Das Ende des Endes

Sendeschluss war gestern. Heute ist der digitale Medienfluss eine neue Umweltbedingung – etwas, das überall und immer da ist.

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Von
  • Peter Glaser

Das erste Permanentmedium war das Radio. Zuvor endete das ausgestrahlte Programm täglich in einer Sendeschluss-Zeremonie, einer letzten Nachrichtensendung etwa, oder der Nationalhymne. In Deutschland war der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im November 1947 der erste Radiosender mit einem Nachtprogramm, das allerdings die Nacht noch nicht vollständig überbrückte. Erst im Sommer 1959 schloß die ARD die Nachtlücken der meisten Radiostationen mit der gemeinsamen "Musik bis zum frühen Morgen".

Den Anlass dazu hatte allerdings nicht die fehlende Vollversorgung, sondern der Kalte Krieg gegeben: Mit dem Nachtprogramm reagierte die ARD auf den "Deutschlandsender" des Staatlichen Komitees für Rundfunk der DDR, der die nächtliche ARD-Funkstille okkupierte und auf der Frequenz ein Propagandaprogramm für BRD-Schichtarbeiter ausstrahlte. 1968 war dann endgültig Sendeschluss für den Radiosendeschluss, seither enthält die Luft neben Sauerstoff auch Rundfunk.

Bemerkenswerter Weise strebte schon Jahrzehnte bevor die Fernsehsender in den Achtzigerjahren ihre Nachtlücken abschafften, das Kino nach einer Spezialform von Permanenz. Beginnend in den Fünfzigerjahren und bis zur Jahrtausendwende zeigten Aktualitätenkinos alias Bahnhofslichtspiele – in Österreich: Non-Stop-Kinos – in ständiger Wiederholung eine knapp einstündige Zusammenstellung aus Wochenschaubeiträgen, Kulturfilmen, Zeichentrick oder Dick & Doof. Man konnte die Vorstellung – ganz so, wie man heute soziale Netze frequentiert – jederzeit grußlos betreten oder verlassen, wobei eine spezielle Innenarchitektur mit breiten Zwischengängen ein komfortables Kommen und Gehen ermöglichte.

Die Befüllung der nachmitternächtlichen Sendeplätze im Fernsehen hatte erst einmal ein eigenes Genre handlungsloser Filme zur Folge – den permanenten Blick in ein Aquarium, auf das Feuer eines offenen Kamins oder Führerstandsmitfahrten in der Eisenbahn. Nicht Spannung sondern Entspannung entströmte mit einem Mal dem damals noch unangefochtenen Leitmedium. Mit dem Walkman war der private, den Hörer umschließende Musikgenuss bereits mobil geworden – Musik als Soundtrack eines unaufhörlichen Films namens Alltag, dessen Hauptdarsteller ich selbst bin. Kulturpessimisten sahen den Walkmanträger als sozial isolierten Zombie.

Einen digitalen Wandel und eine Internet-Ausbreitung später erlebte die Walkman-Erfahrung im iPod ihre digitale Wiedergeburt. Die schneeweißen Kopfhörer ersetzten schneeweiße Sneakers als Statussymbole, und statt als Sonderling stand der Nutzer nunmehr im Rampenlicht. 2006 wählte das TIME-Magazin dich und mich ("You.") zur Person des Jahres. Ein neuer, aus purer Kommunikation bestehender Kontinent wurde erkundet und besiedelt, aber nicht wie in den Jahrhunderten zuvor von einzelnen Abenteurern und Entdeckern, sondern tatsächlich von allen. Die Entwicklung zum Dauerbetrieb verlief nicht bei allen Mediengattungen gleichmäßig.

Gedruckte Tageszeitungen etwa hatten hochfrequente Erscheinungsweisen bereits hinter sich. Die Neue Zürcher Zeitung erschien ab 1894 dreimal täglich; 1969 wurden es wieder zwei tägliche Ausgaben, seit 1974 gibt es nur noch eine Tagesausgabe. Auch die – analoge – Post war schon mal flotter als heute. Die britische Schriftstellerin Jane Austen (1775-1817) schrieb mehr als 3000 Briefe an ihre Schwester Cassandra; die beiden korrespondierten ständig.

In dem Augenblick, in dem eine einen Brief fertiggeschrieben hatte, begann sie bereits den nächsten zu schreiben. Zu Lebzeiten von Austen wurde in London sechsmal pro Tag Post zugestellt. Gelegentlich erreichte ein Brief, der am Morgen abgeschickt worden war, bereits am Abend seinen Empfänger.

Wieder andere Kommunikationskanäle werden unzeitgemäß und versiegen – nur um kurze Zeit später als hypermoderne Wiedergänger fröhliche Urständ zu feiern: Im Januar 2006 stellte Western Union den Telegrammdienst in den USA ein. Im März 2006 startete Twitter.

(bsc)