Kinder schützen trotz Smartphone, Konsole, Assistenten & Co.

Elektronische Gadgets ziehen Kinder und Jugendliche zunehmend in ihren Bann. Mit technischen Mitteln lassen sich die damit verbundenen Risiken kaum eindämmen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 44 Kommentare lesen
Kinder schützen trotz Smartphone, Konsole, Assistenten & Co.
Lesezeit: 10 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis
Mehr Infos

Schwerpunkt in c't 2/2020: Kinder sicher im Netz

Das Problem mit dem effektiven Kinderschutz

Technische Hilfsmittel der Betriebssysteme

Pädagogische Konzepte und Hilfen

Zahlen, Daten, Fakten zur Smartphone-Nutzung Jugendlicher

Videos schauen, Musik streamen, zocken: Ein eigenes Handy macht Spaß. Laut den KIM- und JIM-Studien 2018 besitzen rund die Hälfte der Kinder in der Altersgruppe von 6 bis 13 Jahren und 97 Prozent der 12- bis 19-Jährigen ein Smartphone.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ein Smartphone in Kinderhand – das bringt viele Eltern in eine Zwickmühle. Einerseits wollen sie ihr Kind nicht über Gebühr einschränken und es nicht schlechter stellen als Gleichaltrige. Und soll es nicht auch lernen, mit digitalen Medien umzugehen? Andererseits haben sie Angst vor den Risiken, denn sie können nicht effektiv steuern und kontrollieren, was ihr Nachwuchs mit dem Smartphone macht. Es verunsichert sie, dass sie sich mit dem, was auf den Smartphones ihrer Schützlinge passiert, meist nicht so gut auskennen wie diese selbst (siehe auch unsere Zahlen, Daten, Fakten).

WhatsApp setzen die Erwachsenen vielleicht noch selbst ein. Aber was ist mit Discord, Snapchat, TikTok et cetera? Sind diese Apps gefährlich? Können sie ihren Kindern erlauben, so etwas zu benutzen? Und wie sollen sie mit den anderen Medien umgehen? Vielen Jugendlichen steht ja ein regelrechter Multimedia-Gerätepark zur Verfügung, angefangen bei der Spielkonsole über den PC, den smarten Lautsprecher bis hin zum Smart TV.

Die Sorgen sind begründet. Alle Gerätschaften bergen das Potenzial, das Kind in unangenehme oder gefährliche Situationen zu bringen. Das Problem, mit dem Kinder online am häufigsten konfrontiert werden, ist Mobbing. Bei der JIM-Studie hat fast jeder fünfte Jugendliche angegeben, dass schon einmal (absichtlich oder versehentlich) falsche oder beleidigende Inhalte über ihn per Handy oder im Internet verbreitet wurden.

Auf etlichen Plattformen wie hier TikTok können sich Fremde an Kinder heranmachen.

(Bild: jugendschutz.net)

Eine besondere Rolle dürfte dabei WhatsApp zukommen, der von Jugendlichen meistgenutzten App. Der Messenger ist schon deshalb nicht mehr wegzudenken, weil oft die Kommunikation des Sportvereins oder gar der Schule darüber läuft – es geht gar nicht ohne. Insbesondere die Frage der Handynutzung in der Schule beschäftigt Eltern, Pädagogen und Politiker.

Dabei wird über diesen Kanal schon mal gemobbt. Das ist erst einmal nichts Besonderes, es passiert ja auf dem Schulhof auch. Bei WhatsApp sieht der Angreifer, anders als in der Schule, aber nicht die Reaktion seines Opfers. Er merkt so nicht, wie viel Schmerz er anderen bereitet. WhatsApp bietet darüber hinaus andere technische Möglichkeiten als reines Gepöbel, etwa das Verbreiten von Fotos. Die Höchststrafe allerdings ist, jemanden aus einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe zu schmeißen, denn wer nicht in der Freundes-WhatsApp-Gruppe mitquatscht, ist außen vor.

Darüber hinaus gibt es spezialisierte Dienste wie Tellonym, die gerade dazu einladen, andere fertigzumachen. Mit der App kann jeder auf einfachem Weg Feedback erhalten – etwa zu einem Projekt, einer Frage oder sogar zu einem selbst. Jeder, der den Link zu einer Feedback-Anfrage erhält, kann dort ohne eigenen Account und anonym seine Meinung hinterlassen. Vielfach seien dort „drastische Beleidigungen oder gar Aufforderungen zum Suizid“ zu bemerken, erklärt die Organisation jugendschutz.net.

