Der Weg ist das Ziel

Marina Lostetter beschreibt in "Die Reise" die Evolution einer Gesellschaft im Weltraum.

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Im Jahr 2125 starten von der Erde zwölf Weltraum-Missionen. Eine von ihnen ist Konvoi 7, der das Geheimnis des blinkenden und vielleicht von einer künstlichen Sphäre umschlossenen Sterns LQ Pyxidis lüften soll. "Die Reise" zu ihm (Originaltitel: "Noumenon") ist der erste Roman der Amerikanerin Marina Lostetter, die sonst Sci-Fi-Kurzgeschichten schreibt.

Mit viel Liebe zu wissenschaftlichen und psychologischen Details entwirft sie die Geschichte einer Gesellschaft, die fernab der Erde auf sich allein gestellt ist. Eines der neun Konvoi-Raumschiffe hat eine künstliche Sonne für die Tier- und Pflanzenzucht. Die Triebwerke nutzen Subdimensionen der Zeit, um die Reise zu beschleunigen. Damit brauchen sie nur ein Zehntel der Zeit, trotzdem wird die Mission 200 Jahre Bordzeit dauern.

Wie aber geht eine Gesellschaft damit um, dass viele von ihnen weder das Ziel der Mission noch jemals wieder die Erde sehen werden? Zunächst nicht gut. Selbstmorde hatten die Projektplaner vorhergesehen, einen Aufstand dagegen nicht. Er entzündet sich unter anderem an der vorab vereinbarten Maßgabe, dass die Raumfahrer mit 60 Jahren "ausscheiden", um die Besatzungszahl konstant zu halten. Das Ziel der Aufständigen ist es, die Maßgabe abzuschaffen und umzukehren.

Der Reiz des Buches ist seine Fähigkeit, immer wieder zu überraschen. So besteht die Besatzung aus Klonen der Wissenschaftler, die das Projekt entwickelt haben und deren Gene und psychische Bewertung auf eine starke empathische Persönlichkeit hinwiesen. Paare ziehen statt eigener Kinder Klone auf. Aber nicht jeder Klon ist eine hundertprozentige Kopie des Originals, und so illustriert Lostetter anschaulich, wie unterschiedliche Umweltbedingungen und gesellschaftliche Verwerfungen völlig andere Menschen hervorbringen können.

Der heimliche Star der Geschichte ist aber der Bordcomputer "C", eine künstliche Intelligenz, die wie ein guter Geist über die Besatzung wacht. Sie ist die Konstante, während sich alles verändert. Die Autorin mutet den Lesern allerdings auch Überraschungen zu, mit denen sie riskiert, diese zu verlieren. So bricht der Konvoi nach der Erforschung von LQ Pyxidis mit sehr wenigen Erkenntnissen wieder zur Erde auf. Das ist gegenüber vielen "Star Trek"-Folgen mit einer wundersamen Lösung wohltuend realistisch. Doch die Enttäuschung wiegt schwer. Zuweilen mäandern die Gedanken der Protagonisten auch zu sehr.

Immerhin enthält die Rückkehr zur Erde noch spannende Überraschungen. So versinkt der Konvoi nach dem Verlust eines Schiffs in der dunkelsten Periode seiner Geschichte. Vollends entschädigt wird der Leser dann mit der bisher nur auf Englisch erschienenen Fortsetzung "Noumenon Infinity". Sie klärt nach einer geschickten falschen Fährte und einem Erstkontakt mit schweigsamen Aliens in einem atemberaubenden Finale das Geheimnis von LQ Pyxidis auf.

Marina Lostetter, Heyne, 2019, 560 Seiten, 11,99 Euro (E-Book: 9,99 Euro)

(jle)