Tödliche Datenbanken der Polizei

Für Asylbewerber ist es kaum möglich, falsche Einträge in Behördensystemen zu korrigieren. In Nordrhein-Westfalen wurde das dem Syrer Amad Ahmad zum Verhängnis

Am 29. September 2018 starb der aus Syrien stammende Amad Ahmad im Sankt-Antonius-Hospital in Kleve an seinen Brandverletzungen. Zwölf Tage zuvor war der 26-Jährige in seiner brennenden Zelle im Gefängnis der Kreisstadt gefunden worden. Er oder jemand anderes hatten Matratze, Bettzeug und Laken gestapelt und angezündet. Weil es in den Zellen der Justizvollzugsanstalt in Nordrhein-Westfalen keine Rauchmelder gibt, konnte Ahmad erst nach langen Minuten und deshalb mit bereits schweren Verbrennungen geborgen werden.

Der Fall beschäftigt seit fast zwei Jahren einen Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags. Nicht nur die Umstände des Todes von Ahmad sollen dabei geklärt werden. Tatsächlich war der Syrer suizidgefährdet. Dass er wirklich sterben wollte, passt allerdings nicht zur Tatsache, dass er über die Gegensprechanlage den Notruf ausgelöst und offenbar die Fenster geöffnet hat.

Versehentliche oder vorsätzliche Verwechselung?

Immer noch dubios sind aber vor allem die Umstände seiner Festnahme. Ahmad saß zum Zeitpunkt seines Todes mehr als zwei Monate lang unschuldig in Haft. Eingesperrt wurde er aufgrund eines Haftbefehls, der auf den Namen Amedy G. aus Mali ausgestellt war. Bei der Polizeimaßnahme handelte es sich ganz offensichtlich um eine Verwechselung. Im Untersuchungsausschuss soll geklärt werden, ob dies versehentlich oder mit Vorsatz erfolgte.

Beide Personen waren im Informationssystem deutscher Polizeien gespeichert. Es wird vom Bundeskriminalamt zentral betrieben und heißt deshalb Inpol-Z. Die Länderpolizeien sind darüber über Subsysteme angeschlossen. Amedy G. war über das Hamburger Inpol-System wegen Diebstahls zur Festnahme ausgeschrieben. Das Inpol in Nordrhein-Westfalen verzeichnete zu Amad Ahmad geringfügige Vergehen, aber keine Fahndung.

"Tod war wohl Folge von fehlerhafter Polizeisoftware", hatte die größte deutsche Regionalzeitung WAZ den Fall im letzten Sommer versimpelt. Denn im Untersuchungsausschuss kam heraus, dass die Inpol-Datensätze der Männer aus Syrien und Mali fälschlich zusammengeführt wurden. Genauer gesagt wurden falsche Identitäten (sogenannte Alias-Namen), die Amedy G. benutzt haben soll, auch in der polizeilichen Datei von Ahmad gespeichert. Verantwortlich für den Vorgang war eine Hilfskraft. Weiterhin unklar ist allerdings wer ihr dazu den Auftrag gab und wann die Datenverschmelzung erfolgte.

Problematische Suche nach "Kreuztreffern"

Polizeiliche Informationssysteme können nach sogenannten "Kreuztreffern" suchen. Dies betrifft etwa die Schreibweisen von Namen, wenn die betreffenden Personen das gleiche Geburtsdatum haben. In Nordrhein-Westfalen wird das Inpol-System von der Firma Deutsche Telekom Healthcare and Security Solutions betrieben. Seit mindestens drei Jahren ist bekannt, dass die Kreuztreffersuche der Plattform fehlerhaft ist. Das bestätigte Annette Brückner, die zuerst für einen Bericht des Magazins Monitor und später als Sachverständige im Untersuchungsausschuss zum Fall von Amad Ahmad auftrat. Demnach vergleicht die Software nicht nur die Klarnamen, sondern auch die in Inpol gespeicherten Alias-Namen.

Die Verhaftung und der anschließende Tod von Amad Ahmad könnten also tatsächlich durch die fehlerhafte Kreuztreffersuche der Telekom-Software ausgelöst worden sein. Allerdings hätte allein der Lichtbildvergleich der beiden Männer gezeigt, dass der eine dunkel- und der andere hellhäutig ist, es sich also keinesfalls um die gleiche Person handeln kann. Auch die Überprüfung der Fingerabdrücke, die Ahmad bei der Festnahme abgenommen wurden, hätte dies zweifelsfrei belegt.

Nicht entkräftet ist deshalb der Verdacht, dass die Manipulation der Inpol-Datensätze vorsätzlich geschah, nämlich von Polizisten, die um den langjährigen Fehler des Systems gewusst haben. Darauf deuten auch lückenhafte Datenbankprotokolle hin, die jede Veränderung eines Datensatzes dokumentieren sollen. So ist es denkbar, dass die Zusammenführung der Datensätze erst nach der Festnahme von Ahmad erfolgt ist, um überhaupt einen Grund dafür vorweisen zu können. Der Syrer wurde von zwei Streifenwagen an einem Baggersee aufgegriffen, nachdem sich eine Gruppe von Frauen über sexuelle Belästigung beschwert hatte. Den Anruf erhielt der Vater einer der Betroffenen, er ist Polizist im Innendienst und alarmierte daraufhin seine Kollegen auf der Wache.

