COVID gegen Goliath

Die Corona-Krise weckt eine Spezialform der Gruppendynamik: das Hamstern. Gefährlicher als das Toilettenpapierhorten aber ist dessen digitale Form.

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Von
  • Peter Glaser

Spätestens als auch in den "San Jose Mercury News", dem Lokalblatt des Silicon Valley, von leergekauften Klopapierregalen berichtet wurde, wusste ich: Wir leben im Globalen Dorf. Vielmehr: im Globalen Doof. Wie reagiert die Welt auf die bisher größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts? Sie kauft den anderen das Klopapier weg.

Hamstern ist nichts Neues, manchmal verschieben sich die Milieus. Während des ersten Weltkriegs waren es wohlhabende Bürger, die es sich leisten konnten, größere Vorräte anzulegen, zu denen das Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Toilettenpapier allerdings nicht zählte. Diese tragende Rolle fiel dem Hygieneartikel erst jetzt zu, in Zeiten eines unsichtbaren Feinds. Die Masseneinkäufe, so der Wirtschaftshistoriker Uwe Spiekermann, seien diesmal "ein Misstrauensvotum der mittleren und unteren Einkommensschichten gegen Beschwichtigungen durch Politik und Massenmedien."

Womöglich ist die Klorolle weit mehr als nur ein Symbol moderner Angst. Zunehmend finden die dramatischen Momente des Lebens in ungreifbaren Regionen der Realität statt, sei es der digitalen oder der Viren-Welt. Dagegen erhebt sich der Mensch mit der analogen, friedvoll weichen Klopapierrolle. Küchenschränke vollzupacken hat auch etwas von Sandsäckeschichten, es schenkt dem Hamsternden das handfeste Gefühl, etwas tun zu können inmitten einer unsichtbar heraufziehenden Katastrophe.

Erstmals digital gehamstert habe ich im Anfangs der Homecomputer-Ära. Lernte man eine andere Privatperson mit einem Computer kennen, traf man sich nicht zum Kaffeetrinken, sondern zum Kopieren. Zum Antrittsbesuch brachte man einen Stapel Disketten und seine Diskettenstation mit. Wenn die Station des Gastgebers vom vielen Kopieren, hüstel, also, vom Anfertigen dislozierter Sicherheitskopien, wie das jeder Datenscherheitsfachann empfahl, zu heiß wurde, konnte sie in den Kühlschrank gestellt werden und die mitgebrachte setzte die Arbeit fort. Was zuvorderst kopiert wurde, waren Kopierprogramme. Es gab dutzende. Man hortete sie, weil es sie umsonst gab.

In Wirklichkeit benutzte man nur ein Kopierprogramm auch tatsächlich zum Kopieren, die anderen waren dazu da, kopiert zu werden. Gut, das waren Gastgeschenke, aber man hat eine Menge Zeit damit verplempert. Größensprünge und Preisverfall bei Speicherplatz haben das Hamsterpotenzial inzwischen ins Unermessliche getrieben. Bestes Beispiel sind digitale Fotos im Übermaß, denn die Notwendigkeit einer Beschränkung auf 32 Bilder pro Filmrolle existiert nicht mehr.

Das digitale Hamstern hat, wie wir wissen, inzwischen dystopische Ausmaße angenommen. Enthüllungen wie die NSA-Einblicke von Edward Snowden haben unseren Blick für den Unterschied geschärft, den es macht, wenn ein Staat hamstert oder wenn seine Bürger es tun. Es ist ein fataler Strudel, der sich durch das Hamstern zu drehen beginnt.

Auch nach Wochen haben Lieferdienste und Supermärkte immer noch nicht zu einem Klopapierbestand zurückgefunden, der länger präsent wäre als eine Nanosekunde, und mit jedem gescheiterten Anschaffungsversuch verdichtet sich nun auch in mir die dunkle Absicht, gleich mehr zu kaufen, wenn es denn endlich wieder welches gibt. Wer so vor Augen geführt bekommt, dass schon auf der banalen Ebene von Klorollen niemand immun ist gegen das Hamstern, sollte sehr genau beobachten, wo sich solche datenfressenden Strudel in Behörden oder Unternehmen entwickeln.

(bsc)