Anders als in der Schule hört das Mobben im Netz nicht mit dem Schulgong auf, sondern geht einfach weiter. Die Eltern merken davon meist nichts, weil das Mobbing in Kanälen abläuft, zu denen sie keinen Zugang haben, und weil sich die Kinder und Jugendlichen oft schämen und sich ihnen nicht öffnen.

Beim sogenannten Grooming versuchen Erwachsene, Minderjährige dazu zu animieren, sexuelle Handlungen vor der Webcam auszuführen oder Nacktbilder zu teilen. Die Organisation jugendschutz.net hat laut ihrem Jahresbericht 2018 Grooming auf der bei Heranwachsenden beliebten Plattform TikTok beobachtet, was auch an den laxen Profil-Voreinstellungen liege. TikTok ist das derzeit am schnellsten wachsende soziale Netzwerk. Zu den 5,5 Millionen Nutzern in Deutschland dürften vor allem Kinder und Jugendliche gehören.

Grooming ist aber nicht auf TikTok beschränkt. Kaum ein Spiel, kaum eine App, die sich an junge Menschen richtet, kommt heute ohne die Möglichkeit aus, sich auszutauschen. Dort versuchen Pädophile, mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten. Oftmals geben sie sich selber als Minderjährige aus, um sie zu Plattformen wie Facebook Messenger, Kik oder Skype zu lotsen, wo sie privat kommunizieren können. Dort versuchen sie zum Beispiel, ihre Opfer dazu zu bringen, Nacktfotos von sich zu posten.

Mobbing und Cybergrooming sind nur zwei von vielen Gefahren, denen Kinder online ausgesetzt sind. So können sie auf Websites mit entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten gelangen – etwa mit Porno, Gewalt oder Communitys, die Essstörungen wie Magersucht und Essbrechsucht propagieren.

Bei Online-Angeboten und Spielen laufen Kinder Gefahr, für Battle- und Season-Pässe, In-Game-Gegenstände und -Währungen, Lootboxen und Spezialfiguren zum zügellosen Geldausgeben verführt werden. Gaming-Plattformen bergen zudem die Gefahr, dass sie mit nicht altersgerechten Spielen in Kontakt kommen.

Viele Apps, Webdienste und Spiele sind darauf angelegt, den Benutzer möglichst lange bei der Stange zu halten. Schon viele Erwachsene haben große Probleme damit, sich dem zu entziehen. Umso schwerer ist es für manche Heranwachsenden, mal den Game-Controller oder das Handy aus der Hand zu legen – selbst am Esstisch. So etwas stört dann massiv den Familienfrieden. Ganz generell steht die Beschäftigung mit Smartphone & Co. in Konkurrenz mit anderen wichtigen Unternehmungen, dem Sport zum Beispiel oder den Hausaufgaben.

Kinder und Jugendliche können sich strafbar machen, sogar ohne es zu wissen. So kommt es vor, dass Heranwachsende über sexuelle Inhalte chatten und dabei auch Bilder austauschen (Sexting). Erhält dabei ein 14-Jähriger ein pornografisches Nacktbild seiner ein Jahr jüngeren Freundin, handelt es nach dem Gesetz um Kinderpornografie. Die polizeiliche Kriminalstatistik 2018 weist unter den 8022 Tatverdächtigen im Bereich Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinder- oder jugendpornografischer Schriften 2101 Kinder und Jugendliche aus. Last, not least verstoßen einige Eltern gegen das Persönlichkeitsrecht ihrer Kinder und gefährden sie durch das übermäßige Teilen von Bildern und Videos auf sozialen Medien, dem sogenannten Sharenting.

„So ein Bild von Dir würdest Du nie posten? Dein Kind auch nicht.“ Der Schauspieler Wilson Gonzalez Ochsenknecht unterstützt die Aktion gegen Sharenting.

(Bild: deinkindauchnicht.org)

Laut einer Studie der Universität zu Köln in Kooperation mit dem Deutschen Kinderhilfswerk haben Kinder oft klare Vorstellungen davon, wann und mit wem Bilder von ihnen geteilt werden sollten. Ihre Eltern beteiligen sie allerdings in der Regel nicht an Entscheidungen, wenn diese Bilder von ihnen verbreiten.

