, bevor diese Kolumne abgeliefert sein muss. Und tränenden Auges lesen wir: "Die Windows-Anwendung Explorer als Standardversion ist ein sehr einfach zu bedienendes, bildorientiertes Autorensystem. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Präsentation bis zur Schulung. Teile eines mit der Screen-Machine erfaßten Bildes werden als Schhaltflächen für den Aufruf des nächsten digitalisierten Bildes definiert. Interaktive Anwendungen lassen sich so beispielsweise nach Art von Explosionszeichnungen realisieren." Auch 10 Jahre nach Veröffentlichung des Artikels ist der Zeilenklau durch die Firma Symicron ein Fall für das Urheberrecht. Und weil die Produktbeschreibung von einer Software namens Klick! ebenfalls aus dem Zeitschriftentext übernommen wurde, haben wir den schönen Fall, wie Werbung und Journalismus Hand in Hand gehen können – ohne das besagter Journalist entlohnt wurde. das soll jetzt nachgeholt werden: Mit Unterstützung der IG Medien wird sich wohl ein Gericht mit dem Zeilenklau befassen. Am 9.3. lief die Frist für die Firma Symicron ab, den Klau abzustellen. In der Nacht davor wurde kurzzeitig die Website der Firma entsprechend geändert, doch tags darauf war alles wieder beim Alten.

***Dass das gute Alte wieder zu seinen Ehren gelange, ist das halb spaßige Anliegen einer Initiative, die sich "Take back the Net" genannt hat und sich ausgerechnet den 1. April zum Aktionstag erkoren hat. An diesem Tag stehen alle e-Räder still, weil der aufrechte Surfer Kommerzsites links liegen läßt, nichts kauft und sich ausschließlich auf nicht-kommerziellen Website tummelt, gar den ganzen schönen Tag im Usenet verbummelt. Der Appell ist nicht ohne, doch die Idee, die Initiative nach dem Ponzi-Schema zu verbreiten, zeugt von schlechtem Geschmack. Selbst als Aprilscherz ist dies etwas zuviel des alten Schlechten.

***Schlecht muss auch die Sache genannt werden, die in Spanien heiß disktutiert wird. Dort soll der Chef von Terra Lycos, der Spanier Joaquim Agut bei einem Festbankett seinem Management verboten haben, Geschäfte mit Juden abzuwickeln, weil diese immer nur betrügen könnten. Sollte jemand doch Probleme mit Juden haben, so würde er gute Cousins in Sizilien kennen, soll Agut gewitzelt haben. Pech für ihn, dass ein prominenter spanischer Wirtschaftsjournalist beim Essen dabei war und die Worte mitschrieb. Terra Lycos läßt inzwischen die Worte von Agut dementieren, erklärt aber auch, dass es sich um einen Witz speziell für spanische Verhältnisse gehandelt haben könnte. Ein angedrohter Boykott würde Terra Lycos empfindlich treffen.

Treffer anderer Art vermeldet das World Policy Forum der ITU, das letzte Woche in Genf stattfand und die IP-Telefonie behandelte. Nach den Länderberichten setzt sich das Datentelefon durch und wird von den großen Carriern in den Industriestaaten gefördert. In der Dritten Welt bringt es hingegen manch kleinere nationale Telefongesellschaften an den Rand des Ruins. Ein Zahlungsausgleich, wie er im üblichen Telefonverkehr zwischen den Carriern gehandhabt wird, wird bei der IP-Telefonie abgelehnt. Einige Daten sind eben gleicher als andere.

Was wird

Beim großen Luftholen vor der CeBIT sollten die nächsten Tage und Wochen Woche dahin gleiten wie der Yangtsekiang. In Deutschland ist der Montag als E-Day deklariert, weil ein weiteres ungemein wichtiges Business-Blatt den Managern die Internet-Wirtschaft erklären soll. In den USA ist dieser Tag der L-Day, weil an diesem Wochenende die ACM-Konferenz in San Jose gestartet wurde. Steve Ballmer von Microsoft ist am Montag im Reigen der Redner zu finden. Seine Rede zur Rolle der Forschung bei der Entwicklung kommerzieller Software soll nach den Wirren der letzten Wochen für Klarheit sorgen. Schließlich sind es Betriebssysteme von Microsoft und nicht die verschiedenen Linux-Varianten, die den größten Anstoss für Forschungen in aller Welt geben. Die Rede Ballmers wird laut Pressevorschau über das Netz von Digital Island zu allen wichtigen Universitäten der Welt gestreamt. Da werden die Studenten heiße Tränen der Freude laufen lassen.

Und wem das noch nicht Genug Gewissheit ist, der kann dieser Tage bei der Lösung von einem der letzten großen Rätsel der Menschheit zusehen. Robert Matthews will herausfinden, ob das "Gesetz der selektiven Schwerkraft" stimmt – eine Folgerung aus Murphys Gesetz, nach der ein Gegenstand immer so fällt, dass er den maximal möglichen Schaden anrichtet. Um nun zu klären, ob ein Toast wirklich immer mit der Butterseite auf den Teppich fällt, will Matthews 150.000 britische Schulkinder für einen Großversuch einspannen. Das Experiment wird unter anderem von einer Organsiation unterstützt, die die britische Regierung ins Leben gerufen hat, um Kindern Freude an der Mathematik zu vermitteln. (Hal Faber) / (wst)