Kommt die Pizza-Connection an die Macht?

Die CDU wählt ihren neuen Vorsitzenden. Aber die Wahl dürfte auch den Weg zu Schwarz-Grün ebnen

"Wenn es am Ende so ist, wird es so sein."

Armin Laschet

Wenn die CDU, tatsächlich so dumm sein sollte, Friedrich Merz zu ihren Vorsitzenden zu machen, dann könnte 2021 sogar eine grüne Kanzlerschaft möglich werden. Die schneidige Ichbezogenheit des total von sich überzeugten Neoliberalen könnte der AfD zwar möglicherweise ein paar Stimmen abjagen, wenn es Merz tatsächlich schaffen würde, deren naheliegende Anti-Establishment-Kritik zu kontern. Aber alles spricht dagegen, nicht zuletzt Merz' eigene Dünnhäutigkeit. Er ist so extrem sicher, der klügste Kandidat im Raum zu sein und der modernste aller Kandidaten. Der Durchblicker, der es gecheckt hat. Genau dies steht ihm im Weg.

Je mehr Rechtsaußen-Emotionen und Kleinbürgerressentiments Merz mit der Wendung nach rechts aber zu bedienen verstünde, umso mehr Stimmen würde Merz gleichzeitig an die Grünen verlieren - zu sehr ist er ein Kandidat der Nostalgie, eines Back to the Future, zu wenig könnte er sich verstellen.

Die eigentliche große Enttäuschung für die vielen Merz-Anhänger in der Union war ja nach Merz' Rückkehr in die Politik vor knapp drei Jahren, erkennen zu müssen, dass der Mann tatsächlich politisch noch in der Gedankenwelt steckt, in der er vor bald 15 Jahren in der Politik aufgehört hat. Dazu gehört die Blindheit für die Ökologie-Thematik und die unfreiwillige Diskreditierung der neuen Sensibilität, die den Zeitgeist des Westens bestimmt.

Ein Merz-Vorsitz bedeutet einen rückwärtsgewandten Wahlkampf, in dem die CDU Blackrock verteidigen muss. Und die das werden sich die Delegierten nicht antun wollen.

Der wahrscheinlichste Sieger bei der CDU-Vorsitzenden-Wahl am morgigen Samstag ist aber Armin Laschet. In den letzten Tagen konnte er wieder manchen Umfragen zum Trotz punkten. Immerhin fünf CDU-Fraktionsvorsitzende aus den Länderparlamenten unterstützen ihn; der hessische Ministerpräsident Bouffier sprach sich offen für ihn aus, andere Länderfürsten der Union indirekter.

Unter den Ministerpräsidenten der Union ist er mit Abstand der stärkste. Er ist in der Partei selbst sehr beliebt und in der Bevölkerung immerhin nicht unbeliebt, auch wenn er als zu weich und zu schwach gilt. Er hat nicht die harte Anmutung, die sich Friedrich Merz gibt. Er braucht eine gewisse Law-and-Order-Kante, auch um den Rand rechts von der CDU zu konsolidieren.

Körpersprache ist, was ankommt

Besonders im direkten Vergleich mit Friedrich Merz, der dem Fernsehvolk in den beiden "Markus Lanz"-Sendungen dieser Woche, vom Mittwoch und vom Donnerstag ermöglicht wurde, sah Laschet gut aus.

"Kommunikation ist, was ankommt", weiß nicht nur Moderator Lanz. Dass das, was ankommt, nicht zuletzt die Körpersprache ist, weiß Laschet: Im Gegensatz zum unruhigen, verkrampften Grinser Merz wirkte Laschet aufgeräumt, in sich ruhend, gemütlich, im Reinen mit sich und seinem Körper. Er gestikulierte viel, aber nicht aufdringlich, ließ sich nicht verunsichern, bewies Humor und praktizierte seine Kardinaltugend: Das Zuhören.

