DMEXCO: Zwischen offenem Internet und Facebook-Boykott

Auf der Messe für Digitalmarketing zeigten sich Spannungen zwischen europäischen Anbietern und den US-Konzernen. Die Antworten zur Privatsphäre bleiben vage.

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DMEXCO: Zwischen offenem Internet und Facebook-Boykott

Google auf der DMEXCO

(Bild: DMEXCO)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Google und Facebook gegen den Rest der Welt – deutlicher als in den Vorjahren zeigte sich auf der diesjährigen Digitalmarketing-Fachmesse DMEXCO der Streit innerhalb der Branche. Gerade das Thema Datenzugriff und Datenschutz sorgt für Spannungen.

Insbesondere der ehemalige Mentor und frühzeitige Facebook-Investor Roger McNamee schilderte die Situation in drastischen Worten und rief zum vereinten Widerstand gegen die Konzerne aus dem Silicon Valley auf: "Was diese Firmen tun ist eine direkte Bedrohung Eures Lebensunterhaltes", warnte McNamee. In nur 15 Jahren seien die Konzerne aus dem Nichts zu dominierenden Marktkräften aufgestiegen – in weiten fünf Jahren könnten sie durch vertikale Integration einen Großteil der Konkurrenz schlucken und damit den Wettbewerb beseitigen.

McNamee schilderte, dass er durch den Präsidentschaftswahlkampf 2016 vom Facebook-Fan zum Facebook-Kritiker wurde. Er habe beobachtet, wie das Werbemodell der Social-Media-Plattform missbraucht worden sei. Als er Mark Zuckerberg auf die Probleme aufmerksam machen wollte, sei er jedoch abgeblitzt. Inzwischen sei er zur Überzeugung gelangt, dass die Konzerne eine destruktive Wirkung hätten; sie seien davon besessen, Ineffizienzen zu beseitigen. "Es gibt zwei wirklich ineffiziente Faktoren in der Gesellschaft: Der eine ist Demokratie und der andere ist freie Willensausübung", rief MacNamee. Über die Macht von Big Data würden diese zerstört.

Der Investor rief zum Widerstand auf: Industrie, Gesetzgeber und Kunden müssten gemeinsam gegen die Konzerne vorgehen, die ihre Datenmacht auf unzulässige Weise ausnutzten. "Kapitalismus benötigt Unsicherheit auf beiden Seiten des Marktes", betonte der Unternehmer. Dies sei aber schon heute nicht mehr gegeben. Die Silicon-Valley-Konzerne über "Daten-Voodoo-Puppen" könnten nicht nur das Verhalten der Endkunden vorhersagen, sie würden auch über Apps wie Pokémon GO das Verhalten großer Teile der Bevölkerung direkt manipulieren. Deutschland lobte MacNammee dafür, die Etablierung von Google StreetView verhindert zu haben.

Die angesprochenen Konzerne hatten auf der Messe freilich die gegenteilige Botschaft. Facebooks Deutschland-Chef Tino Krause gab sich auf der Messe als bescheiden und reumütig. Facebook habe in den vergangenen zwei Jahren einen fundamentalen Wandel vollzogen und nicht nur die Bekämpfung des Missbrauchs hochgefahren. Statt eine Plattform nach Art eines öffentlichen Marktplatzes nachzubauen, sei nun das Wohnzimmer der Endnutzer das Ideal für alle Entwicklungen bei Facebook.

Den Werbekunden versicherte Krause, dass diese künftig auf der Plattform eine für sie sichere Umgebung finden. So seien mittlerweile 30.000 Beschäftigte für die Sicherheit der Plattform und der Inhalte zuständig. Auch habe man Interesse an der Datenminimierung. Derzeit arbeite Facebook zum Beispiel daran, dass unzulässig an Facebook geschickte Daten künftig zurückgewiesen werden.

In eine ähnliche Kerbe schlug Google-Europachef Matt Brittin. Er versicherte den Werbekunden, dass selbst die neuen Privatsphäre-Gesetzgebungen und die Entwicklungen im Browser-Markt das Geschäft von Google nicht behinderten. "Wie wäre es, wenn wir mehr für den Nutzer mit weniger Daten machen könnten?", erklärte der Google-Manager. "Wir glauben, dass das möglich ist". Brittin sprach über das Konzept einer differenziellen Privatsphäre, die keineswegs im Widerspruch zur personalisierten Werbung stehe.

Google habe etwa die Möglichkeiten kontextsensitiver Werbung ausgebaut. Mit dem britischen Guardian experimentiere man etwa an der passenden Werbung für Kochrezepte. Es werde nicht nur anhand der Art des Rezept und der Zutaten entschieden, welche Werbung passend ausgespielt werden kann, die Algorithmen Googles würden auch erkennen, wenn ein Rezept besonders langwierig und kompliziert sei und könnten dann etwa Werbung eines Essens-Lieferdienstes einblenden.

Das Mantra des Google-Managers war das "offene und erschwingliche Internet": Nur über eine Werbefinanzierung könne die Offenheit der Informationen erhalten bleiben. Dieses Argument wird auch bei den Lobby-Bemühungen um die künftigen Privatsphäre-Regelungen in den USA vorgebracht.

Während viele Konkurrenten und Geschäftspartner Googles dieser Analyse zustimmten, sehen sie die Silicon-Valley-Konzerne jedoch nicht als Vorzeigebeispiele des offenen Netzes, sondern im Gegenteil als "walled gardens". Die anderen Player auf der DMEXCO zeigen sich eifersüchtig, dass die Konzerne auf ihren Plattformen zentral die Einverständnisse zur Datenverarbeitung gemäß Datenschutz-Grundverordnung abfragen könnten, während sich andere Werbeunternehmen und Publisher mit Third-Party-Cookies und abschreckenden Datenschutz-Warnungen herumplagen müssen. Zudem werfen die Werbekunden den US-Konzernen vor, ihre Daten abzuschirmen. Auf die Weise entzögen sich die Konzerne den klassischen Messmethoden für Werbung, sodass eine tatsächliche Vergleichbarkeit der Werbewirksamkeit bis heute nicht möglich sei.

Auch die Messe DMEXCO selbst macht sich Gedanken über ihre Zukunft als Plattform. Viele Messen haben mit der Konkurrenz aus firmeneigenen Events und Online-Marktplätzen zu kämpfen. Mit der Etablierung einer eigenen App und Kommunikationsplattform will sich die DMEXCO als dauerhafter Gesprächspartner etablieren. Am Donnerstag schloss die Messe mit zirka 40.000 Besuchern und knapp 1000 Ausstellern – ein geringer Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Die nächste Ausgabe der DMEXCO findet am 23. und 24. September 2020 in Köln statt.

DMEXCO – Google und Facebook (8 Bilder)

(Bild: Torsten Kleinz/ heise online)

(bme)