Notwendige Reformen und Netzpolitik-Allerlei: Das Internet Governance Forum bleibt Stiefkind der UN

Die Vereinten Nationen und das Internet bleiben sich fremd. Die Bürokratie tut sich schwer, mit dem Sammelbecken netzpolitischer Ideen kreativ umzugehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Notwendige Reformen und Netzpolitik-Allerlei: Das Internet Governance Forum bleibt Stiefkind der UN
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Nie war das Internet Governance Forum (IGF) so wichtig wie heute, versichert Liu Zhemin, Untergeneralsekretär und Chef des Department of Economic and Social Affairs (DESA) der Vereinten Nationen im Gespräch mit heise online. Trotzdem, eine eigene Budgetlinie oder eine große Reform sieht Liu nicht. Ob das Forum so den Rest seines noch sechs Jahre laufenden Mandates übersteht, ist nicht ausgemacht.

Als Chef der UN DESA ist Liu für die Organisation des IGF mit verantwortlich; er hält Verbesserungen beim Forum für durchaus angezeigt. Handfeste Ergebnisse, meint Liu, habe es in den 14 Jahren seit der Gründung nicht so viel gegeben. Das Forum sei in seiner Art mit der Zusammenführung von Regierungsvertretern und Parlamentariern, Unternehmen, Technikern und vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen aber einzigartig.

"Man könnte nicht auf die Schnelle etwas Vergleichbares schaffen", sagte Liu, meint aber auch, dass die Zivilgesellschaft als Stakeholder beim IGF langsam übermächtig werde. "Das ist nicht gut", findet der Beamte. Schließlich müssten am Ende doch Regierungen Entscheidungen treffen.

Liu Zhemin, UN-Untergeneralsekretär und Chef des Department of Economic and Social Affairs, meint, das IGF sei in seiner Zusammenführung von Staaten, Organisationen und unterschiedlichen Interessengruppen einzigartig für die Netzpolitik.

(Bild: UN-DESA)

Die Mitgliedsstaaten der UN tun sich allerdings schwer, wenn es um gemeinsame Lösungen für das Internet geht. Im heiß umkämpften Bereich Cybersecurity und Cybercrime haben die zerstrittenen Blöcke – Russland, China, Indien auf der einen und die westlichen Länder auf der anderen Seite – einfach eigene, parallel laufende Arbeitsgruppen ausbedungen.

Die einen haben gerade Verhandlungen für einen UN-Vertrag über Cybersecurity zugestimmt. Die anderen prüfen gerade noch die Sinnhaftigkeit eines solchen Instruments. Zudem beharken laut einem schwedischen Diplomaten rund 50 Arbeitsgruppen unterschiedliche Aspekte von Sicherheit und Kriminalität. Auf so viele bringt es nicht einmal das IGF. Vielleicht könne das Forum doch helfen, sagt Liu, bei solch umstrittenen Fragen nach einem Konsens zu suchen, bevor sie in die Generalversammlung gebracht werden.

Sowohl mit Blick auf eine bessere Finanzierung des Forums als auch mit Blick auf Reformen winkt der DESA Beamte allerdings ab. Finanziert wird das IGF derzeit aus freiwilligen Spenden von Mitgliedsländern, Organisationen und großen Firmen. Die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigten Beiträge für das Forum, bis 2015 je eine Million jährlich, erwiesen sich im Nachhinein als Versprecher. Altmaiers Beamte sind wohl ein bisschen erschrocken, dass der Minister aus Versehen die deutschen IGF-Beträge schnell vervielfacht hat. Stattdessen spendiert man insgesamt eine Million bis 2025.

Liu lobte die deutschen Gastgeber für die Bemühungen um mehr Inklusion, unter anderem durch die eigens an Entwicklungsländer ausgesprochenen Einladungen. "Ich glaube, Berlin ist ein Wendepunkt", sagt ein zufriedener Liu. Er will nichts davon hören, dass es zuletzt immer schwerer war, für das Forum neue Gastgeber zu finden. Er habe bereits eine Liste von Anwärtern für die kommenden Jahre in der Tasche. Das Forum soll auch wieder außerhalb von Europa stattfinden, versichert er. Für das kommende Jahr steht aber Polen als Gastgeber fest – der vierte europäische Gastgeber.

Nach großem Aufbruch für das IGF klingen die Aussagen des DESA-Chefs nicht. Auch der "Technologie Envoy", den der UN-Generalsekretär am Dienstag bei der Eröffnung des Forums angekündigt hat, hat laut Liu mit dem IGF wenig zu tun.

Langjährige Beobachter des Forums stellen die Rolle der DESA fürs IGF längst in Frage. "Damit das IGF sein Potential voll erreichen kann, muss es sich von der totalen Kontrolle durch die DESA befreien", fordert Avri Doria. Doria war mehrere Jahre im kleinen Sekretariat des IGF beschäftigt und wurde später als Mitglied in die Multi-Stakeholder Advisory Group (MAG) gewählt. Die ursprüngliche Idee der UN, dass das Forum sich tatsächlich selbst entwickeln soll, sei durch das "Mikromanagement" der DESA völlig konterkariert worden.

Jeglicher Reformwille aus Community oder MAG würde im Keim erstickt durch die DESA, sagt Doria und verweist als Gegenmodell auf die agileren, nationalen IGFs. Ein "leuchtendes Beispiel" ist für die Amerikanerin der European Dialoge on Internet Governance, der innovativ mit neuen Formaten politischer Prozesse experimentiere. Gerade am Mittwoch dieser Woche hat sich in Berlin auch das deutsche IGF neu erfunden und sich als Verein gegründet.

(jk)