Afrika: Die angekündigte Corona-Katastrophe

… und was daraus geworden ist

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Angekündigte Katastrophen treten oft, jedoch nicht immer ein. Und so blieb der afrikanische Kontinent jedenfalls bislang relativ verschont von den katastrophalen Auswirkungen der Covid19-Pandamie, die sich anderswo - etwa in Ländern wie den USA, Brasilien und im Vereinigten Königreich - abzeichnen.

Nicht, dass Afrika von der global sich ausbreitenden Krankheit unberührt geblieben wäre. Am 31. März 2020, also am Ende jenes Monats, der in vielen europäischen Staaten den Umschwung im Umgang mit der Pandemie markierte und oft den Lockdown in der einen oder anderen Variante hervorrief, blieben in Afrika noch fünf Staaten (von insgesamt 54, die der Kontinent seit der Aufspaltung des Sudan im Juli 2011 zählt) ohne offiziell registrierte Covid19-Fälle übrig.

Geringe Infektionszahlen im Vergleich

Es handelte sich um Sierra Leone, den Südsudan, Burundi, Malawi und Lesotho; also ausnahmslos um Staaten, die relativ stark von den internationalen Verkehrsflüssen abgeschnitten sind. Vier der fünf genannten Staaten sind Binnenländer, also alle mit Ausnahme des Küstenstaats Sierra Leone, der wiederum zu Anfang der 2000 durch einen verheerenden Bürgerkrieg und im vorigen Jahrzehnt durch die Ebola-Epidemie heimgesucht wurde und (trotz schöner Atlantikstrände) keinerlei Massentourismus kennt.

Auf der eben zitierten Liste wurden im zurückliegenden Jahrzehnt ferner der 2011 unabhängig gewordene Südsudan, aber auch Burundi (infolge der höchst umstrittenen Wahl von 2015) durch Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Konflikte gezeichnet.

Doch bereits am Abend des 31. März kippte das nächste Land von der Liste der von Corona verschonten Länder: In Burundi gab die Regierung die ersten beiden Fälle der Lungenkrankheit Covid 19 bekannt. Als hätte das krisengeschüttelte ostafrikanische Land nicht bereits genügend Probleme aufzuweisen. Seitdem ist sein amtierender Präsident Pierre Nkurunziza, ein Evangelikaler mit ausgeprägtem Machttrieb - er boxte 2015 seine durch die Verfassung verbotene Wiederwahl für ein drittes Mandat, trotz Beschränkung der Amtszeiten auf zwei, mit aller Gewalt durch - im Alter von 56 verstorben - offiziell an Herzversagen. Doch viele Stimmen mutmaßen, in Wirklichkeit sei Covid-19 für sein Ableben verantwortlich.

Die Regierungspartei CNDD-FDD hatte erst vor kurzem seinen Nachfolger wählen lassen, den Armeegeneral Evariste Ndayishime, mitten in einer lokalen Covid19-Epidemie, die zwar durch die Behörden offiziell geleugnet wird (ihnen zufolge gibt es bis heute nur einen Toten im Land infolge von Covid19), und dennoch die Krankenhäuser füllt.

Inzwischen wurden in allen oben genannten Länder auch offiziell mindestens einige auftauchende Covid-19-Erkrankungen verzeichnet, von amtlich registrierten 17 Fällen (ohne Tote) im von Südafrika umschlossenen Binnenland Lesotho bis zu 1.354 Erkrankungsfällen und 56 Toten - mit Stand 26. Juni 2020 - in Sierra Leone.

Dennoch liegt die Gesamtzahl von Covid-19-Erkrankungsfällen und Toten der Krankheit weitaus niedriger als in Europa oder Nordamerika, trotz einer höheren Gesamtbevölkerung (Afrika zählt derzeit gut 1,2 Milliarden Menschen). Der gesamte Riesenkontinent zählte am 26. Juni dieses Jahres, laut verfügbaren Zahlen, 9.070 Tote und 347.836 bekannt gewordene Infektionen.

