Maskentragen in Deutschland: "Der gesunde Menschenverstand"

"Das Einhalten der Schutzmaßnahmen fällt mir schwer" (nach Anhängern der Parteien, in Prozent). Quelle: ARD-DeutschlandTrend im Morgenmagazin

Oder geht es um wichtige Freiheitsrechte? Anhänger von AfD und FDP fallen auf mit Schwierigkeiten, sich an Corona-Schutzmaßnahmen zu gewöhnen

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In Deutschland haben wir jetzt ein ganz einfaches Mittel, einen Menschen mit "gesundem Menschenverstand" zu erkennen - sie oder er trägt Maske in geschlossenen öffentlichen Räumen?

Vier von fünf Deutschen (79 Prozent) haben sich laut ARD-DeutschlandTrend "an die geltenden Abstandsregeln und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln gewöhnt", wie die Tagesschau berichtet. 19 Prozent fällt es schwer, zwei Prozent gehen nicht einkaufen und nutzen keine öffentlichen Verkehrsmittel.

Man könnte daraus schließen, dass es keine Maskenpflicht mehr braucht, sondern eine Empfehlung reicht, wenn fast achtzig Prozent ohnehin die Schutzmaßnahmen internalisiert haben. Das würde der Diskussion über die Beschränkung von Grundrechten eine unnötig scharf geschliffene Ecke nehmen?

Die Schutzmaßnahmen sind zu einem politischen Reizthema geworden. Das spiegelt auch der DeutschlandTrend wider. Anhänger der FDP und der AfD fallen aus dem Mehrheitsrahmen. 43 Prozent der AfD-Anhänger und 35 Prozent der FDP-Anhänger fällt das Einhalten der Schutzmaßnahmen "schwer".

Die Unterschiede zu Anhängern der anderen Parteien sind deutlich. Bei den Anhängern der Grünen geben nur 11 Prozent an, dass ihnen das Einhalten schwerfällt, 87 Prozent haben sich nach eigenen Angaben "mittlerweile an die Schutzmaßnahmen gewöhnt". Die Ergebnisse bei Unions- und SPD-Anhängern sind nahezu identisch. Sie unterscheiden sich um einen Prozentpunkt von den Werten der Grünen-Anhänger (bei der SPD-Anhängerschaft haben sich 86 Prozent an die Schutzmaßnahmen gewöhnt und wie bei der Union geben 12 Prozent an, dass ihnen das Einhalten schwer fällt).

Die Linken verbuchen 20 Prozent "Fällt mir schwer"-Angaben bei ihren Anhängern. Aber sie gehören auch zum Block der 80-Prozent-Mehrheiten, die sich ohne Schwierigkeiten an Masken und Abstandhalten gewöhnt haben. Bei der FDP sind das nur 65 Prozent und bei der AfD eine knappe Mehrheit von 55 Prozent.

Dass es unter AfD-Anhängern einen hohen Prozentsatz gibt, dem die Maßnahmen schwerfallen, überrascht erstmal wenig. Der Dissenz zum oktroyierten Konsens gehört zu Programm und Profil der "Alternative für Deutschland". Allerdings argumentieren Anhänger und Parteimitglieder der AfD gerne mit dem "gesunden Menschenverstand", wenn es darum geht, sich von den Konsensparteien Union, Grüne und SPD zu unterscheiden.

Mit diesem Schlagwort reklamieren sie ihren Anspruch, eine schweigende Mehrheit zu vertreten, die bei "hysterisch geführten" Diskussionen über Klimawandel, Geschlechtergerechtigkeit, Gender, Migration, Rassismus und Umgang mit Minderheiten auf einer vernünftigen Grundlage steht.

Geht es ums Maskentragen, der auffälligsten unter den Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Sars-CoV-2, so hat der Menschenverstand, der auf Gesundheit setzt, überzeugende Gründe dafür, mit Mund- und Nasenschutz dem Virus ein Hindernis zu setzen.

Selbst US-Präsident Trump, der sich schwer von Fakten überzeugen lässt, die seiner verfestigten Weltsicht widersprechen, hat hier eine Wende vollzogen. Dass er sie als "patriotisch" verkaufen muss, um Glaubwürdigkeit für seinen Kurswechsel zu ergattern, ist ein Ausweis für die Schwierigkeiten, die der doch sehr programmatisch unterlegte "gesunde Menschenverstand" der Rechten mit der Corona-Krise hat. Sie ist eben keine Grippewelle.

Abschaffung der Maskenpflicht

Die 35 Prozent der FDP-Anhänger, die Schwierigkeiten mit der Einhaltung der Schutzmaßnahmen haben, stehen für das Freiheitsproblem: individuelle Freiheitsrechte gegen Maßnahmen, die sie einschränken, begründet mit einem kollektiven Wohl, das nötige Grundlagen für individuelle Freiheit schafft - der Streit über die Wechselwirkungen, die da im Gange sind, ist eine Dauerdiskussion, der mit aktuellen Anlässen immer neu auflebt - ohne fixe Antworten und Letztbegründungen.

Was wäre, wenn die Maskenpflicht abgeschafft wird? Würden dennoch genug Personen die Schutzmaßnahme derart beherzigen, dass sie Risiken für die Gemeinschaft weitestmöglich kleinhalten?

(Ergänzung: Laut Aussage des US-Epidemiologen George Rutherford würden 80 Prozent, die Masken tragen, genügen, um eine Verbreitung des Virus einzudämmen, wie eine Simulation untermauert hat.)

Auch dafür gibt es in der Praxis offenbar keine feststehenden Lösungen. So begeistert Besucher in Österreich zuletzt von den dortigen Freiheiten berichteten ("endlich ohne Maske einkaufen, was für eine Erleichterung, eine ganz andere Welt"), so wenig scheint die österreichische Regierung vom "gesunden Menschenverstand" ihrer Bürger überzeugt. Seit heute wird als Reaktion auf steigende Corona-Infektionszahlen die Maskenpflicht in Österreich wieder ausgeweitet.

"Es beginnt wieder ein bisschen zu brodeln", wird Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zitiert. Kanzler Kurz kommentierte, dass das Tragen der Maske auch einen "symbolischen Effekt" habe: "Je mehr sie aus unserem Alltag verschwindet, desto stärker wird die Sorglosigkeit."

Das könnte man gerade wegen des Stichworts "Sorglosigkeit" nun seinerseits auch als paternalistische Äußerung sehen. Aber nach Meinung des Verfassers dieses Beitrags wird zu viel Polemik auf die Maske aufgetragen. Polemik ist da nicht hilfreich.

Das kann lustig sein, wenn einem der Bäcker erklärt, dass sich armenische Männer niemals ein Tuch in ihr Gesicht hängen würden, weil die armenischen Männer von Geburt auf lernen, sich nackt und mit offenem Gesicht der Wahrheit zu stellen und der Gesichtsschutz ein Zeichen der Feigheit sei. Und der Mann dann Wochen später mit Maske draußen in der Schlange vor dem Lotto-Kiosk steht.

Das wird aber viel weniger lustig, wenn es darum geht, politisches Kapital aus Erregungen über das Maskentragen zu schlagen.