E-Privacy ausgehebelt: Datenschützer gegen flächendeckende Überwachung

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisiert die geplante Ausnahme von der E-Privacy-Richtlinie im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen.

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Ulrich Kelber

Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisiert die EU-Kommission.

(Bild: dpa, Bernd von Jutrczenka/dpa)

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Das Vorhaben der EU-Kommission, per Eilverordnung eine Ausnahme von der Anwendung einiger Bestimmungen der E-Privacy-Richtlinie im Kampf gegen die Verbreitung sexueller Missbrauchsdarstellungen von Kindern zuzulassen, bringt den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber auf die Zinne. Die damit ermöglichte "flächendeckende und anlasslose Überwachung von digitalen Kommunikationskanälen" ist ihm zufolge "weder zielführend noch erforderlich, um Online-Kindesmissbrauch aufzuspüren".

"Die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Kindern muss mit zielgerichteten und konkreteren Maßnahmen angegangen werden", fordert Kelber. "Die Ermittlungsarbeit ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und darf nicht auf private Betreiber von Messenger-Diensten ausgelagert werden." Der europäische Gesetzgeber habe bislang bei der Initiative "wichtige Grund- und Datenschutzstandards nur unzureichend berücksichtigt".

Grund für das Manöver der Kommission: Vom 21. Dezember an greift prinzipiell der europäische Kodex für die elektronische Kommunikation. "Nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste" fallen damit in den Anwendungsbereich der E-Privacy-Richtlinie. Diese enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die freiwillige Verarbeitung von Inhalten oder Verbindungs- und Standortdaten, um sexuelle Missbrauchsdarstellungen oder das Heranpirschen von Nutzern an Kinder und Jugendliche (Cybergrooming) ausfindig zu machen.

Anbieter von Diensten etwa für Messaging, E-Mail, Chat, Dating und Videotelefonie wie Facebook, Google oder Microsoft dürften so nicht mehr Nachrichten auf Kinder- und Jugendpornographie hin scannen. Allerdings ist ohnehin fraglich, ob solche "freiwilligen" Aktivitäten mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vereinbar sind. Die Kommission will sich dazu nicht äußern.

Kelber monierte zugleich, dass der Gesetzgeber hierzulande den Kodex für die elektronische Kommunikation bis dato nicht umgesetzt habe. Die Bundesregierung hat dafür zwar eine Reform des Telekommunikationsgesetzes (TKG) auf den Weg gebracht, die aber noch den Bundestag und den Bundesrat passieren muss. "Damit wird die unklare Rechtslage im Telekommunikationsbereich weiter verfestigt", beklagt der Kontrolleur. Es drohe zudem ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission.

Dass die Regierung hier wertvolle Zeit verspielt hat und nun die Aushöhlung der E-Privacy-Richtlinie mitträgt, enttäuscht Kelber: "Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses hätte ich mir konkretere Vorgaben gewünscht." Er halte insbesondere eine begrenzte Speicherdauer, Beschwerdemöglichkeiten von zu Unrecht verdächtigten Personen sowie die Beteiligung von Polizei- und Sicherheitsbehörden für unabdingbar. Datenschutzbehörden müssten zwingende vor dem Einsatz neuer Technologien eingebunden werden.

Auch das EU-Parlament hat sich grundsätzlich hinter die Initiative der Kommission gestellt, drängt aber auf umfangreiche Nachbesserungen. So soll die verwendete Hash-Technologie zum Datenabgleich etwa nicht in der Lage sein, "die Substanz des Inhalts zu verstehen". Am Donnerstag fand der erste Trilog zwischen Verhandlungsführern der EU-Gremien statt. Eine Einigung auf den Verordnungstext wird schon mit der nächsten Runde Anfang Januar erwartet. Kritiker wie der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei warnen vor einer "Denunziationsmaschine" und "Massenüberwachung". (vbr)