Am selben Tag zählten die USA, mit gut dreihundert Millionen Einwohnern, rund 2,5 Millionen offiziell registrierte Erkrankungsfälle und 126.000 Tote. Nun mag es sein, dass in Ländern Afrikas wie anderswo nicht alle Erkrankungsfälle auch amtlich registriert und anerkannt wurden. Dennoch ließe sich jedenfalls ein massenhaftes Aufkommen an Toten mit den spezifischen Lungenschäden wohl kaum vor den internationalen Medien und der Weltöffentlichkeit verbergen; dies schiene allenfalls in Nordkorea und vielleicht in der nordostafrikanischen Diktatur Eritrea möglich, wenn überhaupt.

Szenarien, die nicht eintraten

Anfang April dieses Jahres wurde bekannt, dass man in politischen und militärischen Milieus in Frankreich - das nach wie vor eine erhebliche Rolle als neokoloniale Macht in Nord-, West- und Zentralafrika spielt - Überlegungen darüber anstelle, dass mehrere afrikanische Staatsapparate unter der Einwirkung der Covid19-Pandemie und ihrer Folgen zusammenbrechen, implodieren könnten. Auch dazu ist es bislang nicht gekommen.

Grundsätzlich bleibt ein solches Szenario nach wie vor in einigen Ländern denkbar, da die betreffenden Staatsapparate vorwiegend der Selbstversorgung einer schmalen sozialen Gruppe und ihrer (mitunter, jedoch nicht immer, in "ethnischen" Begrifflichkeiten definierten) Klientel dienen. Als unmittelbare Konsequenz des Auftauchens der Covid-19-Pandemie blieben solche Ereignisse jedoch bislang aus.

Regierungsmaßnahmen gegen die Pandemie

Auch in zahlreichen afrikanischen Staaten wurden Maßnahmen verhängt, die zum Teil jene in europäischen Ländern nachvollzogen, ja in manchen Fällen eine direkte Kopie von Teilen der Beschlüsse etwa in Frankreich darstellten.

Überall auf dem Kontinent wurden Mobilitätseinschränkungen verhängt, jedenfalls in den meisten Ländern in Form von Einreiseverboten, Flughafenschließungen oder Quarantänebestimmungen für Ankömmlinge aus europäischen oder asiatischen Staaten. Hinzu kommen zum Teil innerstaatliche oder auch innerstädtische Fortbewegungsbeschränkungen, allerdings nur selten mit allgemeinen Ausgangsverboten wie in Kongo-Brazzaville - mit Ausnahme von Arbeitskräften in systemrelevanten Tätigkeiten - oder für die Bewohner der Hauptstadtregion von Antananarivo in Madagaskar.

Aufgrund der oftmals auch durch die Behörden festgestellten Unmöglichkeit, generelle Ausgangssperren durchsetzen bei einer Bevölkerung, die in relevanten Teilen keine finanzielle Rücklagen aufweist und ohne ihr tägliches Einkommen buchstäblich ohne Nahrung bleiben müsste, nahmen die Mobilitätsbeschränkungen oft die Form von Ausgangsverboten zu bestimmten Tages- oder eher Nachtzeiten ein. Etwa in der westafrikanischen Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) zwischen 21 Uhr und fünf Uhr früh oder im Senegal zwischen 23 Uhr und fünf Uhr morgens.

Im erstgenannten Falle fielen diese nächtlichen Ausgangsverbote zwischenzeitlich wieder; im zweitere Falle, den Senegal betreffend, bleiben sie bis zum 2. Juli in Kraft. Allerdings wurden diese nur bestimmte Uhrzeiten betreffenden Ausgangsverbote kombiniert mit der Schließung bestimmter Örtlichkeiten, an denen viele Menschen zusammentreffen könnten, etwa von Gaststätten (bspw. in der Côte d’Ivoire bis Mitte Mai und im Senegal bis zum 04. Juni, seitdem besteht dort Maskenpflicht), von bestimmten Märkten, von Schulen oder Sporteinrichtungen.

In Südafrika kam seit März dieses Jahres ein Verbot des Alkoholausschanks und -verkaufs hinzu, was in dem von endemischer Gewalt geschüttelten Land nicht nur negative Aspekte hat. Allerdings geriet die dortige Regierung aufgrund ihrer notorischen Inkompetenz bei der Krisenverwaltung unter wachsende Kritik.

