Interview zur Ars Electronica 2019: "Entertainment und Augenpulver"

Benjamin Heidersberger ist Medienkünstler. In den 1980er Jahren hatte er einige Auftritte auf der Ars Electronica, er erinnert sich.

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Ars Electronica 2019: Interview mit Medienkünstler Heidersberger

(Bild: Screenshot_Soundcloud/BenjaminHeidersberger)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Johannes Schacht

heise online: Herr Heidersberger, wie sind Sie zur Ars Electronica gekommen?

Benjamin Heidersberger: Peter Elsner und ich hatten uns 1982 als "Head Resonance Company" beim großen Preis der Ars Electronica beworben und dann dort eine interaktive Klanginstallation mit Robotkamera und Publikum realisiert. Später kamen mit Ponton/Van Gogh TV ab 1986 Projekte hinzu, die sich mit dem Thema Fernsehen als interaktive Installation und Begegnungsraum beschäftigt haben. 1989, 1990 und 1994 haben wir dann die Hauptprojekte der Ars Electronica realisiert. Spannend ist immer, was in der öffentlichen Erinnerung bleibt: Das war die Schlachtung eines Huhnes auf der Bühne des Brucknerhauses als Teil der "Todesoper" von Minus delta t. Der Veranstalter hatte die Wahl zwischen einem Skandal als Kunstverhinderer oder einem Skandal als Kunstermöglicher und hat sich für die zweite Variante entschieden.

Der ORF war von Anfang an enger Begleiter des Festivals. Worum ging es seinerzeit bei der Medienkunst?

Der ORF hat in der Person des Landesintendanten Hannes Leopoldseder die Ars Electronica mitinitiiert und aktiv gefördert. Bei unserem Projekt 1989 gab es in Österreich eine Diskussion um die Einführung des privaten Rundfunks. Wir hatten schon Sender und Ort für ein Piratenfernsehen bereit. Um das Schwarzsenden zu verhindern, hat man uns die Möglichkeit gegeben, statt einigen hundert Menschen das gesamte Sendegebiet des ORF, 3sat und SWR zu erreichen. Kern unserer Experimente war die Verwandlung einer einseitigen Ausstrahlung in ein interaktives Kommunikationsmedium. Angefangen hat es damit, dass wir einen Chat live ins Fernsehen gebracht haben. Damit haben wir die heutigen sozialen Medien vorbereitet. Dieses Projekt ist jetzt Inhalt eines Forschungsprojektes von zwei Hochschulen.

Mit dem Internet und Social-Media-Plattformen ist doch die Vision von einst heute Wirklichkeit. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Positiv gesehen befindet sich die Gesellschaft seit 40 Jahren in der Findungsphase des Umgangs mit "neuen" Medien, negativ gesehen sind die Kollateralschäden dabei immens. Da Silicon Valley zunehmend Fortschritt verhindert, um die neu gewonnene Macht zu zementieren, ist der Staat gefragt, alternative Modelle zumindest zu fördern und initiieren. In Europa haben wir zum Beispiel einen grade in den USA vielbeachteten Umgang mit der Privatsphäre. Die Erfindung des Internets ist mit der des Buchdrucks verglichen worden, der die moderne Welt eingeläutet hat. Das Versprechen, dass nun jeder seine – im übertragenen Sinne - eigene Buchpresse zu Hause hat und mit der ganzen Welt kommunizieren kann, hat aber auch zu einem großen Rauschen geführt, in dem niemand mehr gehört wird, es sein denn, er zahlt dafür. Hier müssen wir aufpassen, dass wir erprobte Instrumente der Qualitätssicherung traditioneller Medien nicht Gewinnstreben opfern.

Die Ars ist in diesem Jahr 40 Jahre alt geworden. Welche Unterschiede sehen Sie von damals zu heute?

Aus heutiger Sicht ist die Ars Electronica ein erfolgreiches regionalwirtschaftliches Projekt, bei dem die Stahlkocher der Linzer Voestalpine durch ein Unternehmen abgelöst werden, dass den Diskurs von Kunst, Technologie und Gesellschaft monopolisiert und dabei in alle Welt expandiert. Die Ars ist zunehmend zum Helfer eines Systems geworden, das selbst tief in der Krise steckt. Als solcher kann sie keinen Sinn hervorbringen, sondern nur Entertainment und Augenpulver.

Wie könnte es mit der Ars Electronica weitergehen? Kann die Dynamik der Anfangsjahre wiederbelebt werden?

Jede Organisation hat ihren Lebenszyklus. Mit 40 ist man erwachsen, irgendwann danach beginnt das Älterwerden. Den Geist der Jugend wird man nicht wiedererwecken können. Hinzu kommen intransparente Organisations- und Entscheidungsstrukturen der immerselben Akteure. Ich habe der Ars Electronica viel zu verdanken, deshalb tut das auch ein bisschen weh. Aber abgeschrieben habe ich das Festival noch lange nicht.

Sie selbst sind immer noch als Künstler aktiv. Woran arbeiten Sie heute?

Ich arbeite an der algorithmischen Klavierkomposition "Pentatonic Permutations". Beginnend mit dem Urknall werden mit natürlichen Klaviertönen im Sekundenabstand permutativ alle überhaupt möglichen Tonfolgen in einem bestimmten pentatonischen System gespielt, die letzte in 16 Billionen Jahren, danach ist die Komposition zu Ende. Ich bin grade bei der Fertigstellung des Players, der sich auf die Jetztzeit synchronisiert und wie eine Weltuhr Zeit sonifiziert. Alle taschenbuchgroßen Player spielen denselben Teil der Komposition, quasi wie Radio.

Hier geht es zum Projekt auf Soundcloud. (emw)