Gesichtserkennung für Affen

Ein neuer Deep-Learning-Algorithmus zum Identifizieren wilder Schimpansen könnte Wissenschaftlern helfen, das Verhalten der Tiere besser zu verstehen.

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Gesichtserkennung für Affen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Karen Hao

Die Gesichtserkennung hat in letzter Zeit einen schlechten Ruf, weil mit ihrer Hilfe bürgerliche Freiheiten missbraucht werden können. Doch in der Tierforschung wollen sie Wissenschaftler um Susana Carvalho von der University Oxford und Partner aus Portugal, Japan und Mosambik für einen neuen, passenderen Zweck einsetzen. Sie soll helfen, das Verhalten von Schimpansen und die Interaktionen zwischen ihnen zu untersuchen. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie Anfang September im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Aus etwa 50 Stunden Filmmaterial, das über 14 Jahre hinweg aufgenommen wurde, extrahierten die Wissenschaftler zehn Millionen Gesichtsbilder von 23 Schimpansen und speisten sie in ein neuronales Netzwerk ein. Das resultierende Modell war in der Lage, Individuen mit einer Genauigkeit von bis zu 93 Prozent zu identifizieren und ihr Geschlecht in 96 Prozent der Fälle korrekt zu bestimmen. In einem Vergleichstest schnitt das Modell auch doppelt so gut durch wie erfahrene menschliche Etikettierer ab, die fast eine Stunde Zeit hatten, um die Aufgabe zu erledigen, und viermal besser als Anfänger, die fast zwei Stunden Zeit hatten. Das Modell brauchte dagegen nur einen Bruchteil einer Sekunde. Die wenigen Male, die es sich irrte, verwechselte es allerdings das Hinterteil eines Schimpansen mit dem Gesicht.

Mit dem Modell analysierten die Forscher anschließend die sozialen Interaktionen einer Schimpansenpopulation. Es zeigte sich, dass Mütter und Säuglinge die meiste Zeit zusammen verbrachten, ein Ergebnis, das sich mit bekannten Verhaltensmustern deckt.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Gesichtserkennung zur Erkennung von Tieren eingesetzt wird. Das ähnlich funktionierende Werkzeug ChimpFace wird zur Bekämpfung des illegalen Schimpansenhandels eingesetzt. In anderen Studien wurden Lemuren, Paviane und andere bedrohte Primatenarten überwacht.

Den Autoren der aktuellen Studien zufolge übertrifft ihr Algorithmus die Vorgänger, indem er den Aufwand für die Vorverarbeitung des Rohmaterials minimiert. Während frühere Algorithmen Schwierigkeiten mit Lichtschwankungen und schlechter Bildqualität hatten, schneide der neue besser ab, weil er mit einem vielfältigeren Datensatz trainiert wurde.

Das neue Modell zeigt eine vielversprechende neue Methode zur Beschleunigung der Verhaltensforschung bei Tieren. Forscher verlassen sich oft auf Videomaterial, um das Verhalten von Populationen über längere Zeiträume zu verfolgen. Das Sortieren der riesigen Datenmengen ist jedoch mühsam und zeitaufwendig, und die manuelle Beschriftung kann ungenau sein. Der neue Algorithmus könnte auch dafür genutzt werden, existierende Projekte zur Beobachtung von gefährdeten und vom Schwarzhandel betroffenen Arten zu verbessern.

(vsz)