"Human Screenome Project" soll Smartphone-Folgen erkennbar machen

US-Forscher zeichnen alle konkreten Aktivitäten von Smartphone-Nutzern auf. Mit den so gewonnenen Informationen wollen sie besser verstehen, wie Digitaltechnik die Gesellschaft beeinflusst.

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"Human Screenome Project" soll Smartphone-Folgen erkennbar machen

(Bild: Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Wenn es nach Byron Reeves geht, ist das Konzept der "Bildschirm-Zeit" (auf Englisch "screen time") bald überholt: Stattdessen soll in Zukunft das "screenome" die entscheidende Rolle spielen.

Mit einem Fachaufsatz in der Zeitschrift Nature haben Reeves, ein Professor an der Stanford University, und zwei Kollegen jetzt das "Human Screenome Project" gestartet. Ziel des Projekts ist, unseren digitalen Fußabdruck genauer zu erfassen. Dazu soll eine Technik genutzt werden, die abschreckend wirken könnte: Hintergrund-Software, die alle fünf Sekunden einen Screenshot des Smartphones von Teilnehmern macht, wenn es aktiviert ist. Die Überlegung dahinter: So wie das "Human Genome Project" und Genomik unser Wissen über Krankheiten verändern haben, so könnte das "Screenom" Informationen darüber liefern, wie Technologie mit gesellschaftlichen Problemen zusammenhängt.

Die Bildschirm-Zeit hat ihre besten Zeiten erkennbar hinter sich. Lange wurde diese Kennzahl genutzt, um zu messen, wie intensiv Kinder und Jugendliche mit ihren Digitalgeräten interagieren. Weil Kinder noch nicht lange Zugriff auf solche Technologie haben, kommt die Forschung dazu nur langsam voran – und ist nicht sehr eindeutig.

"Bildschirm-Zeit ist ein beliebtes Überbleibsel aus einem TV-zentrierten Zeitalter, entwickelt um Gesundheits- und Erziehungsüberlegungen herum", sagt Mimi Ito, eine Anthropologin, die sich an der University of California mit Technologienutzung beschäftigt. Selbst die American Association of Pediatrics, die den Begriff verbreitetet habe, nutze Bildschirm-Zeit inzwischen nicht mehr als Kernmesszahl, so Ito.

In dem neuen Aufsatz beschreibt Reeves zwei 14 Jahre alte Jungen, die beide in derselben Stadt in Nordkalifornien leben; ihre Smartphone-Aktivitäten wurden von früh bis spät erfasst. Auf den ersten Blick könnte sie exakt gleich erscheinen, doch die tiefere Screenom-Analyse zeigte Unterschiede. Der eine Junge hatte 186 Sitzungen von je einer Minute Länge, der andere nur 26 Sitzungen am Tag, die aber jeweils drei Minuten dauerten. Der erste verbrachte viel Zeit mit Nachrichten auf Snapchat und Instagram, der zweite einen großen Teil mit YouTube-Videos und dem Erstellen von Screenshots von Lebensmitteln.

Der eine Junge konsumierte also mehr Inhalte, der andere produzierte mehr. Zugleich zeigt das Beispiel, wie zwei Personen, die normalerweise in dieselbe Gruppe eingeordnet würden, deutlich unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten haben. Jeder Nutzer hat einen individuellen digitalen Fingerabdruck, vermuten die Forscher um Reeves.

Das Team hält für wichtig, konkrete Sequenzen von Smartphone-Aktivitäten zu identifizieren. Nur so könne man verstehen, wie Menschen ihre Digitalgeräte tatsächlich nutzen, um zu kommunizieren und ihr Offline-Leben zu organisieren.

"Es geht darum, wie Menschen Fragmente verbinden, die nicht zusammenzuhängen scheinen", erklärt Reeves. "Sie können erst die Beiträge ihrer Facebook-Freunde lesen, dann Nachrichten zur Präsidentschaftswahl und dann Online-Banking machen – alles in derselben Minute. Das hat nicht viel mit der Gesamtzeit zu tun, die man damit verbringt."

Die Wege von App zu App, von Beitrag zu Beitrag, von Herumsurfen zu Erledigungen, so Reeves, spiegeln unser analoges Leben wider und beeinflussen es. Mit einem Screenom wäre es möglich, Smartphone und Tablets auf Nutzungsmuster zu untersuchen, die mit mit Themen wie Sozialmedien-Abhängigkeit oder mentalen Problemen zusammenhängen. Das Projekt ist noch in einer frühen Phase. Reeves hat aber schon jetzt festgestellt, dass der konkrete Umgang mit digitalen Geräten dazu beitragen kann, die Verbreitung von Fake News zu erklären und Fälle von Diabetes zu erkennen.

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Eine der größten Hürden für das Projekt dürften Datenschutz-Bedenken sein – nur wenige Personen dürften die Vorstellung angenehm finden, dass eine App alle fünf Sekunden ihre Aktivität aufzeichnet. Wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, interessieren sich Unternehmen auch für die nutzlosesten Online-Aktivitäten. Im besten Fall werden die Informationen an Werbetreibende verkauft, im schlechtesten an Hacker oder für Desinformationskampagnen. Der Skandal um Cambridge Analytica zum Beispiel hat gezeigt, wie ein Persönlichkeitstest unter Facebook-Freunden von russischen Kräften zur Beeinflussung der US-Wahl 2016 genutzt wurdem.

"Das sind eine Menge sensible Informationen", gibt Reeves zu. Seit Team hat rund 30 Millionen Screenshots von Freiwilligen aus den USA sowie China und Myanmar gesammelt. Nach seiner Aussage achtet er zumindest auf Datensicherheit sehr. Die Bilder würden nur über einen verschlüsselten, sicheren Server in der Universität verschickt.

(jle)