Landwirtschaft 4.0: Der gläserne Bauer und die Macht der Agrarkonzerne

Mähdrescher & Co. sind zu Hightech-Maschinen geworden, die Unmengen an Daten sammeln. Hersteller und Händler gewinnen damit tiefe Einblicke ins Marktgeschehen.

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(Bild: Anton_Medvedev / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist der Mähdrescher aus der Erntearbeit kaum mehr wegzudenken. Die imposanten Maschinen können heute aber viel mehr, als nur Getreide, Mais, Sojabohnen und andere Feldfrüchte abzuschneiden und aufzusaugen: sie senden auch große Datenmengen an den Hersteller und teils an Händler zurück, deren Analyse zusammen mit anderen Messwerten aus dem "Smart Farming" zum gläsernen Landwirt führen kann.

Per GPS zeichnet eine solche Landmaschine ihren genauen Weg durch das Feld auf. Sensoren zählen die geernteten Pflanzen pro Hektar und den Abstand zwischen ihnen. In einer Sähmaschine passen derweil Algorithmen die Verteilung des Saatguts an. Sie orientieren sich dabei daran, welche Teile des Bodens in den vergangenen Jahren am meisten Ertrag brachten. Ein Sprühgerät nutzt andere Programmroutinen, um Unkraut zu erkennen und es mit Pestiziden zu bekämpfen.

Währenddessen messen Sensoren den Grad der Abnutzung der Hightech-Gerätschaften. Wenn der Bauer, der sie bedient, zum örtlichen Händler geht, um nach einem Ersatzteil zu suchen, hat es dieser im besten Fall aufgrund der laufenden Datenauswertung bereits bestellt und vorrätig. Führende Hersteller wie AGCO, Claas, Fendt oder John Deere sammeln die Messwerte der landwirtschaftlichen Maschinen teils aus aller Welt, speichern sie in der Cloud und werten sie mit Big-Data-Verfahren aus.

Das Anhäufen all dieser Daten in den Händen der wenigen großen Produzenten eröffnet Chancen für die Landwirtschaft 4.0. Doch es gibt auch Bedenken, dass die Konzerne die Informationen missbrauchen und den Wettbewerb untergraben könnten. Die Bauern selbst haben zwar in der Regel Zugang zu den Messwerten, die ihre Maschinen produzieren. Ob ihnen diese Daten auch gehören, zweifeln die Hersteller aufgrund rechtlicher Graubereiche aber an. Nur diese erhalten zudem einen Überblick über die Informationen aus allen von ihnen verkauften oder geleasten Geräten.

"Wir stehen an der Schwelle zu einer echten Revolution", erklärte Seth Crawford, Vizepräsident von AGCO, gegenüber Forbes. "Was uns eine Zeit lang zurückgehalten hat, war die Unfähigkeit, Daten schnell genug zu verarbeiten". So habe man Erkenntnisse anfangs "nur" auf Äcker oder Felder insgesamt herunterbrechen können, jedoch noch nicht auf die Ebene einzelner Pflanzen. Mit der ganzen neuen Technologie und wachsenden Rechengeschwindigkeiten sei man nun in der Lage, viel stärker in Echtzeit zu arbeiten.

Die Maschinenproduzenten verwandeln sich so mehr und mehr in Technologiefirmen. Das Management von John Deere schuf in diesem Sinne im vorigen Jahr die Stelle eines Chief Technology Officer (CTO). Die Landwirte versuchen sie zu ködern etwa mit Prognosen, dass diese ihr Nettoeinkommen in den nächsten fünf Jahren um 20 Prozent steigern könnten, wenn sie ihre Daten intelligent nutzen.

Viele der Bauern befürchten aber, dass durch die Weitergabe ihrer Daten an Hersteller diese unbeabsichtigt in die Hände benachbarter Landwirte gelangen, mit denen sie um knappes Land konkurrieren. Diese könnten dann ihre streng gehüteten Informationen über die Anzahl der gepflügten Äcker oder die Art der verwendeten Düngemittel und Pestizide auswerten und sich so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Andere befürchten, dass einschlägige Analysen in die Hände von Chemie-Konzernen und Saatgutherstellern wie Bayer gelangen. So könnten diese ihren Produktbedarf vorhersehen und ihnen höhere Preise berechnen.

Auf Basis der Berge an Messwerten, die in ihre Datenbanken einfließen, sind Gerätehersteller mit ausreichenden Maschinenverkäufen theoretisch aber auch selbst in der Lage, zumindest in einem gewissen aussagekräftigen Umfang die Preise verschiedener Feldfrüchte und Grundzüge der kommenden Erntesaison vorherzusagen. Sie könnten dafür etwa die Erträge von Weizen pro Hektar, die Menge an verwendetem Dünger oder die durchschnittliche Anzahl der ausgelegten Samen heranziehen. Marktmanipulationen und Verkäufe der Erkenntnisse etwa an Rohstoffhändler wären so denkbar.

Der Mangel an Transparenz und Klarheit in Bezug auf Fragen wie Dateneigentum, Übertragbarkeit, Privatheit, Vertrauen und Haftung in den Geschäftsbeziehungen rund um Smart Farming trägt laut Forschern dazu bei, dass Landwirte zögern, sich auf die gemeinsame Nutzung ihrer Betriebsdaten im großen Stil einzulassen. Im Mittelpunkt der Bedenken stehe das mangelnde Vertrauen zwischen den Bauern als Datenlieferanten und Dritten, die ihre Messwerte aggregieren und weitergeben. Vermittlungsplattformen wie Ag Data Transparent konnten diese Sorgen bislang kaum zerstreuen: auch in ihren Verträgen heißt es, dass Bauern Daten allenfalls "kontrollieren" dürfen.

Hierzulande forderte eine zivilgesellschaftliche Allianz vor einem Jahr, dass Datenplattformen im Agrarbereich nicht von Großkonzernen gesteuert werden dürften. Stattdessen sollten Regierungen den Aufbau der nötigen Rechenzentren für unabhängige Systeme finanzieren, die dann von demokratisch legitimierten Gremien verwaltet und von unabhängigen Anbietern betrieben werden könnten. Zuvor hatte sich der Bundestag für solch eine übergreifende "Masterplattform" ausgesprochen.

(olb)