Insgesamt läuft alles auf Laschet zu. Die Erfahrung des Regierens unter Corona-Bedingungen hat ihm fraglos das verliehen, was ein Beobachter als "Realitätsdemut" beschrieben hat - nicht nur bei Corona. Aber genügt das?

Politisch ist Laschet fast wie Merz auch für CDU-Verhältnisse eher ein Mann von gestern.

Fehlender Instinkt Spahns

"Von heute" sind da eher der 55-jährige Norbert Röttgen und der erst 40-jährige Jens Spahn. Sie haben eher das Zeug, die CDU in eine neue Zeit zu führen. Sie stehen aber auch für strategische Unterschiede in der Frage, wohin sich die Union orientieren muss: in Richtung ihres konservativen Kernterritoriums oder hin zur immer beweglichen, mit genügend Wohlstand und grünen Werten gepolsterten bürgerlichen Mitte der Republik?

Spahn ist die große Unbekannte dieser Wahl - weil er gar nicht antritt, aber doch erkennbar gern Kanzlerkandidat werden würde. Stärker noch als bei Röttgen stellt sich bei Spahn die Frage, wie stark er wirklich in der Partei verankert ist? "Bekannt bin ich schon, beliebt muss ich noch werden" - in weiser Selbsterkenntnis formulierte Spahn dies bei seiner Kandidatur 2018. Bekannter ist er seitdem tatsächlich geworden, beliebter auch.

Man sollte bei alldem auch nicht vergessen, dass Jens Spahn als öffentlicher Kritiker von Merkel angefangen hat und als Zögling der neoliberalen Mittelstands-Union in der Partei aufgestiegen ist. Als er Minister wurde, war es damit vorbei. Aber in seinem Amt als Gesundheitsminister ist ihm auch vor Corona längst nicht alles gelungen. Gerade auch bei Konservativen hat er sich mit seinen Positionen zu Sterbehilfe und Organspende nicht nur beliebt gemacht. Die Neoliberalen hat er mit seinem Engagement für Armin Laschet enttäuscht.

Dann ist da die schwelende Affaire um seine Berliner Immobilien. Gemeinsam mit seinem Ehemann Daniel Funke, laut Presseberichten "Cheflobbyist" der Burda-Medien, erwarb Spahn im Sommer zusätzlich zu seinen angeblich zwei Wohnungen eine Villa mit großem Garten in Berlin-Dahlem. Die Berliner Presse berichtete ausführlich, Spahn ging juristisch gegen verschiedene Veröffentlichungen vor - zurzeit ist die Nennung des exakten Kaufpreises gerichtlich untersagt; man könnte sie aber über Suchrecherchen leicht herausfinden wie auch Angaben zur Finanzierung, zu Spahns Ministergehalt und dem Verhältnis des einen zum anderen.

Diese Details sind zwar jedes für sich unerheblich und Neiddebatten über Prominentenvermögen haben etwas sehr spießig-deutsches. Gerade der empfindliche Umgang Spahns mit den aufkommenden Vorwürfen schwächt aber das Vertrauen in den Politiker Jens Spahn: in seinen politischen Instinkt vor allem. Aber auch in seine Integrität und seine Kompetenz als potentielle Führungsfigur der CDU.

Hinzu kommen schließlich die neuen Debatten um das Management der Impstoffbeschaffung und Impfstoffverteilung durch das Gesundheitsministerium. Minister Spahn sieht hier nicht gut aus. Und er hat es rhetorisch nicht vermocht, seinen Kopf aus der Debatten-Schlinge zu ziehen. Vergangene Woche hat ihn schließlich die Kanzlerin öffentlich gedemütigt, indem sie ihm die Zuständigkeit für die Impfstoffverteilung entzog und diese zur Chefsache machte. Das wiegt schwerer als die Fragenkataloge der SPD.

