"Die CDU hat einen Mann der politischen Mitte gewählt"

Alexander Mitsch. Bild: WerteUnion

Interview mit Alexander Mitsch (CDU), dem Chef der WerteUnion, die viele Kritiker als treibende Kraft hinter der Kemmerich-Wahl durch die AfD in Thüringen vermuten

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Alexander Mitsch ist Gründer und Vorsitzender der WerteUnion (WU). Die WerteUnion hat sich seit dem Flüchtlingskrisenjahr 2015 zur meinungsstärksten und prominentesten Interessengruppe innerhalb der CDU und der CSU herausetabliert. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie bekannt mit dem Konservativen Manifest und Rücktrittsforderungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel, hervorgegangen ist sie aus einem Freundeskreis der global tätigen Konrad-Adenauer-Stiftung.

Neben wirtschaftsliberalen Standpunkten in ökonomischen Debatten (pro Digitalisierung und eine bürgerfreundliche und bedürfnisorientierte Verwaltung) vertritt sie wertkonservative Ansichten in gesellschaftlichen Fragen, tritt aber in christlicher Tradition ein für einen Ausbau der sozialen Marktwirtschaft in der Tradition Ludwig Erhards, für die Stärkung des Opferschutzes in Polizei und Justiz und für die Verteidigung von Menschenrechten und Internationalisierung in einer globalisierten Welt. Stark kritisiert wird die WU für ihre Positionen zu einer Umkehr in der Flüchtlingspolitik.

Zu den bekanntesten Mitgliedern und bekennenden Unterstützern zählen der Rechtsanwalt und Ex-Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, der bundesweit durch viele Fälle und Mandate (z.B. Kachelmann, Netzer, Erdogan, BfV) bekannte Rechtsanwalt, Ligitation-PR-Spezialist und Medienrechts-Professor Ralf Höcker, Wolfgang Bosbach, Ministerpräsident a.D. Georg Milbradt, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Manuel Hagel, Friedrich Merz, DPG-Chef Rainer Wendt, Werner Patzelt, Personenschutz-Experte Michael Kuhr und der CDU-Shootingstar Philipp Amthor.

Am 5. Februar "begrüßte" die WerteUnion die Wahl von Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD. Bislang gibt es keine weitere Stellungnahme:

In Thüringen ereignete sich heute eine politische Sensation. Der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich wurde vom Landtag zum Ministerpräsidenten des Freistaats gewählt. Die WerteUnion bewertet es positiv, dass nun wieder ein Landesvater aus dem freiheitlich-demokratischen Spektrum das Bundesland regiert, und begrüßt ausdrücklich, dass Bodo Ramelow abgewählt wurde. Die anhaltenden Versuche, Kemmerichs linksradikalen Gegenkandidaten Bodo Ramelow als "moderat" oder sogar "bürgerlich" darzustellen, weist die konservative Basisbewegung der CDU/CSU scharf zurück. Aus Sicht der WerteUnion handelt es sich bei der "Linkspartei" nicht nur um die umbenannte SED, sondern darüber hinaus um das derzeit gefährlichste parteipolitische Sammelbecken für Linksextreme.

WerteUnion

Mitsch ist seit seiner Jugend CDU-Mitglied, er ist in der SRH Holding verantwortlich für M&A und Finanzen, zudem stark engagiert in der Mittelstandsvereinigung und der evangelischen Kirche.

Kenia-Koalition wie in Sachsen ist "kein guter Weg"

Nach den Ereignissen vom Mittwoch herrschte fast rundum großes Entsetzen. Wie bewerten Sie es als Vorsitzender der WU?

Alexander Mitsch: Zunächst halte ich die Kritik an der CDU für überzogen. Wir haben nicht zusammen mit einem "Faschisten" gewählt, sondern die CDU hat das getan, wofür sie angetreten ist. Sie hat einen Mann der politischen Mitte gewählt. Dass zudem Bodo Ramelow abgewählt wurde, begrüßen wir ausdrücklich. Hinter seiner "Linkspartei" verbirgt sich die mehrfach umbenannte SED.

Ein Großteil der Empörung in den Medien hat aber bei näherer Betrachtung mit dem FDP-Ministerpräsidenten selbst auch wenig zu tun. Sie gilt vielmehr der Person des AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. In der Tat hat Höcke bereits eine Vielzahl kruder und nicht hinnehmbarer Äußerungen getätigt. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass die AfD vor allem als Protestpartei gegen eine vermeintliche Alternativlosigkeit gewählt wird. Sie hat in Thüringen keinen Wahlerfolg wegen guter Inhalte erzielt, ebenso wenig wegen Höcke. Ohne ihn hätten die Stimmen der AfD wohl einen weniger bitteren Beigeschmack.

