Keine guten Nachrichten

In seinem neuesten Buch "Die Kunst des digitalen Lebens" stilisiert Rolf Dobelli den täglichen News-Konsum zur Wurzel allen Übels – stellenweise überhöht, dennoch kurzweilig geschrieben.

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Für die Medienlandschaft hat Rolf Dobelli keine guten Nachrichten. Der Schweizer Autor und ehemalige Unternehmer hat sein Buch "Die Kunst des digitalen Lebens" veröffentlicht und rechnet darin nicht nur mit der News-Industrie ab, sondern gibt auch Ratschläge, wie die Informationsflut besonders im Internet zu meistern ist. Dazu liefert er eine Art Leitfaden für den "Entzug" und seine schonungslose Einordnung des Stellenwerts von News.

Dobelli spricht aus eigener Erfahrung, er war einst ein "News-Junkie". Zunächst verschlang er Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen und Radio, später dann News im Web, Push-Nachrichten, RSS-Feeds und News-Podcasts. In seinem News-Konsum war er stets getrieben von der Befürchtung zu wenig zu wissen, nicht informiert zu sein. Dabei versteht er unter News: "'Kurznachrichten aus aller Welt‘. Ein Busunglück in Australien. Ein Erdbeben in Guatemala. Staatspräsident A trifft Staatspräsident B. Schauspielerin C hat sich von D getrennt." Also tatsächlich Schlagzeilen, Informationshäppchen, die keinen größeren Kontext liefern oder die Sachverhalte einordnen. Der Wendepunkt kam für den Schweizer, als er eine Veränderung seiner Lesegewohnheiten bemerkte und nur mit Mühe längere Texte am Stück lesen konnte. Da entschloss er sich zunächst zur Reduzierung und, schließlich ganz dem News-Konsum zu entsagen.

In seiner Sprache ist Dobelli nicht zimperlich. Er vergleicht News-Junkies mit Alkoholikern, die durch die tägliche Bombardierung mit Kurz-Nachrichten "abhängig" geworden sind. Zugleich möchte er den Lesern seines Buchs vor Augen führen, welcher Gewinn an Lebensqualität lockt: Man sei besser gelaunt, habe mehr Zeit für andere Dinge und verpasst trotzdem nichts. Er rät stattdessen dazu, zum Beispiel lieber regelmäßig längere Geschichten zu lesen, die ein Thema einbetten, oder jeden Tag ein Kapitel eines Buches. Auch so sammele man Wissen an.

Dobelli hat mit Sicherheit recht, wenn er die Allgegenwärtigkeit und leichte Verfügbarkeit von News als immensen Zeitfresser bezeichnet. Allzu leicht klickt man sich durch Newsseiten, obwohl man doch nur kurz das Wetter für den nächsten Tag abrufen wollte. Zack! Da ist schon wieder eine halbe Stunde um. Dennoch erhebt er die News-Flut zur Wurzel allen Übels: Nicht nur seien die Information aus den Kurz-Nachrichten in den meisten Fällen irrelevant für das Leben des Lesers und böten keine Grundlage für ihn, bessere Entscheidungen zu treffen, sondern führten sie auch zu einer "erlernten Hilflosigkeit", die sich auf andere Lebensbereiche wie das Familienleben ausdehnt. Künftig sei man zudem vermehrt Fake News ausgeliefert (ganz zu schweigen von Deep Fakes in Videos) und zu allem Überfluss seien sie Auslöser von Depressionen.

Er macht die News und das tägliche Checken der Schlagzeilen so für Entwicklungen verantwortlich, bei denen sicherlich noch viele andere Aspekte einspielen, als dass allein der Konsum von News dafür verantwortlich sein könnte. Hätte er die Abhängigkeit mehr auf das regelmäßige Aufrufen von sozialen Netzwerken fokussiert, hätte ich ihm mehr zustimmen können. Aber so beleuchtet Dobelli im jedem Fall in knapp gehaltenen Kapiteln plausibel, welche Einflüsse beim News-Konsum wirken und dass man sich doch lieber längeren Texten widmen sollte. Allerdings scheint er ein wenig in seine eigene Falle zu tappen und jenen in die Hände zu spielen, die "abhängig" sind, wenn er am Ende jedes Kapitels ein kurzes "Take-away" liefert, das in ein bis zwei Sätzen die Essenz des jeweiligen Kapitels zusammenfasst. All die Leser, die also ob ihres News-Kosums nicht mehr fünf Minuten am Stück konzentriert lesen können, können sich also ausschließlich diese Take-aways gönnen (Dobelli selbst sieht sie aber eher als mentale Notizen, die für das zweite Lesen des Buchs hilfreich sind). Alle anderen Leser erhalten mit "Die Kunst des digitalen Lebens" zumindest eine kurzweilig geschriebene und informative Einschätzung der Entwicklung des News-Geschäfts sowie einen gut verpackten Reminder, auch mal wieder offline zu gehen.

Rolf Dobelli, "Die Kunst des digitalen Lebens", Piper, 256 Seiten, 20 Euro (E-Book 16,99 Euro)

(jle)