Hightech gegen Hochseesklaverei

Mit Hilfe von Satelliten und KI lässt sich verdächtiges Verhalten von Fischerbooten auf dem Meer erkennen. Aktivisten rücken damit eine Branche ins Rampenlicht, in der es schwere Missstände gibt.

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Von
  • Peter Glaser

Im 19. Jahrhundert kam es nicht selten vor, dass Seeleute, die in London oder Hamburg in der Hafengegend ihrem Vergnügen nachgingen, sich anderntags zwangsverpflichtet an Bord eines Schiffs wiederfanden, das bereits in See gestochen war. Sogenannte Pressgangs oder bewaffnete Schiffsbesatzungen durchkämmten Kneipen und Bordelle, um die Mannschaften von Kriegs- oder Handelsschiffen mit Unfreiwilligen zu komplettieren. Sie wurden shanghait. Der Ausdruck entstammt dem Jargon amerikanischer Matrosen: Aus Schanghai, das seit den 1840er Jahren der wichtigste Hafen Ostasiens war, kamen besonders viele Schiffe mit chinesischen Zwangsarbeitern für die Farmarbeit in den USA und den Bau des Panamakanals.

Die brutale Tradition wird heute in Gestalt von Seeleuten fortgeführt, die gegen ihren Willen auf kommerziellen Fischfangschiffen festgehalten werden. Die Männer, die an Bord dieser Schiffe zu Sklavenarbeit gezwungen werden, waren ganz normal auf Arbeitssuche, sagt Val Farabee, Forschungsdirektor bei Liberty Shared, einer Organisation zur Bekämpfung von Menschenhandel. Sobald sie auf See isoliert sind, werden ihre Löhne plötzlich einbehalten. Oft sind sie dann jahrelang unzumutbaren und gewalttätigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Eine Kombination neuer Technologien gibt Menschenrechtsanwälten und Strafverfolgungsbehörden nun die Möglichkeit, diesen Menschen ihre Freiheit und ihre Rechte wiederzugeben.

Obwohl die gravierenden Missstände auf illegal operierenden Fischfangschiffen gut dokumentiert sind, erschwerte es bisher ein gordischer Knoten an Durchsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen der Fischereiindustrie als auch die Weite der Ozeane, denen zu helfen, die auf solchen Schiffen gefangengehalten werden. Es ist unklar, um wie viele Menschen es sich dabei handelt. Nach Angaben der International Labour Organization (ILO) sind weltweit schätzungsweise 21 Millionen Menschen von Sklavenarbeit betroffen. Die ILO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die den Auftrag hat, sich um soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrechte zu kümmern und Menschenhandel zu bekämpfen.

"Die weltweiten Fischbestände sinken, also müssen die Fangflotten weitere Fahrten unternehmen", erläutert Lacey Malarky, ein Experte für illegale Fischerei. "Das hat zur Folge, dass die Betreiber auf illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei sowie Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit der Crew zurückgreifen, um die Kosten niedrig zu halten." Nach Schätzung von Fachleuten erbringt die illegale Fischerei jedes Jahr mehr als 23 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 20,4 Milliarden Euro.

Malarky und Farabee haben kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der zeigt, wie man aus Satellitendaten Hinweise darauf gewinnen kann, dass ein Schiff illegal fischt und Zwangsarbeiter an Bord hat. Liberty Shared hatte seine Aufmerksamkeit auf Fischereifahrzeuge gerichtet, deren Betreiber bereits des Einsatzes von Sklavenarbeit beschuldigt und verurteilt worden waren. Malarky überwachte die Schiffe auf Global Fishing Watch. In dieser Online-Datenbank lassen sich Fischereifahrzeuge über einen standardmäßig eingebauten Satellitensender, das Automatic Identification System (AIS), verfolgen. Das Funksystem wurde ursprünglich entwickelt, um Schiffskollisionen zu verhindern. Es protokolliert, wie und wann sich Schiffe bewegen.

Die Aktivisten entwickelten Algorithmen, die anhand der Geschwindigkeit und Richtung eines Schiffs erkennen können, wann es wahrscheinlich gerade dabei ist, zu fischen. "Und Schiffe, die illegale Absichten verfolgen, verhalten sich anders als reguläre", sagt Farabee.

