Wie war nochmal der Name?

SARS II? Covid-19? Krisen-Corona? Um die angemessenen Bezeichnungen wurde in der Wissenschaftsgeschichte schon öfter gerungen.

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Von
  • Peter Glaser

1846 entfachte der britische Astronom John Herschel einen erbitterten astronomischen Disput, in dem er sich schließlich von Vertretern beider Seiten missbraucht sah – von seinen britischen Kollegen ebenso wie von französischen Astronomen und ihren europäischen Verbündeten auf der anderen Seite. Herschel genoß zu dieser Zeit international Anerkennung. Sein Vater, der deutsch-britische Astronom William Herschel, hatte im März 1781 den ersten neuen Planeten in nach-prähistorischer Zeit entdeckt und ihn dem regierenden englischen König Georg III. zu Ehren Georgium Sidus taufte, das Georgsgestirn. Das aber lief der bisherigen Systematik zuwider, nach der alle bekannten Planeten einen lateinischen Namen aus der griechisch-römischen Mythologie trugen. Wir kennen den Planeten, wieder der alten Ordnung gemäß, als Uranus.

Ende 1846 kündigten französische Astronomen die Entdeckung eines weiteren neuen Planeten an. Während William Herschel seine Entdeckung dank eines glücklichen Zufalls gemacht hatte, war die Position des neuesten Planeten vom französischen Astronomen Urbain Le Verrier erstmals mathematisch vorhergesagt worden – ein Triumph der in Frankreich seit Laplace dominierenden Himmelmechanik.

Herschel wußte, dass – unabhängig von Le Verriers Arbeit – auch ein schüchterner, pensionierter Mathematiker aus Cambridge, den außerhalb Englands niemand kannte, den neuen Planeten durch seine Berechnungen vorhergesagt hatte – John Couch Adams. Aber als er nach Bekanntgabe der erfolgreichen Entdeckung Le Verriers öffentlich auf Adams' Arbeit hinwies, sahen die Briten wie schlechte Verlierer aus. Man fragte sich, warum Adams' Arbeit, mit der er die Franzosen hätte schlagen können, nicht mehr Aufmerksamkeit erhalten hatte. Der wissenschaftliche Wettlauf galt als Wettbewerb zwischen England und Frankreich. Herschel verwies auf das Gebot der Fairness. Für ihn ging es nicht darum, wer den Planeten zuerst beobachtet hatte oder was das für das nationale Prestige bedeutete. Wichtig war die Tatsache, dass zwei verschiedene Astronomen unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis in ihren Vorhersagen gekommen waren. Das sollte kein Streitpunkt sein, so Herschel, sondern eher ein Grund zur Freude, da er die prognostische Zuverlässigkeit der mathematischen Physik zeigte.

Die heikle Frage der Benennung des neuen Planeten blieb bestehen. Klassisch war die Namensgebung nach römischen Göttern: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Als John Herschels Vater William 1781 den heutigen Uranus entdeckte, hatte er mit dieser Tradition gebrochen, um Georg III. über den Verlust der britischen Kolonien in Nordamerika hinwegzutrösten, die gerade erst in der amerikanischen Revolution abhanden gekommen waren. Die Kontroverse um den Planeten von Le Verrier drohte all das zunichte zu machen. Le Verrier war von seinen französischen Kollegen davon überzeugt worden, dass der Planet seinen Namen tragen sollte. Le Verrier versuchte, Herschel für diese Idee zu gewinnen, indem er ihm schrieb, er werde Uranus nach seinem Entdecker fortan nur noch als "Herschel" bezeichnen. Und wenn der Planet von William Herschel nach seinem Entdecker benannt wurde, machte es Sinn, den Planeten von Le Verrier gleichermaßen auf zu benennen. Herschel wollte nichts mehr mit der Kontroverse zu tun haben. Er befürwortete ein mythologisches Namensschema für die Planeten. Den Namen Georgium Sidus für den von seinem Vater entdeckten Planeten hatte er längst aufgegeben und beteichnete ihn stattdessen als Uranus. Britische Astronomen, denen die Vorstellung eines Planete "Le Verrier" mißfiel, plädierten für "Oceanus" – ein Begriff, der zu der Zeit allerdings auch als sarkastische Bezeichnung für die Franzosen gängig war, die in jüngster Zeit von der britischen Marine besiegt worden waren.