Keine Angst vor Ökologie

Und Norbert Röttgen? Ohne Frage läuft es für den ehemaligen Bundesumweltminister viel besser als erwartet. Alle CDU-Mitglieder wissen jetzt zumindest, dass mit ihm wieder zu rechnen ist und dass eine Stimme für ihn keine verschenkte Stimme bedeutet. Aber heißt das auch, dass es gut genug läuft? Gut genug für seine zukünftige Parteikarriere auf alle Fälle. Röttgen wird in der CDU in Zukunft eine größere Rolle spielen. Ob es auch reicht, um ernsthaft nach dem Vorsitz zu greifen, ist schwerer zu sagen.

Das schwer berechenbare Element ist vor allem, dass er die gleichen Gruppen der Partei anspricht wie Laschet: die liberale, nach der Zukunft ausgerichtete CDU. Die, die keine Angst vor Ökologie hat und auch nicht glaubt, dass es mit Frösche-Retten getan ist, sondern die sich im Gegenteil Sorgen um den Klimawandel macht. Weniger als Laschet ist Röttgen für die Parteiorganisation attraktiv, stärker als dieser aber für die Jungen und die Frauen in der Partei. Und für alle diejenigen, die sich eine schwarz-grüne Koalition vorstellen können.

Mit Röttgen ist zum allerersten Mal in der CDU tatsächliche Klimaschutzpolitik wählbar. Die deutsche Fridays-for-Future-Chefin Luisa Neubauer konstatierte nüchtern:

Röttgen ist von den dreien der einzige, der tatsächlich mit so etwas wie einer ökologischen Agenda antritt, und tatsächlich wählbar ist. Bei der CDU stand so etwas noch nie zur Wahl.

Luisa Neubauer

Am Ende durfte das aber nicht reichen für ihn. Wenn es schlecht läuft für Röttgen, wird sich die Spaltung der Partei zwischen Merz und Laschet auch auf dem Parteitag schon im ersten Wahlgang entladen, und er selbst zwischen diesen zwei Blöcken zerrieben werden und mit wenigen Stimmen, mit weniger als 10 Prozent auf der Strecke bleiben.

Das perfekte Szenario für Röttgen wäre umgekehrt, dass sich der Ärger, der sich in der Partei vor allem auf der Organisationsebene im letzten knappen Jahr gegen Merz aufgestaut hat, nicht nur zur Faust in der Tasche ballt, sondern im ersten Wahlgang entlädt, Merz keine zweite Chance gegeben wird, sondern man ihn abstraft mit dem drittschlechtesten Ergebnis. Wenn es zugleich ein eher schwaches Laschet-Ergebnis gäbe, hätte er in einem zweiten Wahlgang eine reelle Chance. Merz-Anhänger könnten in ihm gegenüber Laschet das kleinere Übel sehen - Fans einer Söder-Kanzlerkandidatur sowieso.

Deswegen war es vielleicht kein so kluger Schachzug, sich zuletzt deutlich gegen eine mögliche Koalition mit der FDP zu positionieren - dass er innerlich grün ist, glaubt man Röttgen sowieso. Er muss die Parteirechten bedienen.

Inhaltlich aber steht Röttgen am glaubhaftesten für Modernisierung und eben auch für mehr Frauen in der Partei, für Zukunftsprojekte.

Röttgen ist für die Anhänger Laschets wählbar. Dass alle drei Kandidaten aus NRW kommen, könnte auch dazu führen, dass manche, gerade weil sie Laschet schätzen, diesen vor Ort als Ministerpräsident behalten wollen, und sich dann für Röttgen entscheiden, der immerhin auch schon einmal NRW-Landesvorsitzender war - und die Wahl seiner Zeit gegen Laschet gewonnen hatte.

Wer Laschet braucht, um mit einem möglichst starten NRW-Landtagswahlergebnis im kommenden Jahr die dortige Regierung in Düsseldorf zu sichern, der wird Röttgen wählen.