Europas SpaceX

Ganze Satelliten-Schwärme sollen künftig die Erde umkreisen. Daniel Metzler (27) entwickelt die Rakete dazu – in München.

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Europas SpaceX
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Von
  • Alexander Stirn

Als Start-up tut man gut daran, große Ziele zu haben – und diese auch entsprechend selbstbewusst zu verkünden. Isar Aerospace, ein junges Raumfahrtunternehmen, Anfang 2018 von Daniel Metzler gemeinsam mit zwei Studienfreunden gegründet, ist da keine Ausnahme. Folglich behauptet Isar Aerospace auch nichts Geringeres als: "Wir sind Europas SpaceX."

Aber eine gewisse Portion Größenwahn ist bestimmt nicht hinderlich, will man ein Raumfahrtunternehmen aufbauen. Wie das kalifornische Vorbild wollen auch Metzler & Co. eine Rakete entwickeln, ­bauen und startbereit machen – nur nicht von Los Angeles aus, sondern von Gilching. Dort, vor den Toren Münchens, unweit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen, soll Spectrum entstehen, eine Trägerrakete für kleine Nutzlasten. "Made in Munich", wie Isar Aerospace stolz betont. Der Markt für Satelliten ist in Bewegung – und damit auch die Nachfrage nach passenden Transportmöglichkeiten ins All. Bis vor wenigen Jahren waren Satelliten meist Spezialanfertigungen: groß, schwer, teuer. Die Ariane 5, Europas Vorzeigerakete, kann 16 Tonnen in eine niedrige Erdumlaufbahn wuchten – oder knapp elf Tonnen in sogenannten geostationären ­Orbit, wo die dicken Brummer unterwegs sind, die Fernseh- und Telekommunika­tionssatelliten.

(Bild: Handout/Metzler, Isar Aerospace)

Solche Kolosse gibt es zwar noch immer, deren Starts sind zuletzt aber deutlich zurückgegangen. Stattdessen sind kleine Satelliten im Kommen, die in deutlich geringeren Höhen um die Erde kreisen sollen. Weil ihr Blickwinkel geringer ist, sind entsprechend mehr Exemplare für eine breite Abdeckung nötig. Bis zu ein paar Tausend wollen Anbieter daher in sogenannten Konstellationen betreiben. Das Start-up Planet aus dem Silicon Valley verfügt zum Beispiel über eine Flotte aus gut 140 Erdbeobachtungssatelliten, von denen keiner schwerer als 150 Kilogramm ist. SpaceX hat gerade mit dem Aufbau einer Konstel­lation begonnen, die das Internet aus dem All in jeden Winkel der Erde bringen soll. Das Unternehmen Oneweb, an dem unter anderen Airbus beteiligt ist, versucht das Gleiche. Seine Satelliten, etwa 150 Kilogramm schwer, sollen schon bald in Florida wie Autos vom Band rollen. Ein bis zwei Stück pro Tag. "Wenn man Satelliten hat, die nur noch 500 oder 1000 Kilogramm wiegen, braucht man keine Trägerrakete für 20 Tonnen, sondern eine, die dafür maßgeschneidert ist", sagt Metzler. "Genau daran arbeiten wir: der perfekten Rakete für Satellitenkonstellationen."

Bis zu eine Tonne soll Spectrum, das schlanke, 27 Meter lange Geschoss von Isar Aerospace, in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen. Die Gilchinger Ingenieure sind damit nicht allein: Knapp hundert Raketenprojekte für kleine Satelliten, die allermeisten noch in der Entwicklung, hat die amerikanische Wagniskapitalgesellschaft SpaceFund zusammengetragen und bewertet. Überwiegend peilen die Unternehmen aber geringere Nutzlasten an. In der 1000-Kilogramm-Klasse von Isar Aerospace sieht es dünn aus. „In Europa haben wir in unserem Nutzlast­segment überhaupt keine Konkurrenten, da bespielen wir einen aktuell unbedienten Markt“, sagt Metzler. Als Investor an Bord ist unter anderem der ehemalige ­SpaceX-Manager Bulent Altan. "Sie bauen nicht einfach nur eine weitere ­Mikro-Rakete, sondern – was ich für ein viel relevan­teres und ehrgeizigeres Ziel halte – eine Träger­rakete mittlerer Größe", ­erklärt er.

