Fernmeldegeheimnis und Pressefreiheit gelten "ohne Grenzen"

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Das Bundesverfassungsgericht hat die dem BND 2017 gegebene Rechtsgrundlage zum anlasslosen Durchsuchen der Internetkommunikation für grundgesetzwidrig erklärt

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Nach den Snowden-Enthüllungen gab die deutsche Staatsführung den an die Öffentlichkeit gelangten anlasslosen Internetkommunikationsdurchsuchungen ihres Auslandsgeheimdiensts BND eine Rechtsgrundlage. Dieses Anfang 2017 in Kraft getretene Gesetz muss sie nun bis spätestens Ende 2021 ändern, damit der Bundesnachrichtendienst auch danach noch auf Internetknoten wie dem De-Cix in Frankfurt am Main zugreifen darf. Das 2016 von CDU, CSU und SPD gezimmerte Gesetz ist nämlich sowohl formal als auch inhaltlich grundgesetzwidrig, wie das Bundesverfassungsgericht heute verkündete (vgl. Bundesverfassungsgericht schränkt BND-Massenüberwachung deutlich ein).

Aktuell durchsucht der BND bis zu 1,2 Billionen Internetverbindungen täglich automatisiert. Aus diesen Verbindungen versucht er durch das Ausfiltern deutscher IP-Adressen die reine Auslandskommunikation zu destillieren, die über die deutschen Knoten läuft. Dass das anlasslose Durchsuchen der Kommunikation deutscher Nutzer mit Grundrechten wie dem Fernmeldegeheimnis und der Pressefreiheit kollidiert war der deutschen Staatsführung nämlich schon vor dem heutigen Urteil klar.

Das täglich etwa 24 Milliarden Rohdaten umfassende Auslandsdestillat wird anschließend mittels "Selektoren" ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Prozedur gehen auch an befreundete Geheimdienste anderer Länder.

Keine bloßen Staatsbürgerrechte

Gegen die Rechtsgrundlage, die das erlaubt, legten sieben im Ausland tätige Journalisten und die Organisation Reporters sans Frontieres Verfassungsbeschwerde ein. Sie machten geltend, dass die Pressefreiheit und das Fernmeldegeheimnis keine bloßen Staatsbürgerrechte, sondern Rechte sind, die "sich auch auf Ausländer im Ausland" erstrecken. Dieser Ansicht stimmte der Erste Senat das Bundesverfassungsgericht nun zu.

Beim deshalb notwendigen Abwägen der Rechtsgüter berücksichtigten die Karlsruher Richter, dass das anlasslosen Durchsuchen dabei hilft, die Bundesregierung "mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen" zu versorgen, "sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten" und "folgenreiche Fehlentscheidungen" zu vermeiden.

Vor solchen "folgenreichen Fehlentscheidungen" hatte unter anderem der ehemalige BND-Chef August Hanning gewarnt. Ihm zufolge blieb die Bundesregierung dem Irakkrieg 2003 nur deshalb fern, weil der BND den amerikanischen Behauptungen zu Massenvernichtungswaffen eigene Informationen entgegenhalten konnte. Zur deutschen Teilnahme am Kosovokrieg äußerte sich Hanning in diesem Zusammenhang nicht.

"Höchst private und spontane Kommunikationsvorgänge

Auf der anderen Seite ist das Instrument dem heutigen Urteil nach nicht nur "anlasslos gegenüber jedermann einsetzbar", sondern erlaubt es in seiner aktuellen Ausgestaltung zudem, "tief in den Alltag hinreichende, auch höchst private und spontane Kommunikationsvorgänge zu analysieren und zu erfassen sowie bei der Internetnutzung zum Ausdruck kommende Interessen, Wünsche und Vorlieben aufzuspüren".

Um es weiter einsetzen zu dürfen muss der Gesetzgeber deshalb durch "Schutzvorkehrungen [für] Berufs‑ und Personengruppen, deren Kommunikation eine gesteigerte Vertraulichkeit verlangt" und durch weitere "einschränkende Maßgaben" dafür sorgen, dass das nicht über ein unbedingt notwendiges Maß hinaus geschieht. Eine davon ist eine Begrenzung der Speicherdauer auf höchstens sechs Monate. Darüber hinaus muss die neue Rechtsgrundlage das Instrument "auf hinreichend bestimmte Zwecke begrenzen" und "durch diese kontrollfähig strukturieren".

"Vergewisserung über den rechtsstaatlichen Umgang mit den Daten auf Empfängerseite"

Wann Daten an befreundete Geheimdienste weitergegeben werden dürfen ist den Verfassungsrichtern ebenfalls "nicht hinreichend begrenzt ausgestaltet". Mindestvoraussetzung ist ihrer Ansicht nach "eine Vergewisserung über den rechtsstaatlichen Umgang mit den Daten auf Empfängerseite". Geben ausländische Dienste Suchbegriffe vor, müssen sie diese zukünftig "plausibilisieren". Einen "Ringtausch", bei dem ausländische Dienste für in Deutschland abgefischte Daten "Erkenntnisse aus auf Deutschland bezogenen Überwachungsmaßnahmen" liefern, halten die Karlsruher Richter ebenso für grundgesetzwidrig wie eine "unselektierte" Weitergabe von Verbindungs- und Standortdaten.

Damit sichergestellt ist, dass sich der BND an solche Vorgaben hält, muss er dem Bundesverfassungsgericht nach auch intensiver kontrolliert werden: Durch "institutionell eigenständige" Stellen, die "personell wie sachlich so auszustatten [sind], dass sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen können".