Vision.A: Digitale Innovationen für die Apotheken- und Pharmabranche

AR-Brillen für Parkinson-Erkrankte, Apotheker als Influencer und Rezepte aus der Blockchain. Innovative Konzepte könnten Schwung in die Branche bringen.

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Apotheker-Konferenz Vision.A: Digitale Innovationen für die Apotheken- und Pharmabranche
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Valerie Lux
Inhaltsverzeichnis

Auf der Digitalkonferenz Vision.A 2019 der apotheke adhoc diskutierten Experten aus der Apotheken- und Pharmabranche die Möglichkeiten, die die Digitalisierung zukünftig bietet.

"Die lokale Apothekerin vom Dorf muss zum Influencer werden" lautete die Empfehlung von Dr. Tu-Lam Pham in der Keynote des Eröffnungsfestakts, die die Zukunft der Gesundheitsbranche, insbesondere der Apotheken, unter die Lupe nahm. Vielen deutschen Angestellten in der Apotheke und der Gesundheitsbranche allgemein sei noch nicht bewusst, dass sich in ihrem Beruf die Option "Health Influencer" geradezu aufdränge.

Pham, Experte für digitale Geschäftsmodelle, E-Commerce und Social Media, zeigte, dass unpopuläre, medizinische Anwendungen einen Coolness-Push durch Instagram erhalten könnten. Das Unternehmen dexcom stellt beispielsweise Pflaster für Blutzuckermesssysteme her, die auf Instagram besonders ästhetisch dargestellt werden. Wurden diese Pflaster früher verschämt unter dem Hemd versteckt, können sie Soziale Medien durch eine ansprechende Bildsprache aus der Tabu-Ecke holen und somit Patienten helfen, mit ihren Erkrankungen normaler umzugehen.

Die gesamte Branche müsse sich an eine erhöhte Geschwindigkeit anpassen, so Pham. Schnelle Lieferzeiten wären der ausschlaggebende Faktor dafür, ob lokale Apotheken bald vollständig vom Onlinehandel ersetzt werden. Gerade wer zuhause krank im Bett läge, könne sich oft nicht aufraffen, zur Apotheke zu laufen. Die Lieferung des Medikaments nach Hause noch am selben Tag sei eine Entwicklung, die viele Apotheken in Deutschland lange verschlafen hätten.

Auch nachts seien viele Menschen genervt, wenn sie erst mühsam den Standort und die Öffnungszeiten einer Notfallapotheke herauszufinden müssten. Eine Online-Bestellung bei einer Apotheke mit einer garantierten Lieferung innerhalb von zwei Stunden könne hier Abhilfe schaffen.

Auch die schnelle Beratung bei einfachen Krankheitsbildern will Pham verbessert sehen. Abhilfe sollen "KI-Kliniken" schaffen. Erkrankte, die sich nicht sicher seien, welches Medikament sie benötigen, könnten mit einer Künstlichen Intelligenz (KI) reden. Statt einen Arzt zu konsultieren, könne man einer KI-Klinik, einer Box, die einem Passfotoautomaten ähnelt, das gesundheitliche Problem schildern.

Ein Sprachbot würde mit dem Patienten kommunizieren und entscheiden, ob er ein weiteres Gespräch mit einem Arzt oder ein bestimmtes Medikament benötigt. Die KI-Kliniken wären datenschutzsicher konzipiert und hätten ein eigenes Lager, aus dem sie gegebenenfalls automatisch nicht verschreibungspflichtige Medikamente sofort an den Patienten ausgeben könnten.

Viktor Mayer-Schönberger, Oxford-Professor für Internet Governance, widersprach Pham, dass sich die Entwicklung in der Gesundheitsbranche hauptsächlich um Geschwindigkeit drehe. "In Zukunft geht es nicht um Schnelligkeit, sondern darum, richtige Entscheidungen für das Individuum anhand eines riesigen Topfs seiner Daten zu treffen", so Mayer-Schönberger. Anhand von verschiedenen DNA-Sequenzen könnten Medikamentendosierungen viel besser auf den individualisierten Patienten zugeschnitten werden.

"Ich bin kein Durchschnittsmann, aber eine Aspirin-Tablette orientiert sich an dem Durchschnittsgewicht und -merkmalen in der Bevölkerung", so Mayer-Schönberger. Durch Anwendung von künstlicher Intelligenz könnten Therapieansätze viel exakter den Bedürfnissen der Patienten angepasst werden. Indem ein KI-Algorithmus alle Datensätze eines Individuums "durchpflüge" würden Zusammenhänge entdeckt, die vorher einem geschulten Auge entgangen sein könnten.

Um Ärzten weitere Arbeit zu ersparen, stellte Irina Hardt, Wirtschaftsinformatikerin und McKinsey-Beraterin, das Projekt "eBtM – Eine Blockchain-basierte Anwendung für den Betäubungsmittelverkehr" vor. Die Doktorandin gewann vor drei Wochen den Ideenwettbewerb des Bundesgesundheitsministeriums. Ihr Ziel: Die Zettelwirtschaft der Vergabe von Erlaubnissen der Aufsichtsbehörden an Ärztinnen abzuschaffen.

Auf einer Blockchain-Kette werden automatisch die Rezepte gespeichert. Jede Praxis und Behörden wie die Opiumaufsichtsbehörde erhalten einen privaten und zugangsbeschränkten Schlüssel zu der dezentralen Speicherungskette. In einer Art Smart Contract übermittelt die Arztpraxis die Stammdaten aus der eigenen Patientenkartei an die Blockchain und die Ärztin fügt ihre digitale Signatur hinzu. "Der Speicherort sensibler Daten auf der Blockchain ist sicherer, als in der Schublade einer Arztpraxis, wo gerade die Bescheinigungen von Suchtkranken häufig entwendet und ohne Genehmigung vervielfältigt werden", so Hardt.

Mit einer AR-Brille will Maren Demant von Invisible Room Parkinsonerkrankten helfen.

Neben Vorträgen widmet sich die Vision.A nun auch Start-ups. In einer Start-up Audition erhalten Start-ups die Möglichkeit, ihre Ideen vorzustellen. Die Mitgründerin von Invisible Room und Designerin für Immersive Experience, Maren Demant, nahm den Preis für das erfolgversprechendste Start-up entgegen. Sie widmet sich dem Problem des "Freezing". "Freezing" bezeichnet das Phänomen, das viele Parkinson-Erkrankte teilen: Plötzlich gehorchen die Gliedmaßen nicht mehr, die Bewegung wird eingeschränkt. Mitunter bleiben die Patienten unvermittelt stehen und können so in gefährliche Situationen geraten.

Demant will dieses Problem mit einer AR-Brille lösen. Sie soll in solchen Situationen an passenden Stellen virtuelle Objekte in das Sichtfeld einblenden und dadurch die Motorik des Parkinson-Erkrankten animieren. So kann er beispielsweise wieder eine Rolltreppe als solche erkennen und seinen Weg fortsetzen. "Auf diese Art und Weise schafft der Erkrankte es wieder, die Beine zu heben, selbst wenn er auf einer geraden Straße steht", sagte Demant. (olb)