Eigentlich ist der Jugendmedienschutz Aufgabe des Gesetzgebers. Es gibt ja auch eine Reihe von entsprechenden Gesetzen, etwa das Jugendschutzgesetz und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) koordiniert als zentrale Aufsichtsstelle für den Jugendschutz im privaten Rundfunk und den „Telemedien“. Sieht man sich auf ihrer Homepage um, findet man eine beeindruckende Zahl von Institutionen, die beim Jugendmedienschutz eine Rolle spielen.

Das kann aber nicht verdecken, dass das gesamte deutsche Jugendmedienschutz-Regime den Geist einer Zeit atmet, in der es wenige Fernsehsender gab und Medien auf physischen Datenträger verkauft wurden. Was helfen eine Sendezeitbeschränkung und eine Jugendschutz-PIN für die Mediathek, wenn sich Kinder rund um die Uhr per WhatsApp beliebige Inhalte zusenden können?

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat das Problem erkannt. Sie arbeitet derzeit an einer Novelle des Jugendmedienschutzrechts. Dabei will sie Plattformen, etwa Gaming-Netzwerke, soziale Medien und Messenger in den Blick nehmen. Bis Redaktionsschluss war der ursprünglich für 2019 angekündigte Entwurf der Novelle noch nicht veröffentlicht. Bis eine solche Neufassung zum Gesetz wird, werden also sicher noch einige Monate vergehen.

Auf die Jugendschutzeinstellungen der Inhalte- und Plattformanbieter können sich Eltern ebenso wenig verlassen. So verfügte der Play Store von Android lange Zeit nicht über einen Kinder- und Jugendschutz. Die aktuelle Lösung ist wesentlich besser, hat aber immer noch Lücken. Auch der Kinderschutz in iOS lässt sich aushebeln.

Auf Websites wie schauhin.info können sich Eltern und Erziehende über aktuelle Entwicklungen zu Smartphone & Co. informieren.

Oftmals steckt die Tücke im Detail – etwa, wenn man bei Netflix zwar mehrere Nutzerkonten anlegen kann, diese dann aber die gleichen Jugendschutzeinstellungen teilen. Mancher Anbieter scheint grundsätzlich kein Interesse an einem effektiven Kinder- und Jugendschutz zu haben. Aus Anbietersicht ist das verständlich, wirkt doch jede Einschränkung bremsend fürs Geschäft.

Aktuelle Kinderschutz-Software umfasst fast immer eine Steuerkomponente: Eltern legen Zeitlimits fest und geben Apps, Websites und Inhalte vor, die dem Kind offenstehen; alles andere blockt die Software. Sobald die Heranwachsenden selbstständiger das Internet erkunden wollen oder müssen – etwa für die Recherche von Hausaufgaben –, wollen sie sich aber nicht mehr an derart starre Vorgaben der Eltern halten.

Einige Kinderschutz-Anwendungen bilden solche Fälle ab. Statt etwa eine feste Auswahl an Websites freizugeben, sperren sie Sites, die auf einer Blacklist liegen oder die sie aufgrund einer Heuristik als nicht kindergerecht einstufen. Das führt immer wieder dazu, dass Inhalte fälschlicherweise als schädlich erkannt werden. Dann muss das Kind eine Freigabe von einem Elternteil anfordern – extrem nervig für beide Seiten.

Einige Kinderschutzlösungen enthalten Protokollfunktionen. Die Eltern sehen damit zum Beispiel, wonach ihre Kinder im Internet suchen, welche Webseiten sie aufrufen und was sie in Chats von sich geben. Ist das Kind mit dem Smartphone unterwegs, können einige Apps den Standort nachverfolgen. Medienpädagogen halten solch eine tiefgreifende Kontrolle für übergriffig. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Privatsphäre, und zwar auch vor ihren Eltern.

Eltern müssen sich also selbst um den Schutz ihrer Kinder kümmern. Sie müssen Regeln vorgeben und ihrem Nachwuchs Hinweise für eine sinnvolle Nutzung geben. Unsere Artikel aus der c't 02/2020 sollen Eltern und Erziehenden helfen, ihren Nachwuchs durch den Neue-Medien-Dschungel zu begleiten. Wir beschreiben die Schutzmechanismen der Mobil- und Desktop-Systeme – und ihre Schwächen. Außerdem zeigen wir, wo sich Eltern Hilfe holen können, und machen Vorschläge für sinnvolle Absprachen mit Kindern.

Dieser Artikel stammt aus c't 02/2020 (jo)