Whistleblowing: Rechtliche Risiken für Verräter von Geschäftsgeheimnissen

Die Abwägung zwischen Geschäftsgeheimnissen und der Veröffentlichung von Missständen ist schwer – auch juristisch. Für Whistleblower gibt es viele Fallen.

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Rechtliche Risiken für Verräter von Geschäftsgeheimnisse

(Bild: Albert Hulm)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Harald Büring
Inhaltsverzeichnis

Kevin K. war gern Server-Admin in dem mittelständischen Betrieb. Die Gewissensbisse kamen von Fall zu Fall, immer öfter. Die Grenze schien ihm erreicht, als der Geschäftsführer ihm vertraulich nahelegte, aus der eigentlich erworbenen Einzellizenz des geradezu unanständig teuren Layout-Pakets mithilfe kreativer Tricks eine von allen dreißig Mitarbeitern gleichzeitig nutzbare Netzwerkversion zu machen und dies möglichst unauffällig zu gestalten. Sein zaghafter Widerspruch wurde vom Hinweis auf die schwierige Unternehmenssituation und auf die günstigen Angebote freiberuflicher IT-Dienstleister erstickt.

Solche Fälle, die die Loyalität zum Arbeitgeber auf die Probe stellen, kennen nicht nur Leute, die sich in Unternehmen um die IT kümmern. Vor Gerichten sind bislang eher Fälle aus anderen Berufsbereichen gelandet. Diese sind jedoch von ihrer Art her durchaus vergleichbar mit dem, was den eingangs angesprochenen Server-Administrator umtreibt.

So war dem kaufmännischen Leiter einer Apotheke in Bottrop aufgefallen, dass sein Arbeitgeber Krebsmedikamente gestreckt, aber zum Originalpreis verkauft hatte. Nachdem er den Apothekenbetreiber 2016 angezeigt hatte, kündigte dieser ihm fristlos. Für den Fall, dass die fristlose Kündigung keinen Bestand haben würde, sprach er hilfsweise auch noch eine ordentliche Kündigung aus. Das Arbeitsgericht (ArbG) Gelsenkirchen sah die fristlose Kündigung als rechtmäßig an [1]. Begründung: Der Gekündigte habe angeblich privat Medikamente bezogen, aber nicht bezahlt. Seinen Hinweis, dass dieser Medikamentenbezug mit dem Chef abgesprochen gewesen sei, hielten die Richter für eine unzutreffende Schutzbehauptung.

Dem mit der Berufung befassten Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm erschien dies jedoch fragwürdig. Der Apotheker schloss mit seinem kaufmännischen Leiter einen Vergleich, der neben der Fortzahlung von dessen Gehalt bis zum Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung die Zahlung einer Abfindung und die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses vorsah. Des Weiteren verpflichtete sich der Arbeitgeber, an den gemachten Vorwürfen in puncto Medikamentenbezahlung nicht mehr festzuhalten [2].

Einige Monate später verurteilte das Landgericht (LG) Essen den Apotheker wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz sowie wegen gewerblichen Betrugs in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Ferner verhängten die Richter ein lebenslanges Berufsverbot [3]. Diese Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

In Deutschland gab es zumindest noch bis vor Kurzem kein Gesetz, das Whistleblower in Unternehmen schützte. Mitarbeiter sind in Bezug auf betriebsinterne Vorgänge und Dokumente zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das gilt auch dann, wenn sie nicht eigens eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben. Die Verschwiegenheitspflicht ergibt sich dann als vertragliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag (§ 241 BGB).

Erst wenn die Beschwerde beim Chef fruchtlos bleibt, darf der Mitarbeiter die zuständigen Behörden einschalten.

Wenn ein Arbeitnehmer gegen seine Verschwiegenheitspflichten verstößt, berechtigt das den Arbeitgeber normalerweise zu einer fristlosen Kündigung. Die Rechtsprechung sieht darin einen „wichtigen Grund“ im Sinne von § 626 BGB. Ob das auch beim Offenlegen rechtswidriger Aktivitäten greift, müssen Gerichte in jedem Einzelfall durch eine Interessenabwägung entscheiden. Grundsätzlich sind Arbeitnehmer gehalten, sich bei Missständen zunächst beim Arbeitgeber zu beschweren – dann ist dessen Aufmerksamkeit gegenüber dem betreffenden Mitarbeiter allerdings geweckt. Erst wenn die Beschwerde beim Chef fruchtlos bleibt, darf der Mitarbeiter die zuständigen Behörden einschalten.

