rC3: Cory Doctorow warnt vor "digitalen Äquivalenten der Atombombe"

Frühe Cyberoptimisten haben den Hang zu Monopolen im Web übersehen, meint Cory Doctorow. Es gelte, "die befreiende Macht der Technologie" neu zu entdecken.

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Cory Doctorow während seines Vortrags

(Bild: CC by 4.0 rC3 media.ccc.de)

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Der Science-Fiction-Autor Cory Doctorow hat auf dem remote Chaos Communication Congress (rC3) am Sonntag schärfere kartellrechtliche Vorgaben insbesondere für interoperable Online-Dienste gefordert, um den Wettbewerb im digitalen Zeitalter zu erhalten. Mit den fünf Größen des US-Überwachungskapitalismus – Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (GAFAM) – seien "die schlimmsten Albträume" der frühen Verfechter von Bürgerrechten im Internet wahr geworden. Ein politisches und rechtliches Gegensteuern sei daher überfällig.

Als "blinden Fleck" im Auge von frühen "Cyberoptimisten" wie dem Grateful-Dead-Songschreiber und Aktivisten John Perry Barlow, der 1996 in einer berühmten Erklärung die Regierbarkeit des Internets durch staatliche Akteure zurückwies, machte Doctorow das dunkle Potenzial der neuen Technologien für den Aufbau einer Big-Brother-Dystopie aus. Sie hätten nicht erkannt, dass der Einsatz digitaler Produkte wie Microsoft Windows und Office sowie sozialer Medien durch Netzwerkeffekte massiv verstärkt werde und so zu Monopolstrukturen neige.

Tatsächlich hätten das regulatorische Umfeld in den 1990ern und das Internet nach dem Aufbruch etwa des Monopols von AT&T im Telekommunikationsmarkt sowie dem Kartellrechtsverfahren der US-Regierung gegen Microsoft nach einem "fast perfekten Markt" ausgesehen, räumte der Mitstreiter der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) ein. Die Cybereuphoriker hätten daher gedacht, nun könne jeder aus seiner Garage heraus über ein günstiges Netzwerk ein globales Publikum mit seinen Produkten und Dienstleistungen erreichen. Dies sei aber "naiv" gewesen.

Parallel sei das Kartellrecht nämlich durch den einflussreichen US-Juristen Robert Bork, der schon als oberster Anwalt von Präsident Richard Nixon verbrecherisch gehandelt habe, in Schieflage gebracht worden, führte Doctorow aus. Dieser habe international die Theorie hoffähig gemacht, dass Monopole an sich nicht schlecht seien. Brenzlig werde es nur, wenn sie Preise erhöhten und den Verbrauchern Schaden zufügten. Diese Ansicht habe sich in der Reagan-Ära etwa auch in Europa durchgesetzt.

Ein echter Machtmissbrauch sei den heutigen Monopolisten wie der GAFAM-Liga trotz deren "räuberischen Verhaltens" aber kaum mehr nachzuweisen und schon zur Routine geworden, monierte der Kanadier. Sie dürften ungestraft Konkurrenten aufkaufen und ihre Märkte horizontal und vertikal erweitern. Google etwa habe selbst nur anderthalb eigene innovative und erfolgreiche Produkte gebaut: die Suchmaschine und den Hotmail-Klon Gmail. Android, Technik für Online-Anzeigennetzwerke (AdTech) und YouTube seien alle nur zugekauft.

Der Staat zementiere die dominante Stellung von Digitalkonzernen sogar noch, verwies Doctorow auf die Auswüchse des Systems für "geistiges Eigentum". Dank "Autorenmonopolen" wie Softwarepatenten, Copyright, allgemeinen Geschäftsbedingungen, potenziell neuen Urheberrechtsansprüchen auf Schnittstellen (APIs) sowie dem rechtlichen Schutz von Technik zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) könnten die Firmen etwa durch Upload-Filter zensieren, den Wettbewerb behindern und ihre Kunden in Bedrängnis bringen. Regierungen hälfen ihnen dabei, ihre Immaterialgüterrechte durchzusetzen und beschlagnahmten etwa Imitationen an den Grenzen.

Der "Garagenmythos" sei damit endgültig hinfällig, meinte der Bürgerrechtler. Startup-Gründer müssten heute gegen Monopole mit enormen Wachstumsraten ankämpfen und kämen nicht mehr so einfach an Wagniskapital heran im Bereich der "Kill-Zone der großen Fünf". Mitarbeiter von Tech-Unternehmen träumten derweil allenfalls noch von der kostenlosen Massage am Mittwoch oder einem guten Rentenplan.

Für Doctorow ist es daher höchste Eisenbahn, nicht nur das Wettbewerbsrecht erneut zu schärfen, sondern auch "die befreiende Macht der Technologie wiederzuentdecken". Robert Oppenheimer habe nach einem ersten Test einer von ihm mitentwickelten Nuklearwaffe im Rahmen des Manhattan-Projekts zumindest versucht, den "Geist wieder in die Flasche" zu sperren und seine Werkzeuge niederzulegen. Die heutigen Technologie-Entwickler müssten daher ebenfalls davon ablassen, "digitale Äquivalente der Atombombe" zu bauen und auf interoperable offene Dienste setzen.

"Wir sind an einer entscheidenden Kreuzung", mahnte der Netzaktivist. Programmierer dürften Orwell nicht noch als Optimisten aussehen lassen. Mit dem Internet der Dinge entstünden nicht nur überall elektronische Augen, die ihre Nutzer teils ganz ohne zu blinzeln ausforschten und an die Behörden melden könnten. Jedes vernetzte Gerät sei zudem mit vielen Immaterialgüterrechten abgeschirmt, sodass es kaum für andere Zwecke verwendet werden könne. Der Wettbewerb werde so noch weiter ausgehebelt. Monopole könnten aber Leben zerstören, da viele Menschen Medikamente, Impfstoffe oder Brillen bräuchten und mit Flugzeugen flögen.

(tiw)