Der Neubau des Fortschritts

Wenn Ideen die Welt neu vernetzen: Das Internet wird 50. Das Bauhaus wird 100.

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Von
  • Peter Glaser

1919 gründete der Architekt Walter Gropius in Weimar das Staatliche Bauhaus als eine Kunstschule, in der erstmals Kunst und Handwerk zusammengeführt werden sollte, um eine umfassende gestalterische Antwort auf die Industrialisierung, die Leitströmung der Zeit, zu geben. Heute gilt das Bauhaus weltweit als Ausgangspunkt der Klassischen Moderne in allen Bereichen der Weltgestaltung, von Kunst und Architektur. Bauhaus ist ein Synonym für ganzheitliche Gestaltung. Es steht für die radikale Modernisierung des Lebens und deren positive wie riskante Begleiterscheinungen, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der digitalen Vernetzung aufweist, die uns heute zu einer Neukonstruktion der Wirklichkeit auffordern.

Vieles an der historischen Situation, die um die Jahrhundertwende zur Entstehung des Bauhaus geführt hat, erinnert an die gegenwärtige Situation – der massive Technisierungsschub, die sozialen Umstrukturierungen, in deren Folge damals erhebliche Teile der Bevölkerung proletarisiert wurden (heute: Prekariat, Zweidrittel-Gesellschaft). Zugleich wurde durch die Industrialisierung die Güterproduktion rationalisiert und verbilligt. Ein "Haß gegen die moderne Zivilisation", der englische Bauhaus-Vordenker wie John Ruskin und William Morris einte, findet sich heute als eine Abneigung gegen die analoge, alte Welt aus Atomen wieder, die dem virtuellen Universum entgegensteht.

"Jeder Stuhl, jeder Tisch und jedes Bett, jeder Löffel, jeder Krug und jedes Glas" sollte nach dem Willen der Bauhaus-Protagonisten neu erfunden werden. Das gilt gleichermaßen für den Cyberspace, der sich längst nicht mehr wie ein Zootier hinter der Bildschirmabgrenzung festhalten läßt und ausgeschlüpft ist ins Analoge. Eine Kultur des Volkes für das Volk zu schaffen, lautete der Bauhaus-Anspruch, das hat ihn eingelöst als das Medium, in dem erstmals die Vielen zu den Vielen sprechen. Ebenfalls an unsere Tage erinnert die Tatsache, dass sich im wilhelminischen Deutschland quer durch alle Schichten und Generationen zahlreiche lebensreformerische und kulturkritische Gegenbewegungen, Gruppen und Sekten organisierten, während die Künstler Kunst und Maschine versöhnen wollten.

Damals war Deutschland im Begriff, England als führende Industrienation abzulösen. Aus wirtschaftlichen, nationalen und kulturellen Überlegungen suchte man nach einer umfassenden Stilsprache, die der Geltung des Landes entsprechen sollte. "Es gibt keine Grenze zwischen Kunstgewerbe und Plastik oder Malerei", schrieb der Bauhaus-Architekt Bruno Taut, "alles ist eines." Auch Gropius ging es ums Ganze: "Erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird. Architektur und Plastik und Malerei." Im Programm des staatlichen Bauhauses schließlich heißt es: "Das Bauhaus erstrebt die Sammlung alles künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen." Dieser eigentlich ungeheuerliche universelle Ansatz findet sich heute wieder in der allumfassenden Art und Weise, in der Kommunikation als neue gestaltbare Macht auftritt und weit über Kunst und Design hinausführt.

Nach dem Bauhaus-Prinzip konnte eine Teekanne in einem Service ganz anders aussehen als die Kaffeekanne, und Milch- und Zuckerbehälter mochten auf den ersten Blick gar nicht dazuzugehören. "Da sie einzeln unsere Ansprüche befriedigen", vermerkte der Bauhaus-Mitarbeiter Marcel Breuer, "und einander nicht stören, geben sie zusammen unseren Stil. Einheitlich sind sie im ganzen durch die relativ beste Erfüllung ihrer speziellen Aufgabe." Die Möglichkeiten, die sich durch eine solche Befreiung aus formalen Zwängen ergeben (und der zugleich einen neuen Stil erkennen läßt), werden im Internet vervielfacht, bloß dass das Erbe des Bauhaus im Netz sich nicht mehr damit zufriedengeben kann, ein schönes, funktionales Bild zu erzeugen. Es lädt ein zu intelligenter Benutzung.

(bsc)