Bundespolizeigesetz: Seehofer opfert Gesichtserkennung für Staatstrojaner

Der Innenminister verzichtet nicht nur wegen offener Fragen auf biometrische Fahndung bei der Bundespolizei. Er will andere Überwachungsbefugnisse durchbringen.

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Bundespolizeigesetz: Seehofer opfert Gesichtserkennung für Staatstrojaner

(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Überraschend hat Bundesinnenminister Horst Seehofer einen besonders umstrittenen Passus aus seinem jüngsten Entwurf zur Reform des Bundespolizeigesetzes gestrichen, der den Beamten etwa an 135 Bahnhöfen den Einsatz von Videoüberwachung mit automatisierter Gesichtserkennung erlaubt hätte. Es seien noch "einige Fragen" vor allem rund um die gesellschaftliche Akzeptanz der Fahndungstechnik offen geblieben, ließen der CSU-Politiker und das von ihm geführte Haus am Freitag durchblicken. Doch im Kern geht es bei dem Schachzug vor allem darum, den Ermittlern zumindest andere neue Überwachungsinstrumente rasch an die Hand zu geben.

Dem Minister lag insbesondere daran, die geplante Novelle nach langen internen Debatten in das Abstimmungsverfahren mit den anderen Ressorts zu geben, um die Initiative zeitnah durchs Bundeskabinett und anschließend durch den Bundestag zu bringen. "Ich muss jetzt endlich mal das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eröffnen", betonte Seehofer bei einem informellen Treffen mit Kollegen aus der EU in Zagreb. Biometrische Gesichtserkennung sei zwar "keine ganz nebensächliche Angelegenheit". Andere Punkte des Vorhabens scheinen dem Bayern derzeit aber dringlicher.

Mit dem Entwurf wolle Seehofer unter anderem die Kompetenzen der Bundespolizei ausweiten, damit diese verschlüsselte Kommunikation belauschen könne, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Ermittler sollen also den Bundestrojaner einsetzen dürfen, um die Quellen-Telekommunikationsüberwachung durchführen zu können. Dabei geht es um den Zugriff auf die laufende Kommunikation etwa über Messenger wie WhatsApp vor einer Ver- beziehungsweise nach einer Entschlüsselung auf dem Endgerät.

Auch eine Befugnis für noch weitergehende heimliche Online-Durchsuchungen von IT-Systemen soll mit der Initiative verknüpft sein. Zudem gilt es dringend, Vorgaben aus der EU-Datenschutzrichtlinie für die Justiz und Polizei umzusetzen. Ferner will Seehofer, dass die Bundespolizei Kontrollen wegen unerlaubter Einreise auch außerhalb ihres bisherigen Einsatzgebiets von 30 Kilometer hinter der Grenze durchführen darf. Hätte der Minister zusätzlich noch auf die biometrische Gesichtserkennung beharrt, wäre er Gefahr gelaufen, dass der Koalitionspartner das gesamte Unterfangen blockiert hätte.

Ute Vogt, Innenexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, begrüßte ausdrücklich, dass Seehofer "schon jetzt die Pläne zur grundsätzlichen Einführung der Gesichtserkennungssoftware fallen lässt". Dies zeuge "von guter Einsicht und Erkenntnis". Die Sozialdemokraten wollten "keinen Einstieg in den Überwachungsstaat" und hätten den "Versuchsballon" dazu abgelehnt. Die Technik sei generell "noch unausgereift und überaus fehlerbehaftet". Wer Böses im Schilde führe, könne "jede Kamera täuschen". Alle anderen würden "einer ungerechtfertigten Dauerbeobachtung ausgesetzt".

Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, forderte Seehofer auf, "sich klar gegen flächendeckende intelligente Videoüberwachung und Gesichtserkennungssysteme in der Öffentlichkeit" auszusprechen. Nach einer "überzeugten Meinungsänderung" des Ministers sehe der Schritt nicht aus, eher nach einem politischen Manöver angesichts von Plänen der EU-Kommission für ein Moratorium bei der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.

Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle hatte die Biometriefahndung bereits zuvor als "Anfang vom Ende der Privatsphäre" kritisiert. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gab zu bedenken: "Automatische Gesichtserkennung dreht die Beweislast im öffentlichen Raum um. Sie ist ein tiefer Einschnitt in die Privatsphäre und Freiheitsrechte der Bürger." Jetzt müsse sichergestellt werden, dass das Instrument "nicht durch die Hintertür auf Länderebene eingeführt wird".

Der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz appellierte an die Bundesregierung, den Einsatz "intelligenter Videoüberwachung" und automatisierter Gesichtserkennung umgehend gesetzlich auszuschließen. Darüber hinaus müsse sie sich für ein EU-weites Verbot stark machen. Wie eilig es sei, echte Maßnahmen zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung und öffentlicher Räume zu treffen, hätten zuletzt die Enthüllungen über die US-Firma Clearview und deren massive Biometriedatenbank gezeigt. Der AfD-Politiker Georg Pazderski verlieh "Drehhofer" dagegen den Titel "Umfaller des Jahrzehnts".

"Es ist gut, dass der Einsatz dieser gefährlichen, aber wirkungslosen Technik nun vom Tisch ist", erklärte Rainer Rehak vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) gegenüber heise online. Der Fall Clearview verdeutliche, dass das Datenschutzproblem "schon in der Erhebung" der sensiblen Körpermerkmale liege. Der Meinungswandel des Innenministers zeige, dass diesem "entweder das Wissen fehlte" oder es ihm gar nicht um mehr Sicherheit gegangen sei. Ein Verzicht auf das Instrument mache die Gesellschaft auf jeden Fall nicht unsicherer. Der Verein hatte jüngst zusammen mit anderen Bürgerrechtsorganisationen ein Verbot der "Hochrisikotechnologie" gefordert. (tiw)