Allwissende Ausländerbehörde in Hessen

Auch in Hessen speichert die Polizei womöglich falsche Angaben zu Personen, ohne dass dies nachvollziehbar oder durch die Betroffenen zu ändern ist. Dies belegt der Fall des algerischen Staatsangehörigen Tarek Ramdani, der mit seiner Familie in Marburg als Asylbewerber registriert ist. Die Ausländerbehörde und die Polizei wollen über Erkenntnisse verfügen, nach denen der Algerier in der Vergangenheit mehrere falsche Namen genutzt hat, unter anderem, um damit Diebstähle zu begehen. Ramdani bestreitet das, gibt aber zu dass er vor seinem Asylantrag den Alias "Sofian ben Abdalah" verwendet hat, der sich aus einem in Nordafrika häufig vorkommenden Namen und Vornamen zusammensetzt.

Im Asylverfahren hat sich Ramdani längst durch algerische Urkunden und Ausweise identifiziert. Seine Angaben sind in der hessischen Inpol-Datei als sogenannte Führungspersonalie gespeichert. Gemeint ist ein Datensatz, der zweifelsfrei einer bestimmten, real existierenden Person zugeordnet werden kann. Die von ihm angeblich genutzten Aliaspersonalien sind in Inpol als "A-Gruppe" abgelegt. Darin finden sich für Ramdani sechs weitere Fantasie-Namen.

In seinen polizeilichen Akten werden außerdem fünf weitere Personen erwähnt, darunter auch zwei seiner Brüder. Alle sollen in der Vergangenheit die Personalie "Sofian ben Abdalah" benutzt haben. Einige oder alle von ihnen haben sich eine Zeitlang in der gleichen Erstaufnahmeeinrichtung in Nordrhein-Westfalen befunden.

Falsche Aliaspersonalien werden nicht gelöscht

So ist es denkbar, dass immer wenn in Hessen oder Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen der Name "Sofian ben Abdalah" auftaucht, anschließend Tarek Ramdani mit Repressalien behelligt wird. Wie im Falle des Syrers Amad Ahmad könnte er dadurch in große Schwierigkeiten geraten.

Es ist schon für deutsche Staatsangehörige oft unmöglich, falsche Einträge in Polizeidatenbanken zu korrigieren. Die Konsequenzen dieser digitalen Polizeiwillkür haben 32 Journalisten beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg erfahren, die fälschlich als "linke Extremisten" in Inpol gespeichert waren.

Noch schwieriger ist dies für Asylsuchende, das lässt sich am Fall Ramdani gut beobachten. Der Algerier versucht mithilfe eines Rechtsanwalts und von Unterstützern aus Marburg und Umgebung, die Polizei und die Ausländerbehörde zur Löschung der fälschlichen Alias-Einträge zu bewegen. Denn inzwischen war es tatsächlich mehrfach vorgekommen, dass ihm eine offensichtlich nicht von ihm begangene Straftat zugeordnet wurde.

Gegenangriff der Ausländerbehörde

In der Region Mittelhessen ist der Fall von Tarek Ramdani seit Jahren ein Politikum, den Behörden gilt er als "Intensivtäter". Von den ihm vorgeworfenen 20 Straftaten haben die meisten aber vermutlich gar nicht stattgefunden oder wurden nicht zur Anklage gebracht. Die übrigen Vorwürfe betrafen den unerlaubten Aufenthalt, Diebstahl, das Fahren nur mit seinem algerischen Führerschein und die unentgeltliche Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Eine versuchte Abschiebung der Familie scheiterte vor zwei Jahren, weil der Pilot der Maschine die hochschwangere Frau von Ramdani nicht nach Algerien transportieren wollte. Die Zentrale Ausländerbehörde in Gießen sah sich deshalb unter Rechtfertigungsdruck und ging zum Gegenangriff über. In einer Veranstaltung hatte deren Leiter Rudi Heimann Ramdani öffentlich angegriffen und dabei sensible Informationen über ihn bekanntgemacht.

Einer der Unterstützer Ramdanis hatte im Herbst vorgeschlagen, bei der Korrektur der Fehleinträge behilflich zu sein. Das Angebot quittierte Heimann mit einer lapidaren Absage. Er habe außerdem den zuständigen Sachbearbeiter gebeten, entsprechende Ersuchen gar nicht mehr zu beantworten. Bislang wurden die fehlerhaften Einträge nicht korrigiert. Tarek Ramdani und seine Unterstützer hoffen, dass er niemals in eine Situation gerät wie Amad Ahmad in Kleve.