Die Empörung sollte vor allem nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um eine zukunftsweisende Frage der politischen Stabilität in Deutschland geht. Die WerteUnion will eine kritische, aber eben auch vernünftige Debatte über die Ereignisse. Dazu gehört für uns auch, dass wir die Entscheidung der Landtagsabgeordneten respektieren. Es gefährdet das Vertrauen in unsere Demokratie, wenn Parteizentralen aus Berlin plötzlich dazwischenfunken, weil ihnen das Wahlergebnis nicht gefällt - und ihre moralische Erpressung am Ende sogar noch Erfolg hat.

Ist es eine Trendwende in Richtung konservativ bei der CDU? Der sächsische Ministerpräsident sagte am Donnerstag, "so darf es nicht weitergehen" wie am Mittwoch. Wie soll, wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Alexander Mitsch: Die CDU spielt gerade in Ländern wie Thüringen, mit starken Rändern auf rechter und linker Seite, eine Schlüsselrolle. Sie muss den Wählern eine Alternative zu den übrigen Parteien in zweifacher Hinsicht bieten. Einerseits muss sie sich von Rechtsaußen deutlich abgrenzen. Andererseits darf sie nicht den Fehler machen, sich in eine linke "Einheitsfront gegen die AfD" unter Einschluss der Grünen oder sogar der umbenannten SED zwingen zu lassen.

Das hat die CDU in Sachsen mit der Kenia-Koalition versucht. Unserer Meinung nach ist sie damit auf keinem guten Weg. Dem Kampf gegen Linksextremismus und übrigens auch Islamismus schenkt der Koalitionsvertrag kaum Beachtung und kurze Zeit nach der Regierungsbildung sind linksextreme Krawalle in Leipzig-Connewitz ausgebrochen. Die CDU hat durch den Koalitionsvertrag tiefe Einschnitte in der Ausgestaltung ihres bürgerlichen Programms hingenommen. Das sächsische Erfolgsmodell kann aus unserer Sicht nur darunter leiden.

Die CDU sollte in derartigen Konstellationen einen völlig anderen, neuen Weg gehen. Nämlich den einer Minderheitsregierung, die je nach Thema um unterschiedliche Mehrheiten wirbt.

Wird sich auch die FDP nach Ihrer Meinung oder Hoffnung in der Richtung auch neu orientieren?

Alexander Mitsch: Ich habe mich im vergangenen Jahr mit dem FDP-Chef Christian Lindner zu einem angeregten Gedankenaustausch getroffen. Die WerteUnion sieht sich als liberal-konservative Strömung und insofern gibt es natürlich Schnittmengen zur FDP.

Die WerteUnion hätte ein wichtiges Ziel erreicht, wenn CDU und CSU sich wieder so aufstellen, dass sie die AfD-Wähler zurückgewinnen und in der Lage sind, eine bürgerliche Mehrheit anzuführen - vorzugsweise in einer Koalition mit der FDP.

Allerdings ist auch zu betonen, dass es gerade im gesellschaftspolitischen Bereich durchaus Differenzen gibt. Die WerteUnion steht für den Schutz des ungeborenen Lebens ein, während Christian Lindner sich für die komplette Streichung des §219a ausspricht. Auch mit der Idee einer Cannabislegalisierung kann die WerteUnion wenig anfangen. Die FDP sollte in diesen Themenbereichen deutlich mehr Konservatismus wagen.

Was ist für die Bundespolitik zu erwarten? Wird es die SPD bald nicht mehr geben? Steht ein völliges Upgrade politischer Lagerbildung bevor? Gibt es überhaupt noch links & rechts? In Frankreich, GB, Italien, Israel haben sich völlig neue Konstellationen ergeben, z.B. über die Islamfrage, den Umbau der Wirtschaft, Verlust von Arbeitsplätzen. Viele Arbeiter oder Arbeitslose wählen nicht mehr links, einige Ex-Linke haben die Seiten gewechselt, es entstehen neue Szenen urban wie ländlich. Muss man Parteien ganz neu denken - an politischen Sachfragen orientiert statt an Lagerbildung?

Alexander Mitsch: Tatsächlich scheint es so, als hätten sich die politischen Diskurse westlicher Demokratien in den vergangenen Jahren stark verändert. Dies überrascht aber kaum, denn strukturell sind die genannten Länder mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert.