Nur wenn es um Straftaten geht, kann ein Mitarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen direkt zur Strafanzeige schreiten: Das ist etwa der Fall, wenn er Kenntnis von verbrecherischen Aktivitäten im Unternehmen hat. Dasselbe gilt, wenn sein Arbeitgeber selbst der Täter ist, und auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich durch die Nichtanzeige einer geplanten Tat gemäß § 138 StGB selbst strafbar machen würde. Ein Irrtum bei einer solchen Anzeige darf dem Mitarbeiter generell nur dann zur Last gelegt werden, wenn er leichtfertig oder absichtlich unzutreffende Angaben gemacht hat [4, 5].

In Deutschland gab es zumindest noch bis vor Kurzem kein Gesetz, das Whistleblower in Unternehmen schützte.

Mit welchen Klippen diese Rechtssituation aufwartet, wird am Fall einer Altenpflegerin deutlich, die ihren Arbeitgeber wegen Missständen in der Pflege sowie wegen Abrechnungsbetrugs angezeigt hatte. Nachdem ihr fristlos gekündigt wurde, hatte sie auf ihrem Weg durch die deutschen Gerichtsinstanzen keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin ging davon aus, dass die Anzeige wegen Abrechnungsbetrugs leichtfertig gewesen war. Als Beleg dafür nahmen die Richter die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Betrugs [6]. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die Beschwerde der Arbeitnehmerin gegen die Nichtzulassung ihrer Revision zurück [7], das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schließlich nahm ihre Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an [8]. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sprach ihr eine Entschädigung zu [9]. Die europäischen Richter sahen insbesondere den Vorwurf der „Leichtfertigkeit“ als zweifelhaft an: Die deutschen Gerichte hätten nicht genügend berücksichtigt, dass es der Arbeitnehmerin um den Schutz der ihr anvertrauten Patienten gegangen sei, die unter erheblichen Pflegemissständen gelitten hätten.

Über eine Kündigung hinaus drohen jemandem, der Illegales aus seinem beruflichen Umkreis an die Behörden meldet oder gar als Whistleblower Hinweise an die Öffentlichkeit lanciert, unter Umständen weitere rechtliche Konsequenzen: So muss er gegebenenfalls damit rechnen, dass sein Arbeitgeber ihn wegen des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gemäß § 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) oder wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 des Strafgesetzbuchs (StGB) anzeigt. Das setzt voraus, dass er unbefugt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart hat, welches ihm etwa als Arzt, Rechtswanwalt, Amtsträger oder als Zugehöriger einer der anderen in § 203 Abs. 1 bis 2 StGB genannten Berufsgruppen bekannt war.

Lange Zeit gab es keine gesetzliche Definition davon, was genau ein Geschäftsgeheimnis ist. Gerichte griffen gern auf die sperrige Definition zurück, dass man darunter alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstehe, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich seien und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse habe.

Diese Definition hat der Gesetzgeber im neuen Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) vom 18.4.2019 aufgegriffen, das am 26.4.2019 in Kraft getreten ist. Dabei ging es ihm um die Umsetzung der sogenannten Know-how-Schutz-Richtlinie (EU) 2016/943. Im GeschGehG sind nun auch Ausnahmeregelungen für Gewissenskonflikte im Zusammenhang mit Missständen vorgesehen.

Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Dazu gehören der Rechtsprechung zufolge etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zu Kalkulationen und zur Kreditwürdigkeit. Man zählt dazu auch Patentanmeldungen sowie sonstige Dokumente zu Entwicklungs- und Forschungsprojekten, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmen können [10]. Die weitere Definition zählt noch viele Interna hinzu, die der Verschwiegenheit unterliegen – wie etwa die vom Apothekenmitarbeiter im Bottroper Fall den Behörden vorgelegten Unterlagen.

Ein Arbeitnehmer kann sich für die Offenlegung von Geheimnissen möglicherweise auf ein „berechtigtes Interesse“ nach § 5 GeschGehG berufen. Zur Frage, wann genau das greift, konnte die Rechtsprechung bislang noch keine Orientierungshilfe liefern. Zumindest in schweren Fällen – wie bei gravierenden Straftaten sowie bei einer Anzeigepflicht gemäß § 138 StGB – halten Fachleute eine Strafanzeige trotz der Verletzung geschützter Geheimnisse für unbedenklich [11]. Nach § 5 Nr. 2 GeschGehG ist die Nutzung, Erlangung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insbesondere dann zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung beziehungsweise eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens gerechtfertigt, wenn sie zum Schutz des allgemeinen öffentlichen Interesses geeignet ist.

Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes sah vor, dass die Person in der Absicht handeln muss, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Hiervon rückte der Gesetzgeber jedoch wieder ab, weil der Schutz eines Whistleblowers nicht von dessen Motiven abhängig sein soll [12].

Diese Bestimmung schützt Hinweisgeber jedoch nicht allgemein, sondern lediglich vor Unterlassungs- und Schmerzensgeldansprüchen ihres Arbeitgebers.


Auf EU-Ebene wird über einen umfassenden Schutz für Geheimnisträger mit Gewissensnöten debattiert. Geplant ist eine EU-Richtlinie zum Schutz von Arbeitnehmern und anderen Personen, die als „Hinweisgeber“, auf Missstände aufmerksam machen. Dabei sollen deren Motive keine Rolle spielen.

Umstritten war zunächst, inwieweit beobachtete Missstände nur dem Arbeitgeber mitgeteilt werden dürften. Der Vorschlag der EU-Kommission vom 23.4.2018 für diese Richtlinie [13] sah ein dreistufiges System zum Melden vor. Demzufolge müssten Arbeitnehmer normalerweise zuerst „interne Kanäle“ für Hinweise auf Missstände an ihren Arbeitgeber nutzen. Erst wenn das mindestens drei Monate lang fruchtlos geblieben wäre, dürften sie sich an die zuständigen Behörden wenden. Wenn diese dann wiederum untätig blieben, dürfte die Öffentlichkeit informiert werden. Hiervon sollte es nach Art. 13 Abs. 2b bis f des Entwurfs nur wenige Ausnahmen geben.

Demgegenüber sah ein Vorschlag des EU-Parlaments vom 26.11.2018 in seinem Art. 13 Abs. 1a vor, dass man Missstände aus dem Unternehmen auch direkt an die zuständigen Behörden melden und in die Öffentlichkeit tragen dürfte [14].

In Trilog-Verhandlungen haben sich Kommission, Parlament und Rat am 11.3.2019 auf einen Kompromiss verständigt. Demzufolge dürfen Arbeitnehmer sich doch direkt an die zuständigen Behörden wenden. Sie sollen einen aufgedeckten Missstand normalerweise aber nicht publik machen dürfen [15, 16].

Nach der Annahme dieser Fassung durch das EU- Parlament am 16.4.2019 [17] konnte die Richtlinie jedoch noch nicht in Kraft treten. Da das Ende der Legislaturperiode dazwischenkam, ist es nun notwendig, dass das Parlamentsplenum in der neuen Legislaturperiode erneut eine Annahme vollzieht. Anschließend soll der Rat formell über seine Annahme abstimmen. Erst darauf wird die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht – das wird voraussichtlich im Herbst des laufenden Jahres geschehen.

Dann dürfen sich die Mitgliedsstaaten maximal zwei Jahre Zeit lassen, um die neue Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Details lassen sich in der veröffentlichten vorläufigen Ausgabe der Whistleblower-Richtlinie vom 16.4.2019 nachlesen [18].

Dass Hinweisgeber nunmehr die freie Wahl haben sollen, ob sie einen Missstand intern melden oder sich direkt an die zuständige Behörde wenden, ergibt sich aus Art. 10 der vorgesehenen Fassung. Dass sie normalerweise wenigstens drei Monate abwarten sollen, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen dürfen, folgt aus Art. 15 Abs. 1. Die vorgesehenen Ausnahmen lassen sich ebenfalls dieser Vorschrift entnehmen: Sie betreffen Fälle, in denen etwa bei einer Anzeige Repressalien des Arbeitgebers drohen, die Vernichtung von Beweismitteln zu befürchten ist oder es Hinweise auf Mauscheleien des Arbeitgebers mit den Behörden gibt.

Wichtig ist, dass diese Richtlinie nur dann greifen soll, wenn Verstöße gegen Unionsrecht gemeldet werden, die in den sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Vorschriften fallen. Hierzu gehören insbesondere die in Art. 2 Abs. 1 der aktuellen Richtlinienfassung aufgeführten Bereiche. Darunter fallen beispielsweise Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Strahlenschutz, Tierschutz, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen.

Dieses ziemlich komplizierte Bedingungsgeflecht lässt es unklar erscheinen, ob die Richtlinie Whistleblowern tatsächlich einen umfassenden Schutz gewährt. Das wird hierzulande vorrangig davon abhängen, ob der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung in nationales Recht den Schutz auf weitere Bereiche ausdehnt. Diese Möglichkeit räumt der europäische Gesetzgeber ihm mit Art. 2 Abs. 2 der geplanten Richtlinie ausdrücklich ein.


Dieser Artikel stammt aus c't 14/2019. (psz)