Dennoch muss sich Isar Aerospace strecken. Denn aus den USA gibt es durchaus Konkurrenz, darunter die Start-ups Firefly und Relativity Space. Relativity versucht, seine Rakete beinahe komplett im 3D-Drucker herzustellen. Und Firefly hat das eigene Triebwerk bereits auf dem Teststand gezündet – ein Ziel, auf das die Gilchinger Entwickler noch hinarbeiten. Die Analysten des SpaceFunds, die Technik, Team und finanzielle Ausstattung untersuchen, sehen die US-Konkurrenten daher vorn. Im hauseigenen "Reality Rating", bei dem Raketenbauer mit bis zu neun Punkten bewertet werden, erhalten Firefly sieben Punkte und Relativity sechs Punkte – obwohl der 3D-Druck einer gesamten Rakete sehr komplex ist. Isar Aerospace kommt nur auf drei ­Punkte. Bei jungen Firmen sei dies allerdings nichts Ungewöhnliches, heißt es beim SpaceFund. Sie hätten noch die Chance, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Auch die großen Raketenbauer versuchen, sich auf den Markt der ­Mini-Satelliten einzustellen. Europas Ariane 6, die derzeit entwickelt wird, soll einen Adapter erhalten, mit dem sie bis zu 100 kleine Satelliten auf einmal transportieren kann. SpaceX wiederum hat im vergangenen Dezember im Zuge einer Mission namens SmallSat Express 64 Satelliten auf einen Schlag ausgesetzt.

Metzler hält insbesondere solch bunt zusammengewürfelte Missionen für keine überzeugende Idee. „Der Aufwand bei so etwas steigt enorm“, sagt er. Denn einzelne Satelliten einer Konstellation sind nicht unbedingt in ähnlichen Orbits unterwegs. Damit schrumpft der Vorteil des Massentransports. Die Logistik wird komplizierter, Satellitenbetreiber müssen unter Umständen lange warten, bis genügend Mitflieger zusammenkommen, und sie müssten bei ihrer gewünschten Umlaufbahn Rücksicht auf die anderen Satelliten nehmen, was gegebenenfalls zusätzlichen Treibstoff erforderlich macht.

Der Raumfahrtingenieur setzt daher auf Kunden, die schneller und flexibler starten möchten, und die dafür gern etwas mehr Geld ausgeben. Wobei der Unterschied groß ist: Etwa 55 Millionen Euro kostet die Falcon 9 von SpaceX laut Preisliste – macht pro Satellit weniger als eine Million Euro. Ein Start der Spectrum, die bei einer vergleichbaren Mission zwei oder drei Satelliten mitnehmen könnte, soll hingegen 10 bis 15 Millionen Euro kosten.

Während Metzler ausführlich über das Geschäftsmodell plaudert, hält er sich beim Thema Technik – auch das gehört bei Start-ups wohl dazu – ­äußerst bedeckt. Welcher Treibstoff im Triebwerk zum Einsatz kommen soll, dem Herzstück von Isar Aerospace und Kernkompetenz der Gründer, die bereits als Studenten an der TU München Triebwerke entwickelt haben, will Metzler nicht verraten. Es sei ein "leichter Kohlenwasserstoff", der gemeinsam mit flüssigem Sauerstoff verbrannt werden solle. Alles Weitere werde zu gegebener Zeit veröffentlicht.

Methan, das zu dieser Stoffklasse gehört, gilt derzeit als angesagter Kandidat unter Raketenbauern. Es ist leichter zu handhaben als flüssiger Wasserstoff, der auf minus 253 Grad Celsius gekühlt werden muss, ­bietet aber fast gleich viel Schub. Verglichen mit Kerosin, das unter ­anderem bei SpaceX zum Einsatz kommt, ist es sogar leistungsfähiger. Methan braucht wegen seiner geringeren Dichte allerdings größere Tanks und somit mehr Startmasse. Um das Problem des höheren Tank­gewichts wettzumachen, will Isar Aerospace die Dichte mit "stark ­unterkühlten Treibstoffen" nach oben treiben.

Weite Teile des Triebwerks sollen zudem aus dem 3D-Drucker kommen. "Durch die additive Fertigung können wir die Bauzeit – verglichen mit konventionellen Anlagen – von mehreren Monaten auf zwei Wochen reduzieren", sagt Metzler. Das spare Zeit. Und Geld. Dass so etwas ­prinzipiell möglich ist, haben Ingenieure des DLR Anfang des Jahres ­gezeigt. Ihr experimentelles, vollständig 3D-gedrucktes Triebwerk ­konnte fast zehn Minuten lang erfolgreich auf dem Teststand betrieben werden.

In Gilching soll das komplette Triebwerk Anfang 2020 auf einem Teststand Feuer spucken. Auf welchem? Verschlusssache. Ende 2021 ist dann der Jungfernflug der Rakete geplant. Von wo? Irgendwo in Europa. Anfang 2022 soll es schließlich losgehen mit Flügen für Kunden, von denen nach Angaben des Start-ups schon Absichtserklärungen über 230 Millionen Euro vorliegen.

Es ist ein ambitionierter Plan, bei dem noch viel dazwischenkommen kann. Doch auch SpaceX, das große Vorbild, ist für mitunter unrealistische, mehrfach verschobene Zeitpläne bekannt. Insofern passt das selbstbewusste Motto von Isar Aerospace dann irgendwie doch wieder.

(jle)