Da ist zunächst der immer höhere Migrationsdruck in Richtung der wirtschaftlich hochentwickelten Staaten. Dieser fußt einerseits im rapiden Bevölkerungswachstum weiter Teile Afrikas und Asiens, andererseits natürlich auch in der steigenden globalen Mobilität und Vernetzung durch neuere Technologien. Bei ungesteuerter Immigration überwiegen nun leider die negativen Effekte auf die Gesellschaft, unter anderem Integrationsprobleme sowie die Schwächung des Rechts- und Sozialstaats. Dass diese Erkenntnis immer mehr Anhänger findet, wird oft fälschlicherweise als "Rechtsruck" interpretiert.

Hinzu kommt aber auch eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die von immer mehr Möglichkeiten für das Individuum geprägt ist. Hierdurch verlieren klassische Institutionen wie Vereine, Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften drastisch an Bedeutung. Die Parteien in Deutschland brauchen deshalb insgesamt mehr Durchlässigkeit und Einbeziehung der Basis.

Die WerteUnion hat sich unter anderem auch aus diesem Grund gegründet. Nämlich als eine Plattform, durch die alle konservativen Parteimitglieder mitreden können - egal welche politische Funktion sie ausüben oder ob sie mit der Politik ihr Geld verdienen.

"Viele Mitglieder und Wähler der Unionsparteien wollen die liberal-konservative Politikwende"

Rechnen Sie damit, dass die WU nun weiteren Zulauf erhält? In letzter Zeit ist sie stark angewachsen, hat man den Eindruck, u.a. durch den MdB Amthor.

Alexander Mitsch: Phillipp Amthor schickte uns anlässlich unserer letzten Jahresversammlung in Filderstadt ein Grußwort, was uns natürlich sehr freut. Er gehört zweifelsohne zu den großen Talenten der CDU.

In der Tat verzeichnet die WerteUnion seit ihrer Gründung 2017 ein kontinuierlich starkes Wachstum. Im vergangenen Jahr verdreifachte sich unsere Mitgliederzahl, Tendenz weiter steigend. Ich glaube, wir liegen derzeit mit vielen unserer Themen einfach richtig.

Der große Zuspruch bestätigt uns Tag für Tag, dass viele Mitglieder und Wähler der Unionsparteien die liberal-konservative Politikwende wollen. Auch die Rückkehr von Friedrich Merz, der die Wahl zum Parteivorsitzenden nur sehr knapp verpasste, sehen wir dafür als Indiz.

Bundeskanzlerin Merkel sprach am Donnerstag von einem "unverzeihlichen Vorgang". Bild sprach gestern von einer Schande, ebenso Berlins Innensenator Geisel. Denken Sie, dass die Ereignisse Deutschlands Image in Europa und der Welt schaden könnten - oder rechnen Sie mit positiven Reaktionen?

Alexander Mitsch: Soweit ich es überblicken konnte, gab es einige Stimmen dazu in der internationalen Presse. Dabei sollten wir uns aber auch vor Augen halten, dass der Rechtspopulismus kein ausschließlich deutsches Phänomen ist. Wie oben bereits erwähnt, ähneln sich derzeit die strukturellen Herausforderungen in den westlichen Demokratien. In den meisten Ländern entstanden rechtspopulistische Parteien schon lange vor der AfD und erzielten entsprechende Erfolge, man denke beispielsweise an die FPÖ in Österreich oder UKIP in Großbritannien.

Deutschland wird in Europa und der Welt auch weniger über parteipolitische Themen wie jüngst in Thüringen wahrgenommen, sondern über das konkrete Handeln auf der Weltbühne. Insbesondere durch chaotische Alleingänge wie die Energiewende, die erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Stromnetze hat, oder auch die Flüchtlingspolitik ab 2015 haben wir viele unserer EU-Partner nachhaltig verärgert. Hier muss die deutsche Regierung in Zukunft besonnener handeln und auch die diplomatischen Folgen berücksichtigen.

Nach der Rücktrittsankündigung Kemmerichs: Wie wird es in Thüringen weitergehen?

Alexander Mitsch: Das weiß momentan niemand so genau. Die CDU sollte jedenfalls bei einem erneuten Wahlgang die Chance nutzen, einen eigenen Kandidaten zu präsentieren und sich auch weiterhin dafür einsetzen, bürgerliche Politik für den Freistaat zu gestalten.