Maschinenlesbarer Mensch: Verbot automatisierter Gesichtserkennung gefordert

Zivilgesellschaftliche Organisationen wollen den von Innenminister Horst Seehofer vorangetriebenen Ausbau der Videoüberwachung verhindern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 80 Kommentare lesen
Überwachungskamera
Lesezeit: 3 Min.

Ein Zusammenschluss aus fünf zivilgesellschaftlichen Organisationen läuft Sturm gegen die Initiative von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), an zunächst 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung einsetzen zu wollen. Auch wenn es grundsätzlich sinnvoll erscheine, die Sicherheit an solchen Verkehrspunkten zu erhöhen, sei das vorgesehene Instrument völlig ungeeignet und hätte "immense negative Folgen für Millionen Passanten und Reisende".

Das Bündnis "Gesichtserkennung stoppen", dem die Vereine und Initiativen Digitale Freiheit, Chaos Computer Club (CCC), Digitale Gesellschaft, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und Digitalcourage angehören, fordert generell ein "Verbot dieser hochproblematischen Technologie in Deutschland". Automatisierte Gesichtserkennung bedeutet ihm zufolge "eine permanente heimliche Personenüberwachung in öffentlichen Räumen". Körpermerkmale aller Vorbeilaufenden würden dabei erfasst und automatisiert mit Datenbanken abgeglichen. Die Betroffenen bemerkten diesen tiefen Eingriff in ihre Rechte und Freiheiten oft gar nicht.

Viktor Schlüter von der Organisation Digitale Freiheit spricht von einer "Hochrisikotechnologie". Hohe Falscherkennungsraten, die Diskriminierung von Frauen und People of Color und das enorme Missbrauchspotenzial stellten "eine Gefahr für die Demokratie dar". CCC-Sprecher Dirk Engling bezeichnete "dieses unnötige und invasive Biometriesystem" als "weiteren Baustein", um "den maschinenlesbaren Menschen zu schaffen".

"Die optische Vermessung von Gesichtern droht eine weitere Form der anlasslosen Überwachung zu werden", warnte Rainer Rehak vom FIfF. Mehr Sicherheit brächten die vorgesehenen Systeme dagegen nicht. Elisabeth Niekrenz von der Digitalen Gesellschaft gab zu bedenken: "Der Einsatz dieser Technologie zur Überwachung des öffentlichen Raumes schränkt auch politische Teilhabe ein: Wer fürchten muss, automatisch erfasst zu werden, wird im Zweifel eher nicht an einer Demonstration teilnehmen."

Angesichts stetig sinkender Kriminalitätsraten in Deutschland besteht laut dem Zusammenschluss "keinerlei Notwendigkeit für neue, teure und ineffiziente Überwachungsmaßnahmen". Mehrere US-amerikanische Großstädte hätten automatisierte Gesichtserkennung durch staatliche Stellen bereits im öffentlichen Raum untersagt, was als Vorbild gelten könne: Der Stadtrat von San Francisco etwa sehe in der Technik eine "gefährliche Waffe".

Das Bündnis zweifelt auch daran, dass einschlägige Verfahren überhaupt einsatzreif sind. In einem Test von Innenministerium und Bundespolizei 2018 in Berlin sei "mehr als jede 200. Person fälschlicherweise erkannt" und damit als verdächtig gebrandmarkt worden. Dies würde allein am einbezogenen Bahnhof Südkreuz zu täglich 600 Fehlalarmen führen. Der CCC und das FIfF hatten zuvor eine unwissenschaftliche Vorgehensweise bei dem Probelauf sowie "deutlich geschönte" Ergebnisse beklagt.

Ein Gesetzentwurf aus dem Innenressort zum Ausbau der Videoüberwachung inklusive Gesichtserkennung wird momentan mit anderen Ministerien abgestimmt und soll in Folge vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden. Die Deutsche Bahn ist bereits mit im Boot. Sie will bis 2023 "nahezu alle großen Bahnhöfe mit moderner Videotechnik" ausstatten und dafür Dutzende Millionen Euro ausgeben. (olb)