Bundesverwaltungsgericht: Gesetz für mehr Videoüberwachung ist nicht anwendbar

Seit 2017 sollen Private mehr Kameras an "öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen" anbringen können. Dem steht die DSGVO gegenüber.

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Überwachung, Kamera
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Das Bundesverwaltungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Videoüberwachung durch private Stellen ausschließlich am europäischen Datenschutzrecht zu messen ist. "Eine Privatperson kann sich nicht selbst zum Sachwalter des öffentlichen Interesses erklären", betonen die Leipziger Richter. "Insbesondere ist sie nicht neben oder gar anstelle der Ordnungsbehörden zum Schutz der öffentlichen Sicherheit berufen." Es gebe daher im Lichte der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) keinen "Raum für eine künftige Anwendung" des 2017 vom Bundestag beschlossenen sogenannten Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes.

Schwerpunkt: Ein Jahr DSGVO – eine Bilanz

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Am 25. Mai 2018 trat die Datenschutz-Grundverordnung endgültig in Kraft - und löste trotz zwei Jahren Zeit für Vorbereitungen große Unsicherheit bei Anbietern und Nutzern aus. Nach einem Jahr zeigt die Bilanz, welche Auswirkungen die DSGVO hatte und was sich eigentlich Entscheidendes geändert hat.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts regelt die DSGVO die Videoüberwachung durch Private abschließend. Danach müsse die mit einer Überwachungskamera ermöglichte Datenverarbeitung "erforderlich für die Wahrnehmung einer Aufgabe sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde". Eine zusätzliche Abwägung mit den Interessen der Betroffenen sei nicht vorgesehen. Dies geht aus einem jetzt veröffentlichten Urteil des Gerichts vom 27. März (Az.: BVerwG 6 C 2.18) hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall geht es um eine Anordnung der brandenburgischen Datenschutzbeauftragten Dagmar Hartge zur rechtskonformen Videoüberwachung in einer Zahnarztpraxis. Die Klägerin, eine Zahnärztin, hatte oberhalb des unbesetzten Empfangstresens eine Digitalkamera, die laufende Bilder in Echtzeit herstellt. Die Bilder konnten auf Monitoren angesehen werden, die die Ärztin in den Behandlungszimmern aufgestellt hatte. Sie hatte geltend gemacht, der ungehinderte Zugang zu ihrer Praxis könne ausgenutzt werden, um dort unerkannt Straftaten zu begehen.

Das Oberverwaltungsgericht hatte im Berufungsverfahren aber keine Tatsachen festgestellt, wonach eine erhöhte, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefährdungslage bestehen könnte. Ihm zufolge gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, die Praxis könne während der Öffnungszeiten Tatort für Einbrüche, Überfälle und Gewalttaten werden. Das Gebäude liege nicht in einem Gebiet mit erhöhtem Gefahrenpotenzial. Personen könnten auch durch das Betreten des überwachten Raums nicht rechtswirksam ihr Einverständnis mit der Maßnahme zum Ausdruck bringen.

Hartge hatte die Klägerin verpflichtet, die Kamera so auszurichten, dass sie den öffentlich zugänglichen Bereich der Praxis nicht erfasst. Dieses Vorgehen "war verhältnismäßig, insbesondere geeignet und erforderlich", betont das Bundesverwaltungsgericht. Es habe sich um das "mildere Mittel gegenüber einem Abdecken oder Abbau der Kamera" gehandelt. Zudem sei die Anordnung auch von der seit 25. Mai 2018 unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten geltenden DSGVO gedeckt. Danach kann die Aufsichtsbehörde einen Verantwortlichen anweisen, Verarbeitungsvorgänge auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit der Verordnung zu bringen.

Ausnahmen sind laut den Leipziger Richtern allein an Artikel 6 DSGVO zu messen, nicht jedoch an der nationalen Umsetzung hierzulande, mit dem der Bundestag das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz übernahm. Bedeutsam ist demnach, ob die Datenverarbeitung "für die Verhinderung von Straftaten unbedingt erforderlich ist", ob sie absehbar, also branchenüblich sei, oder ob die Betroffenen in der konkreten Situation "vernünftigerweise damit rechnen müssen, dass ihre Daten verarbeitet werden". Die Videoüberwachung des öffentlich zugänglichen Bereichs der Praxis sei so unzulässig, "weil sie nicht erforderlich ist, um berechtigte Interessen der Klägerin zu wahren".

Das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz war vor allem eine Reaktion auf einen Amoklauf 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum mit neun Toten. Mit der damit verknüpften Reform des Bundesdatenschutzgesetzes sollen mehr Kameras an "öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen" angebracht werden dürfen. Das Parlament wollte damit die Sicherheit vor allem in Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen sowie in Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs erhöhen.

Die Datenschutzbehörden der Länder sollten so in ihren Genehmigungsverfahren für öffentlich angebrachte Videokameras den "Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit" von Menschen besonders berücksichtigen. Bisher standen die Kontrolleure derlei Vorhaben privater Betreiber in frei zugänglichen Räumen skeptisch gegenüber.

Die Leipziger Entscheidung bestätigt nun die Auffassung der Datenschutzbehörden, die bereits im Gesetzgebungsverfahren eindringlich auf den Vorrang des EU-Rechts hingewiesen hatten. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar begrüßte daher die klare Ansage des Gerichts, da "die Aufgabe der Videoüberwachung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht auf private Betreiber übertragen werden" könne. Letztere könnten zwar auch nach Maßgabe der DSGVO "die Schutzinteressen von dritten Personen bei der Datenverarbeitung berücksichtigen". Dabei gebe es aber keine "nationalen Vorrang- und Verstärkerklausel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit durch private Videoüberwachungsanlagen". Gegen das nun lahmgelegte Gesetz ist auch noch eine Verfassungsbeschwerde von Mitgliedern der Piratenpartei anhängig. (jk)