Dieses generelle Profil der Regierungsmaßnahmen wirft aber in afrikanischen Staaten in aller Regel ein bedeutendes Problem auf; denn selbst dort, wo der Staat eine Art Kurzarbeitergeld ausbezahlt, betrifft dies im Prinzip nur jene Staatsbediensteten oder auch Privatbeschäftigte, die über gesetzlich regulierte Arbeitsverträge verfügen. Relevante Teile der Bevölkerung arbeiten jedoch, sei es im Maghreb oder im subsaharischen Afrika, im so genannten informellen Sektor, ohne gesetzliche Regulierung oder Sozialversicherung.

Das nordafrikanische Marokko - obwohl eines der Länder mit den größten sozialen Ungleichheiten weltweit, einem autoritär regierenden monarchischen Regime und zum Teil noch halbfeudalen Verhältnissen - schuf dafür eine einigermaßen intelligente Lösung, indem die regierende Monarchie für die Dauer der Epidemie eine Art bedingungsloses Grundeinkommen einführte, auch für die im breiten "informellen Sektor" beschäftigten Menschen.

Haushalte können demnach zwischen 800 und 1.200 Dirham (ein Euro entspricht knapp elf Dirham) gesicherter Zahlungen beziehen, auch ohne Nachweis eines geregelten Einkommens zur Zeit vor der Seuche. Solche Hilfen kamen 4,3 Millionen Menschen, i.d.R. wurden die "Familienoberhäupter" gezählt, zugute.

In der Amtssprache wird unterschieden zwischen Ramedistes, d.h. sozialversicherungspflichtig Arbeitenden bzw. Inhabern einer Krankenkasse-Nachweiskarte innerhalb des "informellen" Sektors (von RAMED für Régime d’assistance médicale) und Personen ohne jeglichen Krankenversicherungsschutz oder non-Ramedistes. An die Erstgenannten wurden ab Anfang April d.J. finanzielle Hilfen ausgeschüttet, und für die non-Ramedistes begann die Auszahlung ab dem 23. April.

Marokko war zugleich während der Corona-Krise ein Land mit rigorosen Kontrollen; in Casablanca und anderen Städten wie Oujda patrouillierte die Armee mit Panzern auf den Straßen und kontrollierte die Passierscheine derer, die im öffentlichen Raum angetroffen wurden.

Allein an einem Wochenende im April, das in Europa dem christlichen Osterwochenende entsprach, kam es zu 4.300 Festnahmen im Land wegen Nichtbeachtung von Ausgangsbeschränkungen.

Am 11. Juni dieses Jahres begann eine Abschwächung der Maßnahmen in Marokko, jedenfalls in der "Zone 1". Dabei wurde das Land, je nach Virulenz des Virus, in zwei Zonen eingeteilt. Zu den Hauptproblemen in Marokko zählen unter anderem die "Fall-Cluster", die in einer Reihe von (meist für den Weltmarkt produzierenden und sich durch Überausbeutung auszeichnenden) Unternehmen wie etwa Lebensmittel-, Fischkonservenfabriken zu verzeichnen sind. Viele Arbeitsplätze sind von Kontaminationsrisiken betroffen. Zeitweilig versuchten i.Ü. auch die Salafisten des Landes, politischen Profit aus der Corona-Krise zu ziehen ihre Aktivitäten wurden jedoch durch die Behörden eingedämmt.

In anderen Ländern des Kontinents überwog die repressive Komponente der Krisenbewältigung. Aus der westafrikanischen Côte d’Ivoire wurden beispielsweise Übergriffe durch eine gewalttätige Polizei vermeldet. Letztere war damit beauftragt, strafbewehrte Mobilitätsbeschränkungen und insbesondere die Schließung der im Land höchst populären maquis (Freiluftrestaurants) und Bars durchzusetzen.

In den letzten Wochen wurden diese restriktiven Maßnahmen jedoch sukzessive aufgehoben: Am 14. Mai dieses Jahres durften in der Côte d’Ivoire die maquis und Kneipen wieder öffnen, am 21. Mai die Schulen; am 31. Mai endeten die Grenzschließung und der wegen Covid19 ausgerufene Ausnahmezustand. Zu den an Covid19 Erkrankten in dem Land, das offiziell bis zum 20. Juni d.J. 6.874 Fälle und 49 Tote infolge der Pandemie aufweist, zählte im April auch einer der engsten Berater von Staatspräsident Alassane Ouattara.

