Zahlen, bitte! 30 Meter für die industrielle Revolution

Es gibt Plätze und Bauten, die sind mit Revolutionen verbunden. Auch mit den industriellen - etwa durch eine Eisenbrücke.

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Zahlen, bitte! 30 Meter für die industrielle Revolution
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Jede Revolution hat ihre Plätze und Geschichte. Das gilt für die Französische Revolution und die Bastille oder für die Oktoberrevolution und den finnischen Bahnhof. Auch die drei industriellen Revolutionen kennen solche Geburtsorte, doch keiner ist so imposant wie der der ersten industriellen Revolution. Es ist die Iron Bridge in Ironbridge, in Zahlen ein echtes Trumm: Eine eiserne Brücke mit 30 Metern Spannbreite, errichtet aus 379 Tonnen Gusseisen, eröffnet nach dreijähriger Bauzeit am Neujahrestag 1781.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die erste industrielle Revolution begann an den Ufern des Severn, als der Quäker Abraham Darby in Coalbrookdale um 1710 auf die Idee kam, bei der Verhüttung des Eisenerzes Koks statt Holzkohle einzusetzen. Barby konstruierte einen Meiler, der Koks in ausreichender Menge produzierte und experimentierte mit Kalk, um das verkokste Gusseisen zu entschwefeln. Sein Sohn Abraham Darby II perfektionierte die Schmelzprozesse und die Eisengusstechnik im Sandbett. Als Abraham Darby III die Hüttenwerke übernahm, waren über 400 Lastkähne mit dem Transport von Eisenerz, Koks und Gusseisen im Einsatz. Eine Brücke über den Severn musste her, den enormen Verkehr zu entzerren.

Der Architekt Thomas Farnolls Pritchard machte 1772 den Vorschlag, eine Stahlbrücke in einer Höhe zu konstruieren, die nicht den Verkehr auf der Wasserstraße behindert. Pritchard orientierte sich an den freitragenden Holzbrücken seiner Zeit und baute ein kleines Modell. Abraham Darby III nahm den Vorschlag auf und schätzte die Kosten auf 3200 Pfund. 1775 wurde eine Brückenbau-Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von 3200 Pfund gegründet, 1776 erhielt Darby III die Genehmigung zum Brückenbau und zur Erhebung einer Nutzungsgebühr, von der der Adel und selbst die königliche Familie nicht (wie sonst üblich) ausgeschlossen waren. Bald gab es Zwist unter den Aktionären. Den Streit um die Konstruktion und die Baukosten löste Darby III, indem er eine Garantie gab, alle Kosten über 3200 Pfund zu übernehmen.

Der Brückenbau stand unter keinem guten Stern. Architekt Pitchard starb zu Beginn der Bauarbeiten, die mit drei filigranen Bögen begannen. Als die Iron Bridge 1781 feierlich eröffnet wurde, hatte Abraham Darby III 6000 Pfund für sie bezahlt, nach heutigen Maßstäben etwa 1,5 Millionen Pfund. Abraham Darby III hatte sich hoch verschuldet und verstarb verarmt, während die Brücke dank der Nutzungsgebühren für die übrigen Aktionäre ein finanzieller Erfolg wurde.

Ein weiterer Erfolg ließ nicht auf sich warten: Mit der Eröffnung des Verkehrs auf der Iron Bridge im Jahre 1781 setzte bald ein reger Tourismus ein. Eine Tontine wurde aufgelegt und mit ihr ein Hotel in Brückennähe gebaut, das 1784 eröffnete. Zu den Bewunderern der Brücke zählte der Architekt und spätere US-Präsident Thomas Jefferson, der bei Künstlern mehrere Bilder der Brücke kaufte. Erst 1997 konnte durch ein in Schweden entdecktes Landschaftsbild erklärt werden, wie der Brückenbau mit drei Rundbögen vonstatten ging.

Die Iron Bridge gab der Stadt ihren Namen und gilt heute als "Geburtsort der industriellen Revolution", doch war sie nicht die erste eiserne Brücke. Eine solche wurde bereits 1755 in Lyon errichtet, musste aber abgerissen werden. Dieses Schicksal ist der britischen Brücke erspart geblieben. Sie ist seit 1986 Teil des Weltkulturerbes. Da Reisen im Zeichen der Coronakrise schwierig sind, seien interessierte Leser auf den Schlosspark in Wörlitz verwiesen. Dort wurde 1791 eine verkleinerte Kopie der Iron Bridge aufgestellt.

Ferner sei auf eine weitere Brücke hingewiesen, die in Deutschland für großes Aufsehen sorgte: Die zwischen 1896 und 1897 errichtete Kabel-Hängebrücke über die Argen mit einer Spannweite von 72 Metern. Sie wurde von dem Ingenieur Julius Kübler von der Maschinenfabrik Esslingen entworfen, der auch beim Bau der ersten Donaubrücke in Budapest dabei war. Die Langenargener Hängebrücke wird gern als Vorbild für die Golden Gate Bridge bezeichnet, auch wird Othmar Ammann, der Konstrukteur der George-Washington-Bridge mit ihr in Verbindung gebracht, doch bewiesen ist das alles nicht. Verbürgt ist aber, dass ein Modell der Argener Hängebrücke von der Maschinenfabrik Esslingen auf der Pariser Weltausstellung von 1900 gezeigt wurde und große Bewunderung erregte.

Mit der Iron Bridge teilt die Argenbrücke das Schicksal, nicht die älteste Brücke ihrer Art zu sein. Das ist die 17,30 Meter lange Löwenbrücke im Berliner Tiergarten gewesen, die 1838 als Fußgängerbrücke gebaut wurde. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, 1958 rekonstruiert und 2014 sang und klanglos abgerissen. Damit sind wir in Berlin, dem Geburtsort der zweiten industriellen Revolution angekommen - und die wird uns im "Zahlen, bitte!" in der kommenden Woche beschäftigten.

(jk)