Herschel umging das Dilemma geschickt, indem er eine Nomenklatur nicht für Planeten, sondern für ihre Monde einführte. Als Galileo Galilei die Monde des Jupiter entdeckte, gab er ihnen keine individuellen Namen, sondern nannte sie die Sterne der Medici (die Florentinischen Adeligen waren seine Gönner). Der deutsche Astronom Simon Marius, der die Monde etwa zur gleichen Zeit entdeckte – gab ihnen Namen wie in einem kleinen Sonnensystem: der Merkur des Jupiter, die Venus des Jupiter, der Saturn des Jupiter und der Jupiter des Jupiters. Als der Astronom Giovanni Domenico Cassini im 17. Jahrhundert die ersten Tabellen mit den Umlaufbahnen der Monde berechnete, bot er seine eigenen Namen an: Pallas, Juno, Themis und Ceres. In der Praxis bezog sich Cassini – wie die meisten anderen Astronomen bis in die Neuzeit hinein – einfach auf die Jupitermonde nach der Zahl: I, II, III und IV. Die Planeten wurden benannt, aber es schien nicht nötig, ihre Satelliten zu benennen.

Als Herschels Vater zwei neue Saturnmonde im Inneren der Ringe entdeckte, fügte er sie am Ende des Nummerierungsschemas hinzu, was eine Reihung von 6, 7, 1, 2, 3, 4 und zur Folge hatte. John Herschel brachte nun Ordnung in dieses verwirrende System, indem er den Saturnmonden individuelle, klassische Namen gab – Mimas, Enceladus, Tethys, Dione, Rhea, Titan und Iapetus – die Titanen der griechischen Mythologie. Die Benennung der Saturnmonde bot Herschel einen idealen Ausweg aus der Kontroverse. Zu der Zeit stellte er gerade die Ergebnisse seiner ersten teleskopischen Vermessung des gesamten Himmels zusammen. Das Monumentalwerk enthielt auch ein Kapitel über Saturn und bot ihm die perfekte Gelegenheit, seine neue Nomenklatur vorgeblich der Klarheit halber einzuführen. Herschels neues Nomenklatursystem war Teil des beeindruckenden astronomischen Katalogs, der 1847 an Observatorien und Astronomen in aller Welt verschickt wurde. Sein Plan funktionierte. Seitdem folgen alle um den Saturn entdeckten Monde diesem grundlegenden Schema (das von der Internationalen Astronomischen Union erst kürzlich angepasst wurde, um aufgrund der Anzahl neu entdeckter Trabanten auch Giganten aus anderen Mythologien zu berücksichtigen).

Herschel's Namen waren ein Wendepunkt in der Nomenklatur des Sonnensystems. Die Saturnmonde wurden zu einem mächtigen Werkzeug gegen Versuche, persönliche Eitelkeiten oder auch Gönner an den Himmel zu plakatieren. Der neue Planet von Le Verrier heißt nun Neptun. Herschel nutzte die Saturnmonde als ein Mittel zur Entpersönlichung des Himmels in einer Zeit, in der erstmals etwas wie Transnationalismus in der Astronomie zu spüren war. Die Nomenklatur im Sonnensystem – und im ganzen Universum – bleibt ein komplexes Thema. Offiziell von der IAU koordiniert, erstreckt sich der Prozess der Benennung von Dingen im Weltraum von neu entdeckten Exoplaneten bis hin zu den Oberflächeneigenschaften von Monden in unserem eigenen Sonnensystem.

Wie Herschels Rolle bei der Erstellung der Nomenklatur zeigt, sind Astronomen trotz bester Absichten, die Namen neutral zu halten, immer auch in menschlich-allzumenschliche Angelegenheiten verwickelt – in Geschichte, Kultur und Politik. Herschels Bemühungen, astronomische Bezeichnungen transnational zu halten, waren immer noch mit eurozentrischen und anglozentrischen Vorurteilen behaftet. Heute gilt statt einer idealistischen, unerreichbaren Neutralität Inklusion als ein weit besseres Ziel. Die Dinge, die wir im Universum benennen – was schon im Ansatz eine gewisse Hybris erkennen lässt – sollten für uns alle benannt werden.- Und die Schritte, die in den letzten Jahren unternommen wurden, um sich auf die Mythologie der Kulturen auf der ganzen Welt zu stützen, sind, obwohl das Ziel noch weit entfernt ist, zumindest Schritte in die richtige Richtung.

(bsc)