Übergriffe und Rechtsmissbräuche durch Sicherheitskräfte wurden aus einer Reihe von Ländern des Kontinents, unter ihnen auch Uganda und Kenia verzeichnet. Das akute Problem der Durchsetzung von Ausgangsbeschränkungen und -sperren im Zusammenhang mit der Corona-Krise trifft dabei in einer Vielzahl von Fällen mit strukturellen Problemen wie mangelnder Ausbildung, Unterbezahlung von Angehörigen der Sicherheitskräfte (und generell von Staatsbediensteten), Korruption und Straflosigkeit zusammen.

Einige Staatsführungen machten dabei in erkennbarer Weise ganz unmittelbar Politik unter Ausnutzung der Maßnahmen. Das westafrikanische Guinea etwa verbot ab der zweiten Märzwoche dieses Jahres Menschenansammlungen ab einhundert Personen, ab dem 19. März dann schon ab zwanzig Personen.

Dies hinderte die Regierung nicht daran, am 22. März die Bevölkerung in die - kaum in irgendeiner Form gegen eine Ausbreitung der Seuche gesicherten - Wahlbüros zu rufen, um eine heftig umstrittene Verfassungsänderung durchzusetzen, die dem derzeitigen Präsidenten Alpha Condé eine bisher verfassungsrechtlich verbotene dritte Amtszeit ermöglichen soll.

Die Opposition rief zum Boykott dieser Abstimmung auf. (Gewalttaten von Polizeikräften und regierungsnaher Milizen am selben Tag in der Stadt Nzérékoré forderten mutmaßlich 66 Todesopfer). In diesem Zusammenhang wurde überdeutlich, dass die amtierende Regierung des Landes die Versammlungsbeschränkungen lediglich dazu benutzt, die seit Oktober vorigen Jahres anhaltenden, zeitweilig massiven Protestdemonstrationen von Teilen der Bevölkerung einzudämmen.

In der internationalen Presse wurde behauptet, Covid 19 sei ein Verbündeter, ja "der beste Verbündete von (Präsident) Alpha Condé" und besorge derzeit dessen Geschäft. Das Ergebnis daraus ist übrigens unter anderem, dass die Bevölkerung (grundsätzlich eventuell begründete) Anti-Covid19-Schutzmaßnahmen weitgehend boykottiert, denn was diese Regierung vorgeblich bekämpfe, könne ja nicht gar so schlecht sein - zumal diese Krankheit im Land bislang hauptsächlich, ja weitestgehend die Elite trifft.

Auch ökonomisch werden viele afrikanische Länder selbstredend durch die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen der Covid19-Krise getroffen. Auf der Ebene der "Westafrikanischen Währungsunion" (UEOMA) wurde Ende April des Jahres mit einer Verringerung des Wirtschaftswachstums auf +2,7 % statt ursprünglich vorhergesagter +6,6 % gerechnet.

Mittelfristig droht der Region jedoch eine Rezession, sofern die Auswirkungen der Krise sich zeitlich verlängern. Zu diesem Zeitpunkt wurde der "Konversionspakt", mittels dessen die Länder der UEOMA eine stärkere Vereinheitlichung ihres jeweiligen wirtschaftlichen Niveaus anstreben wollten - ungefähr vergleichbar mit den im Maastricht-Vertrag 1991/92 festgeschriebenen "Konvergenzkriterien" innerhalb der Europäischen Union -, ausgesetzt.

Weitergehende Schreckensszenarien internationaler Organisationen, die etwa darauf hinausliefen, zwanzig Millionen Arbeitsplätze könnten verschwinden oder fünfzig Millionen seien von Hunger bedroht, traten bislang nicht ein. Möglicherweise auch deswegen nicht, weil die Covid19-Pandemie den afrikanischen Kontinent bis dato nicht in dem bisweilen erwarteten Ausmaß getroffen hat, wie oben dargelegt. Selbstverständlich stellt die Schilderung von Bedrohungen auch stets nur einen von mehreren möglichen Abläufen dar.