Die Forscher fanden vier Hauptindizien. Schiffe, die monatelang auf See blieben, gaben Grund zu der Annahme, dass die Besatzung ebenso lange zur Arbeit gezwungen wurde. Einige Kapitäne schalteten ihr AIS-Signal vorübergehend aus. Die Datenspuren zeigten, dass eine Reihe von Schiffen das AIS bei der Einfahrt in Meeresschutzgebiete ausschalten und es kurz nachdem sie das Schutzgebiet verlassen haben, wieder aktivieren. Einige der Fischer behaupten zwar, sie würden ihr AIS ausschalten, um Gefahren wie Piraterie zu entgehen, die Nähe ihrer Schiffe zu geschützten Gewässern spricht allerdings eine andere Sprache. Eine weitere verdächtige Verhaltensweise war die "Umladung".

Beim Rendezvous eines Kühlfrachtschiffs und eines Fischereifahrzeugs auf hoher See wird dabei der Fang in das Kühlschiff umgeladen und an Land gebracht. Wiewohl dieses Manöver häufig auch legal durchgeführt wird, können Fangschiffe so wesentlich länger auf See bleiben. Zudem wird es dadurch schwieriger, die Herkunft eines Fischs aus dem Fang zu ermitteln. Schließlich signalisierten Schiffe, die Häfen mieden, in denen die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, dass sie möglicherweise etwas zu verbergen hatten. Ein Unternehmen kann zudem verschiedene Schiffe seiner Flotte in verschiedenen Ländern registrieren, die dann jeweils zum "Flaggenstaat" des Schiffs werden. Es ist bekannt, dass Schiffe, die illegale Aktivitäten ausüben, gern in Flaggenstaaten registriert werden, in denen die Durchsetzung von Rechtsvorschriften nicht sehr ausgeprägt ist.

Basierend auf diesen Kriterien nahm Malarky drei Schiffe ins Visier, die unter südkoreanischer, taiwanesischer und moldawischer Flagge fuhren. Die Satellitendaten bei jedem der Schiffe wiesen auf verdächtige Aktivitäten hin. Farabee arbeitet mit Wissenschaftlern der University of California zusammen, um weitere Muster zu erkennen, mit denen Schiffe mit Zwangsarbeitern an Bord identifiziert werden können. Den Forschern ist klar, dass letztlich menschliches Eingreifen erforderlich ist, um zu bestätigen, dass die Besatzung zur Arbeit gezwungen wird.

Die Daten "können auf etwas hinweisen, das eine Inspektion erforderlich macht", sagt Peter Horn, Projektleiter des Ending Illegal Fishing Project, das der Pew Charitable Trust finanziert. "Dass man diese Bedingungen erkennen kann, ist neu. Thailand etwa hat gute Gesetze, aber bisher kaum Möglichkeiten, Anzeichen von Zwangsarbeit auf See festzustellen." Auch läßt sich die Anstrengung, die Gesetze umzusetzen, offensichtlich noch steigern. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht ("Hidden Chains"), in dem dargelegt wurde, wie die thailändische Regierung es systematisch vermeidet, diese Art von Zwangsarbeit wahrzunehmen.

So ist etwa einem offiziellen Report der thailändischen Behörden aus dem Jahr 2015 zu entnehmen, dass es bei der Inspektion von 474.334 Fischereiarbeitern erstaunlicher Weise in keinem einzigen Fall gelungen war, Zwangsarbeit festzustellen. Die Inspektoren brauchen eine spezielle Ausbildung, um Zwangsarbeit zu verifizieren. So sollten sie etwa die Besatzung eines Schiffs in Abwesenheit des Kapitäns nach ihren Arbeitsbedingungen befragen. Unter den wachsamen Augen derer, die sie versklavt haben, ist es unwahrscheinlich, dass Besatzungsmitglieder sich trauen, die Wahrheit zu sagen.

Die Forscher sind optimistisch, dass das globale Tracking von Schiffen und der Einsatz von KI-Verfahren wie maschinellem Lernen zur Identifizierung von Verdachtsmomenten dazu beitragen können, den machtlosen Zwangsarbeitern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man könne es, so Malarky, ganz einfach sagen: "Das Spiel läuft jetzt anders."

(bsc)